Archive des Schreibens

Olga Flor: Kühle Ironie gegen den Zeitgeist

Olga Flor gilt als Spezialistin der Gegenwartsanalyse – nicht zuletzt auch der österreichischen Umstände: Mit formaler Raffinesse und ätzendem Humor seziert sie Geschlechterrollen, Kleinfamilie oder das Leben in einer durchökonomisierten Welt. Mit „Morituri“ war die Autorin, die zu den wichtigsten ihrer Generation zählt, zuletzt für den Österreichischen Buchpreis nominiert.

Mit dem Schreiben hat Flor früh angefangen. Bei ihrem Universitätsstudium ging es aber in Richtung „Handfestes“, experimentelle Physik, wie sie im „Archive des Schreibens“-Gespräch erzählt. Der naturwissenschaftliche Hintergrund ist da aber nur auf den ersten Blick weit von ihrer Literatur entfernt: Flor ist bekannt für einen auffällig kühlen, distanziert auseinandernehmenden, gar „technischen“ Erzählton.

Mit direkter Parteinahme ist bei ihr nicht zu rechnen, sie bevorzugt eine schonungslose, stellenweise bissig-ironische Analyse – sowohl in ihren Essays als auch in den Romanen. Die nüchterne Erzählhaltung wendet Flor oft auf dramaturgisch knifflig gestrickte Grotesken an, zu aktuellen gesellschaftlichen Krisen, wie zuletzt in ihrem Roman „Morituri“ (2021).

Olga Flor
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Flor mit Wolfsbild: In ihren Büchern kommentiert die Autorin mit knapper Ironie den Zeitgeist

Heiteres Sticheln

„Dringende Leseempfehlung“, meinte Katja Gasser dazu in der 3sat-„Kulturzeit“. Die Geschichte, die an einer Privatklinik in der österreichischen Provinz spielt, stichelte heiter-böse in Richtung Kanzlerschaft von Sebastian Kurz. In der hoch dubiosen Klinik, so zumindest der Plan, wollen betuchte Kundinnen und Kunden sich das Leben verlängern lassen. Als „Mittel“ zu diesem Zweck dienen Asylwerber, die sich mit vollem Körpereinsatz Pluspunkte für ihren Aufenthaltsstatus erarbeiten können. Ein „Buberlkanzler“ hat am Rande seinen Auftritt.

Flor, 1968 geboren, wuchs in Wien auf. Nach einem Job im Multimediabereich lebt sie seit 2004 von der Schriftstellerei – nach Stationen in Frankfurt, Italien und den USA wieder in Wien und in Graz. Bereits ihre ersten beiden Bücher, zwischen denen eine Einladung zum Bachmannpreis 2003 stand, fanden über die Landesgrenzen hinaus Anklang.

„Talschluss“ (2005), in dem sich ein Familienfest in einem abgelegenen Bauernhaus zur Katastrophe entwickelt, lobte der „NZZ“-Literaturkritiker Paul Jandl etwa für seine „detailversessene, poetische Prosa“, „wache Intelligenz“ und nicht zuletzt die „präzise Sprache“, mit der eine „Hölle aus esoterischem Gerede“ und dem Jargon der Wirtschaft gefasst werde: „Olga Flor ist dabei, sich mit großem Können in die erste Reihe der österreichischen Literatur zu schreiben“, urteilte Jandl damals anerkennend.

Bücherstapel
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Flor hat sieben Romane, einen Essayband sowie Theaterstücke und Essays veröffentlicht.

„Sympathische Figuren ertrage ich nicht“

Familien- und Beziehungsverhältnisse standen auch über dieses klaustrophobische Bergbauernsetting hinaus des Öfteren auf Flors Agenda, bereits in ihrem Debüt „Erlkönig“ (2002) oder auch in „Klartraum“ (2017), einem Roman über eine gescheiterte Affäre zweier Verheirateter in der Leistungsgesellschaft. Deutlich spürbar ist auch hier ein dezidiert feministischer Geist, der Flors Romane mitsamt ihrem (immer wieder) „patriarchatskompatiblen“ Personal umweht. „Sympathische Figuren ertrage ich nicht“, so Flor dazu. Wobei, so gesteht sie im „Archive des Schreibens“-Gespräch, diese Antiheldinnen die Autorin selbst auch schwer strapazieren.

In ihrem letzten Roman stellte Flor etwa eine „steuerbare“ Bürgermeisterin ins Zentrum. Im an „Macbeth“ angelehnten „Die Königin ist tot“ (2012) war es zuvor eine gewissenlos-zielstrebige Europäerin, die sich in den USA an die Spitze eines Medienimperiums schläft und vor Intrigen, Verletzungen und Mord nicht zurückschreckt.

Der formale Clou: Flor erzählte die Geschichte ganz so, wie sie die fragwürdige Ich-Erzählerin am liebsten erzählt haben möchte. Eine solche Doppelbödigkeit und Lust am Experiment durchziehen alle ihre Texte. Da werden etwa auch innere Monologe montiert, oder mit Blogeinträgen wird die klassische Dramaturgie durcheinandergewürfelt.

Person steht vor Gemälden
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Flor im KHM: „Ich freu mich, wenn mich etwas irritiert, wenn ich hängen bleibe.“

Essays zu Feminismus, Populismus, Informationszeitalter

Als politischer Kopf tritt Flor, die aufgrund ihres sprachkritischen, scharfzüngigen Schreibens bereits mit Elfriede Jelinek verglichen wurde, nicht nur mit Romanen in Erscheinung, sondern auch mit Essays. Flor bezieht Stellung. Etwa zur „handfesten Benachteiligung“ von Frauen in der Gesellschaft, zur Problematik des Datensammelns im Informationszeitalter oder, in ihrem Buch „Politik der Emotion“ der Reihe „Unruhe bewahren“, zum grassierenden Populismus mit seinen simplen Schuldzuweisungen.

Gegen die pervertierte Form der Wahrheit als „das, womit man gerade noch so durchkommt“ (Zitat US-Journalist Bret Stephens) setzt Olga Flor die Kraft des öffentlichen Diskurses, der Widerspruch zulässt und vor der Komplexität der Fakten nicht zurückschreckt. „Wir wissen alle, dass die Demokratie etwas ist, das sich nicht von allein erhält, sondern um das man ringen muss“, so Flor im „Archive des Schreibens“-Gespräch.

Das Projekt „Archive des Schreibens“

„Archive des Schreibens“ ist ein Kooperationsprojekt zwischen dem ORF und dem Gastlandprojekt Österreich bei der Leipziger Buchmesse 2023. TV, Online und Radio präsentieren gemeinsam die neue Generation des Schreibens in Österreich. Die Autorinnen und Autoren sprechen dabei über sich selbst, ohne dass jemand ihre Arbeit von außen kommentiert. Bis zum Österreich-Schwerpunkt bei der Leipziger Buchmesse 2023 sollen zahlreiche Porträts des neuen Schreibens entstehen und darüber hinaus weiter produziert werden.