Es seien zwei Momente gewesen, die unterschiedlicher nicht sein hätten können, ist bei CNN weiter zu lesen. Während Putin in Moskau in der Pracht der St.-Georgs-Halle des Kreml mit einer orchestrierten Menge von Unterstützerinnen und Unterstützern eine „bemerkenswerte, gefälschte Zeremonie“ inszenierte, verloren seine Streitkräfte in einer strategischen Stadt in genau jenem Gebiet, das er zu annektieren behauptet.
Diese „Farce“ belege, dass Putin mit der Annexionszeremonie doch lediglich von den militärischen Misserfolgen ablenken wolle. Der militärische Fortschritt der Ukraine hingegen sei eine „kalte Dosis Realität für einen Kreml, der immer noch zu glauben scheint, er könne die Realität durch die Kraft seines eigenen Willens schaffen“, verweist CNN auf Russlands „imperialistisches Expansionsvorhaben“.
CNN: Kluft zwischen Realität und Fiktion
Putins Rede zeige, dass Moskau immer noch an der Idee festhalte, eine Teilmobilmachung könne die gewünschten Erfolge bringen. Doch die Kluft zwischen Realität und Fiktion, zwischen dem, was Russland wolle und was es tatsächlich könne, klaffe immer weiter auseinander.
Auch bei BBC heißt es: Durch die Annexion versuche der Kreml, die Fakten an Ort und Stelle zu ändern, verliere Russland in der Ukraine doch gerade an Boden.
Nicht zuletzt schwinde CNN zufolge auch der Rückhalt in der russischen Bevölkerung – rund 200.000 Russen seien seit der Teilmobilmachung außer Landes geflohen. Und die Angehörigen jener, die in den Krieg gezogen sind, „werden sich wünschen, dass sich die Dinge schnell ändern, bevor die Leichensäcke nach Hause kommen“, heißt es in der Analyse weiter.
„Verschleierte Drohung“
In seiner Rede habe Putin zudem vom Einsatz „aller“ ihm zur Verfügung stehenden Mittel zur Verteidigung der neu annektierten Teile der Ukraine gesprochen. Zwar habe er nicht ausdrücklich mit dem Einsatz von Atomwaffen gedroht, verwies aber auf den Einsatz solcher Waffen durch die USA gegen Japan. Das habe einen Präzedenzfall geschaffen.
CNN schreibt hier von einer „verschleierten Drohung“ – jedes Wort sei „sorgfältig gewählt“. Russlands nukleares Säbelrasseln hat laut BBC aber nicht nur im Westen Besorgnis ausgelöst, sondern auch innerhalb Russlands.
Analyse zu Folgen der Annexion
ORF-Korrespondentinnen Miriam Beller in Moskau und Raffaela Schaidreiter in Brüssel und ORF-Korrespondent Christian Wehrschütz ordnen die offizielle Annexion der besetzten ukrainischen Gebiete ein.
Dazu komme: Putins Rede habe, so der „Guardian“, fast alle wichtigen Fragen über das weitere Vorgehen in der Ukraine unbeantwortet gelassen. Nur kurz vor der Annexionszeremonie gestand Kreml-Sprecher Dmitri Peskow offene Fragen in Sachen Grenzziehung ein. Die „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk würden von Russland „in den Grenzen von 2014“ anerkannt; was die Regionen Cherson und Saporischschja betrifft, gelte es, die Frage der Grenzen noch zu klären.
„Guardian“: Mehr wütender Taxifahrer als Staatsoberhaupt
Erstaunlich sei in den Augen von Beobachtern und Beobachterinnen auch, dass Putin in seiner Rede vergleichsmäßig kurz auf die Ukraine und die Annexionsformalitäten einging. Dem voraus ging ein „weitschweifender“ Rundumschlag gegen den Westen – der von „historischen Sünden“ bis zur „fehlgeleiteten Gender-Ideologie“ reichte, so der „Guardian“.
Im Vergleich zu 2014 habe Putin den Westen verärgerter, aber weniger kohärent angeprangert – eher in der Manier eines „wütenden Taxifahrers“ als eines Staatsoberhauptes. Die BBC schreibt, dass Putin darauf aus sei, durch antiwestliche Rhetorik die nationalistische Stimmung unter den Russen und Russinnen zu erhöhen.
Zitiert wird auch der Friedensforscher Andrei Kolesnikow. Dieser schrieb auf Twitter: „Putins Rede ist eine Aneinanderreihung von unglaublich ungebildeten Verschwörungsfloskeln, die man vor 30 Jahren in unbedeutenden national-patriotischen Zeitungen lesen konnte.“ Und weiter: „Jetzt ist es zur Politik der ehemaligen Supermacht geworden, die sich selbst zu Zeiten der sowjetischen Führung einen solchen Diskurs nicht leisten konnte.“