Russlands Präsident Wladimir Putin
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Putin-Rede in Moskau

Besetzte Gebiete zu Teilen Russlands erklärt

Rund sieben Monate nach dem Überfall auf die Ukraine hat der russische Präsident Wladimir Putin am Freitag in Moskau vier besetzte ukrainische Gebiete zu Teilen Russlands erklärt. Staats- und Regierungschefs westlicher Staaten erklärten unterdessen übereinstimmend, dass sie die Annexion „niemals“ anerkennen werden. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj kündigte unmittelbar nach Putins Rede unterdessen ein „beschleunigtes“ NATO-Beitrittsansuchen an.

Unmittelbar nach Putins rund einstündiger Rede wurde die Annexion von Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson auch vertraglich besiegelt. Bei dem vom russischen Fernsehen übertragenen Festakt unterzeichnete Putin zusammen mit den Besatzungschefs der vier Gebiete, Denis Puschilin (Donezk), Leonid Passetschnik (Luhansk), Wladimir Saldo (Cherson) und Jewgeni Balizki (Saporischschja), die entsprechenden Dokumente.

In seiner Rede im voll besetzten Festsaal im Kreml verwies Putin zuvor auf die in den besetzten Gebieten durchgeführten Abstimmungen, bei denen eine „eindeutige Wahl“ getroffen worden sei. Es gebe „nichts Wichtigeres als den Willen von Millionen, in ihre historische Heimat zurückzukehren“, so Putin, der in diesem Zusammenhang den Zerfall der Sowjetunion vor rund 30 Jahren als Tragödie bezeichnete.

Putin und seine Anhänger stehen auf Podium
Reuters
Putin mit seinen aus den besetzten Gebieten angereisten Statthaltern

„Vier neue Regionen“

Nun gebe es „vier neue Regionen in Russland“, so Putin, der in seiner Rede die Ukraine aufforderte, umgehend jegliche militärische Handlungen einzustellen und an den Verhandlungstisch zurückzukehren.

Vier Regionen zu russischen Staatsgebiet erklärt

Der russische Präsident Wladimir Putin hat die vier unkrainischen Gebiete Luhansk, Donezk, Saporischja und Cherson zu russischem Staatsgebiet erklärt.

Einmal mehr bekräftigte Putin, dass Russland sich mit „allen Mitteln“ weiter „verteidigen“ werde. In seiner Rede griff Putin auch den Westen erneut scharf an. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion habe man dort entschieden, die Welt mit seiner Diktatur zu überziehen, sagt Putin. Russland versuche nicht, die Sowjetunion wieder auferstehen zu lassen. Der Westen dagegen suche auch weiterhin nach Wegen, um Russland zu schwächen.

Formal muss die Annexion noch vom russischen Parlament beschlossen werden. Er sei sich sicher, dass die Volksversammlung diese annehmen werde, sagte Putin. Die Menschen in Luhansk, Donezk, Cherson und Saporischschja würden nun zu russischen Bürgern „für immer“, wie Putin in Richtung Kreml und Westen sagte.

Menschenmenge schaut Putins Rede an
Reuters/Alexander Ermochenko
Putins Rede wurde auch in den von Russland besetzten Gebieten, wie hier in Lunhansk, auf öffentlichen Plätzen übertragen

Grenzen noch zu „klären“

Putin hatte bereits am Donnerstagabend mehrere Dokumente unterzeichnet, in denen er die Unabhängigkeit von Saporischschja und Cherson anerkannte. Die Unabhängigkeit von Donezk und Luhansk hatte Moskau bereits wenige Tage vor Beginn seiner Militäroffensive am 24. Februar anerkannt.

Nur kurz vor der Annexionszeremonie gestand Kreml-Sprecher Dmitri Peskow offene Fragen in Sachen Grenzziehung ein. Die „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk würden von Russland „in den Grenzen von 2014“ anerkannt; was die Regionen Cherson und Saporischschja betrifft, gelte es die Frage der Grenzen noch zu klären.

Karte zeigt Ostukraine
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: ISW, OCHA

Laut Peskow sei auch noch nicht absehbar, wann Putin erstmals die annektierten Gebiete in der Ukraine besuchen werde. „Noch nicht, es steht noch viel Arbeit bevor, aber mit der Zeit wird das wahrscheinlich geschehen.“

Russische Soldaten „teilweise umzingelt“

Die vier von Putin nun zu einem Teil Russlands erklärten Gebiete werden von Russland nicht vollständig kontrolliert. Zudem hat die ukrainische Armee eine Gegenoffensive gestartet, im Zuge derer sie derzeit Geländegewinne im Gebiet Donezk erzielt. Russlands Donezk-Statthalter Puchilin bestätigte am Freitag, dass russische Soldaten in der strategisch wichtigen Stadt Lyman „teilweise umzingelt“ seien.

Das seien „sehr unangenehme Nachrichten, aber wir müssen die Situation nüchtern betrachten und Schlüsse aus unseren Fehlern ziehen“, so Puschilin, der mit Blick auf die Annexionszeremonie in Moskau sagte: Die ukrainische Armee „versucht um jeden Preis, uns dieses historische Ereignis zu verderben“.

Russland-Experte Mangott über Putins Rede

Der Russland-Experte Gerhard Mangott analysiert die Rede von Russlands Präsident Wladimir Putin zur Annexion der ukrainischen Gebiete.

Kreml betrachtet ganze Regionen als Teil Russlands

Der Kreml warnte unterdessen Kiew vor weiteren Angriffen in den vier nun von Russland annektierten ukrainischen Regionen. Das käme einem Angriff auf Russland gleich, so Peskow, dem zufolge mit der Annexion auch die Teile der Regionen Donezk, Luhansk, Cherson und Saporischschja „de jure“ eingegliedert worden seien, die nicht von russischen Streitkräften kontrolliert werden.

International werden die Annexionen als Bruch des Völkerrechts gewertet, den die Ukraine nicht hinnehmen will. Die ukrainische Führung hat vom Westen weitere schwere Waffen gefordert, um ihre Gebiete zu befreien. Putin hatte bereits betont, dass die Regionen künftig unter dem Schutz der Atommacht Russland stünden. Ein Angriff auf die Territorien werde wie eine Attacke auf Russland gewertet. Das Land werde alle verfügbaren Mittel einsetzen, um sich zu verteidigen, hatte Putin gesagt.

Ukraine macht „entscheidenden Schritt“ Richtung NATO

In Kiew tagte während Putins Rede der ukrainische Sicherheitsrat. Nach der Dringlichkeitssitzung kündigte Präsident Selensky einen „entscheidenden Schritt“ Richtung NATO-Beitritt an. Konkret werde man einen „beschleunigten“ Antrag stellen. „Real auf dem Schlachtfeld und in allen Aspekten unserer Interaktion“ habe die Ukraine „de facto“ bereits bewiesen, dass man mit den Bündnisstandards kompatibel sei, so Selenksyj: „Wir vertrauen einander, wir helfen einander und wir schützen uns gegenseitig. Das ist die Allianz.“

Ungeachtet der von Putin verkündeten Annexion werde die Ukraine auch die Befreiung der von Russland besetzten Gebiete fortsetzen. Für die Ukraine habe sich nichts geändert, so Außenminister Dmytro Kuleba, der via Twitter noch anmerkt: „Mit dem Versuch, die ukrainischen Regionen Donezk, Luhansk, Saporischschja und Cherson zu annektieren, versucht Putin, sich Gebiete anzueignen, die er nicht einmal physisch kontrolliert.“

„Werden illegale Annexion nie akzeptieren“

Die Regierungen westlicher Staaten hatten übereinstimmend erklärt, sie würden die Annexion „niemals“ anerkennen, und neue Sanktionen gegen Russland angekündigt. Die von Russland vollzogene Annexion war am Freitag unter anderem ein Thema beim Treffen von Bundespräsident Alexander Van der Bellen mit seinem lettischen Amtskollegen Egils Levits in Wien.

Die Annexion der von Russland in der Ukraine besetzten Gebiete sei nach den Worten von Van der Bellen „ein weiterer schwerwiegender Angriff auf die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine“, den man „nie akzeptieren“ werde. Die zuvor „durchgeführten Scheinreferenden in den durch Russland besetzten ukrainischen Gebieten waren eine völkerrechtswidrige Maßnahme des russischen Regimes und eine reine Farce. Sie sind auf das Schärfste zu verurteilen.“

Die „Referenden“ seien „ein Betrug, ein absoluter Betrug“ gewesen, teilte unter anderen auch US-Präsident Joe Biden im Vorfeld von Putins Annexionszermemonie mit. Auch aus dem Weißen Haus hieß es, dass die USA „niemals, niemals, niemals“ Russlands Ansprüche auf Hoheitsgebiete der Ukraine anerkennen werden. Donezk, Luhansk, Cherson und Saporischschja würden immer der souveränen Nation der Ukraine angehören, schrieb EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf Twitter – und daran werde auch die von Putin verkündete illegale Annexion nichts ändern.

Auch NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg wies die Annexion als illegal und unrechtmäßig zurück. „Die NATO-Bündnispartner erkennen kein einziges dieser Gebiete als Teil Russlands an und werden das auch in Zukunft nicht tun“, sagte Stoltenberg. Man rufe alle Staaten dazu auf, die unverhohlenen Versuche Russlands zurückzuweisen, Territorien zu erobern.

USA reagieren mit Sanktionsverschärfung

Als Reaktion auf die von Putin verkündete Annexion verhängen die USA weitere Sanktionen gegen Russland. Die Strafmaßnahmen richten sich unter anderem gegen weitere russische Regierungsvertreter, deren Familienmitglieder sowie Angehörige des Militärs, wie die US-Regierung am Freitag in Washington mitteilte.

Die EU-Kommission legte bereits am Mittwoch einen Vorschlag für ein weiteres Sanktionspaket gegen Russland vor. Das Paket enthalte unter anderem die Rechtsgrundlage für einen Preisdeckel für Ölimporte aus Russland sowie weitere Importbeschränkungen im Wert von sieben Milliarden Euro – EU will neues Sanktionspaket gegen Moskau.