Luiz Inacio Lula da Silva
Reuters/Amanda Perobelli
Lula in erster Runde voran

Stichwahl in Brasilien

In der ersten Runde der Präsidentschaftswahl in Brasilien am Sonntag konnte weder Amtsinhaber Jair Bolsonaro noch Herausforderer Luiz Ignacio Lula da Silva mehr als 50 Prozent der Stimmen auf sich vereinen. Die Wahl werde am 30. Oktober in einer Stichwahl zwischen dem ultrarechten Bolsonaro und dem linksgerichteten Lula entschieden, teilte die nationale Wahlbehörde TSE am Sonntag mit.

Laut TSE lag Ex-Staatschef Lula da Silva nach Auszählung von 99,9 Prozent der elektronisch abgegebenen Stimmen mit 48,4 Prozent zwar vor dem derzeitigen Präsidenten Bolsonaro mit 43,2 Prozent. Für einen direkten Sieg reichte es jedoch nicht.

Zeitweise zeichnete sich ein noch knapperes Ergebnis ab, so das Nachrichtenportal G1 von TV Globo. Bolsonaro lag in der Anfangsphase der Auszählung rund zwei Stunden in Führung – Lula habe diese dann übernommen und zum Auszählungsfinale nach und nach ausgebaut.

Lula gewinnt ersten Wahlgang

Brasilien steht vor einer Stichwahl. Im ersten Wahlgang landete der linke Kandidat Luis Ignacio Lula da Silva vor dem ultrarechten Kandidaten Jair Bolsonaro.

Lula äußerte sich optimistisch über das Ergebnis und sagte, dass es seinen Sieg nur aufschiebe. Er freue sich darauf, in einer Debatte gegen Bolsonaro anzutreten. „Wir können das Brasilien, das er aufgebaut hat, mit dem vergleichen, das wir aufgebaut haben“, sagte er vor Reportern. Lula war von 2003 bis 2010 Präsident des lateinamerikanischen Landes.

Bolsonaro: „Richtige Bündnisse schließen“

Bolsonaro äußerte sich ebenfalls zuversichtlich. „Ich habe vor, die richtigen politischen Bündnisse zu schließen, um diese Wahl zu gewinnen“, sagte er vor Journalisten unter Verweis auf die Fortschritte, die seine Partei bei der Parlamentswahl am Sonntag erzielt habe. Seine rechtsgerichteten Verbündeten gewannen am Sonntag 19 der 27 zu vergebenden Sitze im Senat, und erste Ergebnisse deuten auf ein starkes Abschneiden seiner Basis im Unterhaus hin.

Experten zufolge geht Bolsonaro gestärkt aus dem ersten Wahlgang hervor. Der „Bolsonarismus“ habe diese erste Runde gewonnen, sagte Bruna Santos vom Brasilien-Institut des Wilson Center in Washington. „Wir werden eine zweite Runde in einem radikal polarisierten Umfeld erleben“, sagte die Politikwissenschaftlerin. Bolsonaro beschuldigte unterdessen auch die Meinungsforschungsinstitute, vor der Wahl am Sonntag seine Unterstützung nicht richtig eingeschätzt zu haben.

Viel knapper, als Umfragen vorhersagten

Mehrere Vorwahlumfragen hatten Lula bis zu 15 Prozentpunkte vor Bolsonaro gesehen. Das sehr viel knappere Ergebnis machte die Hoffnungen auf eine schnelle Lösung für das politisch stark gespaltene Land zunichte. Bolsonaro hatte vor der Wahl Befürchtungen befeuert, er könnte das Ergebnis nicht akzeptieren. Ein deutlicher Sieg Lulas hätte Bolsonaro die Unterstützung entziehen können, um gegen das Wahlergebnis vorzugehen.

Für Bolsonaro könnten die vier Wochen bis zur Stichwahl eine Gelegenheit sein, seine Anhänger weiter zu mobilisieren. „Bolsonaro könnte das zu einem Wettbewerb machen“, sagte Michael Shifter vom Politikinstitut Inter-American Dialogue. „Statt des großen Comebacks (für Lula, Anm.) könnte es der große Umsturz werden“, sagte der Politikwissenschaftler.

Bolsonaro hatte zuvor mehrmals angekündigt, das Wahlergebnis anzufechten, sollte er verlieren. Viele Menschen befürchten eine brasilianische Version der Unruhen, die nach der Weigerung von Bolsonaros politischem Vorbild Donald Trump, seine Niederlage anzuerkennen, die USA erschütterten.

Fokus auf weiter Unentschlossene

Um in der Stichwahl gegen Bolsonaro zu bestehen, muss Lula aus Beobachtersicht nun vor allem das Vertrauen der Unentschlossenen in der Mitte zurückerlangen. Mit seinem früheren Kontrahenten Gerardo Alckmin als Kandidaten für das Amt des Vizepräsidenten hat Lula bereits einen Vertreter des bürgerlichen Lagers ins Boot geholt. Dem moderaten Alckmin wird auch zugetraut, im Falle eines Wahlsieges von Lula in der Stichwahl im politischen Brasilia Mehrheiten zu organisieren.

Lula regierte Brasilien bereits von 2003 bis 2010. Wegen unterschiedlicher Korruptionsskandale auch im Zusammenhang mit dem Petrobras-Skandal wurde er inhaftiert und verbrachte 2018 und 2019 insgesamt 18 Monate im Gefängnis. Seine Verhaftung war damals umstritten. Vergangenes Jahr wurden die gegen ihn verhängten Urteile vom Obersten Gerichtshof Brasiliens aus formalen Gründen aufgehoben.

Seit 2021 wieder auf WFP-Hungerkarte

Bolsonaro kam bei der Präsidentenwahl 2018 als Außenseiter an die Macht. Seine Anhänger mögen seinen radikalen Stil, seine Angriffe auf das „Establishment“ und seine Auftritte in Social Media. Seine Kritiker halten Bolsonaro vor, er habe wenig vorzuweisen außer hasserfüllte Sprüche, Missmanagement der Coronavirus-Pandemie und eine verheerende Umweltbilanz.

Unter Bolsonaros Führung wurde nicht nur die Abholzung des Amazonas-Regenwaldes vorangetrieben, auch der Hunger kam zurück nach Brasilien. Das Land stand 2021 wieder auf der Hungerkarte des Welternährungsprogramms (WFP), weil rund 29 Prozent der Bevölkerung in „mittlerer oder schwerer Ernährungsunsicherheit“ leben. Mit seinen Erlassen hat der Staatschef und Ex-Militär zudem den Zugang zu Schusswaffen stark erleichtert. Inzwischen gibt es fast doppelt so viele private Waffenbesitzer wie Polizisten.