Blasen auf der Wasseroberfläche oberhalb der Nord-Stream-Gasleitung
AP/Armed Forces of Denmark/Rune Dyrholm
Bericht zu Pipelinelecks

Explosionen wie „Hunderte Kilo“ TNT

Die vier Lecks an den Gaspipelines „Nord Stream 1“ und „2“ sind von Explosionen mit einer Sprengkraft wie „Hunderte Kilo“ des Sprengstoffs TNT verursacht worden. Das bestätigte ein dänisch-schwedischer Bericht, der der UNO vorgelegt wurde. Schon zuvor hatte der „Spiegel“ von Bomben mit großer Sprengkraft berichtet.

Den deutschen Sicherheitsbehörden zufolge waren die verwendeten Sprengsätze mit einer Wirkung von 500 Kilogramm Sprengstoff vergleichbar. Die Wucht der Explosionen sei mit 2,3 und 2,1 auf der Richterskala beziffert worden, heißt es nun auch in dem am Freitag an den UNO-Sicherheitsrat übermittelten offiziellen Bericht aus Dänemark und Schweden.

Mindestens zwei Explosionen seien unter Wasser geschehen. Die bisher verfügbaren Informationen deuteten darauf hin, dass die Explosionen vorsätzlich herbeigeführt wurden. Der UNO-Sicherheitsrat berät am Freitag auf Antrag Russlands über die „Nord Stream“-Lecks.

Gas breitete sich weit aus

Die beiden Länder zeigten sich besorgt über die Auswirkungen der Lecks auf die Ostsee und das Klima. Jeweils zwei Lecks seien in den Ausschließlichen Wirtschaftszonen von Dänemark und Schweden entstanden. Das daraus aufsteigende Gas hat dem Bericht zufolge an der Oberfläche Gebiete mit einem Radius von mehreren hundert Metern erfasst.

Blasen auf Wasseroberfläche nahe Bornholm
Reuters/Danish Defence Command
Aus den Lecks strömt seit Tagen Gas – inzwischen ist es aber weniger geworden

Der Gasaustritt in der Ostsee durch „Nord Stream 1“ werde vermutlich bis Sonntag anhalten, berichtete die russische Agentur RIA Nowosti unter Berufung auf den Pipelinebetreiber Nord Stream AG. Später hieß es auch von „Nord Stream 2“, dass ein Ende des Gasaustritts bis Sonntag erwartet wird. Zuvor hatte die schwedische Küstenwache bekanntgegeben, dass bei einem der beiden Lecks von „Nord Stream 2“ weniger Gas ausströmt.

Vonseiten des russischen staatlichen Gaskonzerns Gasprom hieß es dagegen Freitagabend, dass es derzeit noch keinen absehbaren Zeitplan für die Reparatur gebe. Der Konzern habe damit begonnen, nach „möglichen Lösungen zu suchen, um das System wieder funktionsfähig zu machen“. Die Aufgabe sei aber aus technischer Hinsicht „sehr überwältigend“. Solche Lecks habe es zuvor nie gegeben – insgesamt seien rund 800 Millionen Kubikmeter Gas entwichen. Das Volumen des ausgetretenen Gases entspreche drei Monatslieferungen für Dänemark.

Explosionen wie „Hunderte Kilo“ TNT

Die vier Lecks an den Gaspipelines „Nord Stream 1“ und „Nord Stream 2“ sind von Explosionen mit einer Sprengkraft wie „Hunderte Kilo“ des Sprengstoffs TNT verursacht worden. Das bestätigte ein dänisch-schwedischer Bericht, der der UNO vorgelegt wurde. Schon zuvor hatte der „Spiegel“ von Bomben mit großer Sprengkraft berichtet.

NATO, USA: „Akt der Sabotage“

Drei Lecks wurden Anfang der Woche innerhalb von 24 Stunden entdeckt, am Donnerstag wurde von der schwedischen Küstenwache ein weiteres Leck gemeldet. Die NATO vermutet einen „absichtlichen, rücksichtslosen und unverantwortlichen Akt der Sabotage“. Westliche Staaten haben hier Russland im Auge, ohne das Land konkret zu nennen.

Die Beschädigung der beiden „Nord Stream“-Pipelines gebe Anlass zu großer Sorge, teilt die NATO am Donnerstag mit. Die Lecks gefährdeten die Schifffahrt und verursachten erhebliche Umweltschäden. „Wir unterstützen die laufenden Ermittlungen zur Klärung der Schadensursache.“ Schon am Dienstag hatten mehrere Länder von einem Anschlag auf die europäische Gasinfrastruktur gesprochen.

Auch US-Präsident Joe Biden bezeichnete die Lecks als Folge von Sabotage und kündigte Untersuchungen an den beschädigten Leitungen an. Zum gegebenen Zeitpunkt „werden wir Taucher runterschicken, um herauszufinden, was passiert ist“, sagte Biden am Freitag. „Es war ein Akt vorsätzlicher Sabotage“, betonte er.

Gegenseitige Beschuldigungen

Russland führt die Pipelinelecks auf einen „Akt des Terrorismus“ zurück. Zumindest sehe es danach aus, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Pesow. Am Freitag erneuerte der russische Präsident Wladimir Putin seine Kritik und machte den Westen für die Explosionen verantwortlich. Die russische Generalstaatsanwaltschaft leitete nach eigenen Angaben bereits ein Verfahren wegen internationalen Terrorismus ein. Moskau begründete den Schritt damit, dass mit der Beschädigung der Pipelines „Russland erheblicher wirtschaftlicher Schaden zugefügt“ worden sei.

Grafik zur Nord Stream und Gaslecks
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA/dpa/BBC

Biden rief auf, nicht auf Putin zu hören: „Wir wissen, dass das, was er sagt, nicht wahr ist.“ „Wir glauben nicht, dass es das Werk eines NATO-Verbündeten war“, sagte der Nationale Sicherheitsberater im Weißen Haus, Jake Sullivan, später als Reaktion auf eine entsprechende Frage. Sullivan bekräftigte, dass noch Untersuchungen nötig seien, bevor die USA jemandem die Verantwortung für die Schäden zuwiesen. Zugleich sagte er aber: „Russland macht das, was es oft macht, wenn es für etwas verantwortlich ist – und zwar Vorwürfe gegen jemand anderen erheben.“

Der russische Staatskonzern Gasprom hatte bis Ende August durch „Nord Stream 1“ Gas nach Europa gepumpt, diese Lieferungen dann aber unter Verweis auf technische Probleme, die sich wegen Sanktionen angeblich nicht lösen ließen, eingestellt. Die deutsche Regierung nannte die Begründung vorgeschoben und vermutete politische Beweggründe hinter dem Lieferstopp.

Methan gelangt in Atmosphäre

Die Gaslecks führen nach Einschätzung des deutschen Umweltbundesamts (UBA) zu schweren Klimaschäden. Sämtliches Methan in den Pipelines werde in die Atmosphäre gelangen, teilte die Behörde am Mittwoch mit. Grund dafür sei, dass es keine Abschottungsmechanismen an den Pipelines gebe.

Insgesamt werden laut UBA voraussichtlich 0,3 Millionen Tonnen Methan in die Atmosphäre gelangen. Methan sei „deutlich klimaschädlicher als CO2“. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) legte Berechnungen vor, wonach mehr als 350.000 Tonnen Methan aus den beschädigten Pipelinesträngen auszutreten drohen. Die DUH forderte daher die Betreiber der Pipelines und die zuständigen Aufsichtsbehörden auf, das verbleibende Gas aus allen Strängen „unverzüglich abzupumpen“. Bereits jetzt sei durch die Lecks ein „unermesslicher Schaden für den Klimaschutz entstanden“.