„Tausend Zeilen“

Fakereporter Relotius als Spaßgarant

Der Skandal um den Starreporter Claas Relotius und seine erfundenen preisgekrönten Reportagen erschütterte 2018 die deutsche und internationale Medienlandschaft, in einem Klima, das ohnehin schon vom Schlagwort „Fake News“ schwer beschädigt war. Nun hat Michael Bully Herbig aus der Affäre einen Film gemacht – und der ist lustiger, als der Stoff erwarten lässt.

Man weiß ja, wie die da im Süden der USA drauf sind, die Trump-Wähler, man kennt sie ja. Eindimensionale Ausländerfeinde, denen ihr Recht auf Schusswaffen mehr wert ist als die Unversehrtheit anderer Menschen. Genau solche kamen vor in der Reportage „Jaegers Grenze“, für die der deutsche Reporter Relotius von einer paramilitärischen Bürgerwehr entlang der Grenze zu Mexiko berichtete, während sein Kollege Juan Moreno jenseits der Grenze eine Frau aus Honduras begleitete, die in die USA wollte.

Die Reportage erschien im November 2018 im Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“, Relotius wurde dafür mit dem Reporterpreis ausgezeichnet – obwohl Moreno schon damals an Relotius’ Prosa einiges faul vorgekommen war: Einige Zufälle waren zu perfekt, einige Szenen zu dramatisch. Moreno recherchierte daraufhin auf eigene Faust, gegen den dezidierten Willen seiner „Spiegel“-Auftraggeber, die Relotius unangetastet lassen wollten – und ließ seinen kreativen Kollegen auffliegen.

Filmstill aus „1000 Zeilen“
Marco Nagel
Ordentlich recherchieren: Juan Romero (M’Barek) macht den Gegencheck – und entdeckt Abgründe

Der „Spiegel“ distanzierte sich daraufhin von seiner Edelfeder, versprach eine umfassende Aufarbeitung, und Relotius gab seine Reporterpreise – der für „Jaegers Grenze“ war der bereits vierte – reumütig zurück. Es war der größte deutsche Medienskandal seit vielen Jahren, einer, der auf ein grundlegendes Dilemma hindeutete: Geschliffene Texte, brillante Dramaturgien und klare Gut-Böse-Zuschreibungen schlagen sich in hohen Auflagen nieder. Doch das darf niemals ein Argument sein, bei den Fakten nachlässig zu werden und Vorurteile zu bedienen.

Das ist Filmstoff!

Schon damals, sagt Regisseur Herbig im Videointerview gegenüber ORF.at, habe er einen Filmstoff gewittert: „Helmut Dietl hat damals aus den gefälschten Hitler-Tagebüchern ‚Stonk‘ gemacht, und ich dachte mir, vielleicht ist das hier was für mich.“ Zwar hatte sich die Produktionsfirma UFA die Rechte an dem Buch „Tausend Zeilen Lüge“, das Relotius’ aufmerksamer Kollege Moreno über den Fall schrieb, noch vor dessen Erscheinen gesichert, doch die wandten sich umgehend an Herbig für eine satirische Umsetzung.

Herbigs bisher größte Erfolge waren Komödien, „ich hab im Rahmen der Komödie aber auch früher schon immer die Chance gesehen, Genre zu machen“ – vom Western beim „Schuh des Manitu“ über Science-Fiction bei „Traumschiff Surprise“, „das waren so kleine Trojanische Pferde“, so Herbig, und auch „Tausend Zeilen“ ist keine reine Satire, sondern arbeitet streckenweise mit Thrillerspannung. Natürlich ist im Film alles zugespitzt, und natürlich sind dabei auch die Namen verändert, damit es da keine rechtlichen Scherereien gibt.

Superstar Elyas M’Barek spielt da den freien Journalisten Juan Romero, der mit Frau und vier hinreißenden Töchtern in einer durchsonnten Wohnung irgendwo in Hamburg lebt, viel zu viel für seinen Beruf auf Achse ist, meistens mit dem Fotografen Milo (gespielt von Michael Ostrowski, dem derzeitigen Lieblingsösterreicher des deutschen Kinos). Auf der anderen Seite ist da ein gewisser Lars Bogenius, ein vorgeblich bescheidener, tatsächlich unerträglich eitler Journalist, der dem renommierten Nachrichtenmagazin „Chronik“ in den Augen der Chefredaktion quasi im Alleingang die Auflage rettet.

Hoch stapeln, tief fallen

„Tausend Zeilen“ hätte eine klassische Hochstapler-Story werden können, wie „Catch Me If You Can“, bei der das Publikum mit dem charmanten Schurken mitfiebert, ob er aufgedeckt wird oder nicht. Herbig bleibt aber ganz auf der Seite des Sympathieträgers Romero, lässt das, was Bogenius im Innersten antreibt, unangetastet und schöpft damit nicht das ganze Potenzial der Story aus – dafür müsste der Film die spektakulären Lügengebäude im Privaten wie im Beruflichen genauer ausleuchten.

Die wenigen Momente im Film, in denen Herbig sich an Bogenius näher heranwagt, sind dafür auch wirklich gelungen, etwa um Bogenius’ angebliche Familienverhältnisse oder seine behaupteten Recherchereisen auf Kuba. Hier zeigt der Film tatsächlich das, was Bogenius so an Blauem vom Himmel herunterfabuliert. Trotzdem gerät man als Zuschauerin nie in Versuchung, seine Lügen zu glauben – im Gegensatz zu all jenen, die mit dem echten Relotius zusammengearbeitet haben, und denen, die seine Reportagen mit Genuss und Interesse gelesen haben.

Filmstill aus „1000 Zeilen“
Marco Nagel
Lars Bogenius (Jonas Nay) wird von seinen Chefs geliebt – für Lügen, die sich gut verkaufen

Das Risiko, über die Verführungskraft eleganter Formulierungen und gelungener Dramaturgie ernsthaft nachzudenken, geht „Tausend Zeilen“ nie ein, dafür bleibt der Film zu sehr an der Oberfläche. Dem Unterhaltungswert tut das aber keinen Abbruch. Speziell die Demontage der „Chronik“-Chefs Rainer Habicht (Michael Maertens) und Christian Eichner (Jörg Hartmann) ist eine wahre Wonne, selten war Schadenfreude schöner als angesichts dieser beiden Witzfiguren.

Einen Dokumentarfilm mit journalistischem Anspruch soll es dafür im nächsten Jahr über den Fall geben: Die Doku mit dem Titel „Die Relotius Affäre“ soll den „schnellen Aufstieg und tiefen Fall des einstigen Starreporters“ beleuchten, teilte der Streamingdienst Sky am Dienstag mit. Regie wird Daniel Andreas Sager führen, dessen Doku „Hinter den Schlagzeilen“ über die mediale Aufarbeitung der „Ibiza-Affäre“ im Sommer im Kino zu sehen war.