Wahlplakate in Sarajevo
AP/Armin Durgut
Komplexe Wahl

Ethnische Politik nimmt Bosnien in die Zange

Abwanderung, Armut und Korruption prägen Bosnien-Herzegowina 27 Jahre nach dem Ende des Krieges. Die nationalistischen und auf ihre Ethnie fokussierten Politiker, die seit Jahren das Land prägen, haben dennoch große Chancen, bei der Wahl am Sonntag wiedergewählt zu werden. Am Stillstand und der tiefen politischen Krise im Land wird sich danach wenig ändern.

Der Friedensvertrag von Dayton von 1995 beendete den Krieg und legte die Grundlage für den bis heute gültigen komplexen Staatsaufbau. Die Zentralregierung unterliegt einer dreiköpfigen Staatsführung – jeweils mit einem serbischen, kroatischen und bosniakischen Vertreter. Zudem ist das Land geteilt in zwei Entitäten – die Föderation Bosnien und Herzegowina mit einer mehrheitlich kroatischen und muslimischen (bosniakischen) Bevölkerung und die serbische Republika Srpska – sowie den Distrikt Brcko als Sonderverwaltungsgebiet.

90 Parteien, 38 Bündnisse, über 150 Kandidaten und Kandidatinnen sind bei der Wahl im Rennen. Gewählt werden die zentrale Staatsführung, mehrere Parlamente, Kantonalversammlungen und der Präsident in der Republika Srpska. Insgesamt gibt es rund 180 Minister in dem 3,3-Millionen-Einwohner-Land.

Wahlplakate zeigen Zeljko Komsic in Sarajevo
AP/Armin Durgut
Über 150 Kandidaten und Kandidatinnen stellen sich am Sonntag auf unterschiedlichen Ebenen der Wahl

Sezessionsdrohungen und politische Blockaden

Politische Blockaden, ethnisch-nationalistische Töne und Drohungen sowie Korruptionsvorwürfe und an ethnischen Interessen orientierter Klientelismus dominieren seit Jahren die bosnische Politik. Sie dienen dem Machterhalt der jeweiligen Politiker. Besonders gern spielt der nationalistische Serbenvertreter Milorad Dodik auf dieser Klaviatur – vielfach unterläuft er mit seiner Politik den bosnischen Gesamtstaat.

Die Bosniaken wollen den Zentralstaat stärken. Die kroatischen Vertreter kritisieren das Wahlgesetz, das angeblich die kroatische Bevölkerung in Bosnien gegenüber den Bosniaken benachteilige. Damit argumentieren die Kroaten ihre fehlende Kooperation in zentralstaatlichen Institutionen. Die Republika Srpska verfolgt eine separatistische Politik.

Ende vergangenen Jahres wurde hier etwa angekündigt, dem Gesamtstaat in den Bereichen Steuern, Justiz sowie Sicherheit und Verteidigung Kompetenzen zu entziehen – der Beginn einer Verschärfung der politischen Krise. Im Juni beschloss das bosnisch-serbische Parlament, diese sezessionistischen Schritte um sechs Monate zu verschieben. Die Drohungen bleiben aber aufrecht. Beobachter sehen darin auch die Absicht, die eigene Wählerschaft zu mobilisieren.

Zigtausende verlassen das Land

„Die ethnischen Spaltungen sind so tief, dass sie eine echte Gefahr für das Überleben und die Integrität Bosniens darstellen“, urteilt der bosnische Politikexperte Ranko Mavrak. Konsequenzen sind politischer Stillstand, keine Änderung der wirtschaftlichen Schwierigkeiten und hohe Abwanderung. Allein im vergangenen Jahr verließen 170.000 Menschen das Land.

Vertreter von Minderheiten können politische Spitzenpositionen überhaupt nicht besetzen. Das sieht die in Dayton festgelegte Verfassung nicht vor. Beobachter geben sich wenig optimistisch, dass sich die Situation mit der Wahl ändert. Neuerlicher Stillstand ist zu erwarten. Nach der letzten Wahl 2018 dauerte es 444 Tage bis zu einer neuen gesamtstaatlichen Regierung. Diese übergab während ihrer Amtszeit dem Parlament bisher 22 Gesetzesentwürfe.

„Unsinn, völliger Unsinn“

Mitspieler in der bosnischen Politik ist der beim Dayton-Vertrag eingeführte Hohe Repräsentant. Er soll die Umsetzung dieses Abkommens überwachen. Eigentlich wäre schon längst dessen Abschaffung im Raum gestanden, aber bisher wurde das Mandat immer wieder verlängert. Derzeitiger Amtsinhaber ist Christian Schmidt. Er darf in die Gesetzgebung eingreifen und gewählte Politiker absetzen. Er sei aber aufgrund des fehlenden grundlegenden Konsenses in der Staatengemeinschaft ein „zahnloser Tiger“, meinte der Bosnien-Experte Vedran Dzihic bereits Anfang des Jahres gegenüber ORF.at.

Hoher Repräsentant für Bosnien und Herzegowina Christian Schmidt
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Als Hoher Repräsentant soll Christian Schmidt die Umsetzung des Dayton-Abkommens überwachen

Schmidt bat um die Unterstützung der EU. Passiert ist wenig – international wie national. Erst Mitte August machte das Video eines Wutausbruchs von ihm bei einem Besuch in der Kleinstadt Gorazde die Runde: „Unsinn, völliger Unsinn. Ich habe genug davon“, meinte er entnervt, als er auf den Streit um ein neues Wahlgesetz angesprochen wurde. „Ich habe diese Situation satt. Jeder gibt jedem die Schuld. Freunde, so kommt man nicht nach Europa.“ Es sei notwendig, politische Blockaden aufzulösen, um die Abwanderung junger Menschen zu verhindern.

Wahlen in Bosnien und Herzegowina

Am Sonntag wird in Bosnien-Herzegowina gewählt. Eine politische Wende wird bei den komplizierten Wahlen nicht erwartet. Überschattet wird der Urnengang auch vom Krieg in der Ukraine, der zu massiven Spannungen zwischen Russland und dem Westen geführt hat.

Westen auf dem Prüfstand

Gerade vor dem Hintergrund der Ukraine-Krise spielt der Umgang des Westens mit Bosnien-Herzegowina eine große Rolle. Seit 2016 wartet das Land auf den Status eines EU-Beitrittskandidaten. Fortschritte hat es bisher kaum gegeben, stattdessen wurden die Bedingungen vonseiten der EU immer wieder ausgeweitet. Umso enger sind dafür die Beziehungen der Republika Srpska und ihres polternden Vertreters Dodik zu Russland.

Dieser stattete etwa nur wenige Tage vor der Wahl, dem russischen Präsidenten Wladimir Putin einen Besuch in Moskau ab. Auch der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban mischte sich zugunsten Dodiks in den Wahlkampf ein. Sanktionen gegen Vertreter der Republika Srpska wurden bisher nur von den USA und von Großbritannien verhängt. Entschiedene Reaktionen auf die sezessionistischen Tendenzen gab es aber weder von den USA noch von der EU. Im Vordergrund standen Mahnungen und Beschwichtigungen. Die Wirkung dieser Strategie ist inzwischen allerdings verpufft.