Dries Van Noten auf der Fashion Week in Paris 2022
APA/AFP/Geoffroy van der Hasselt
Ausgebügelt

Knittermode und Textilexperimente

Wenn Designer Models auf den Laufsteg schicken, dann wird bis zuletzt auf jedes Detail geachtet. Dass bei den jüngst vergangenen Modewochen große Häuser – von Prada bis Burberry – zerknitterte Kreationen präsentierten, darf also als Absicht und somit Trend interpretiert werden: Faltenfrei war gestern. Dem Bügeleisen geht es aber auch von anderer Seite an den Kragen.

„Wrinkles, wrinkles everywhere“ („Falten, Falten überall“) titelte die „New York Times“ eine Zusammenschau der vergangenen Pariser Modewoche. „Die Schönheit in der Unvollkommenheit“ sieht die Kritikerin in den Frühjahrskollektionen 2023 etwa des Labels The Row der Ex-Kinderstarzwillinge Mary-Kate and Ashley Olsen und Jun Takahashis Entwürfe für die Marke Undercover.

Aber auch beim Traditionshaus Prada knitterte es auf den Laufstegen auffällig und somit laut „Guardian“ eindeutig absichtlich. Prada Kodesigner Raf Simons bezeichnete die Falten gegenüber der Zeitung als „Hauch des Fehlerhaften“ mit dem seine Kleider Stücken nachempfunden seien, die bereits „ein Leben gehabt hätten“. Dries van Noten schickte Heerscharen an Models in floralen Krinkelkleidern über den Laufsteg. Designer Olivier Rousteing nannte seine Show eine Reflexion über Zukunft und Klimakrise, die Kollektion, die er selbst sehr ungebügelt gekleidet präsentierte, sei „ein Liebesbrief“ an seinen Planeten.

Olivier Rousteing bei der Fashion Week in Paris 2022
Reuters/Johanna Geron
Balmain-Designer Olivier Rousteing mit Faltenkimonohemd

Die Perfektion von Designern wie Tom Ford fühle sich sehr überholt an, so auch Gary Armstrong, Stylist and Modechef des Magazins „Circle Zero Eight“. Der sehr teure, aber unordentliche Look, den man nun sehe, sei die moderne Art zu zeigen, wie reich man sei. Er führe das auch auf die Pandemie zurück, weil sich die Menschen daran gewöhnt hätten, Wert auf Bequemlichkeit zu legen.

Die Legende vom edlen Knitter

An den Anblick zerknitterter Kleidung musste man sich schon im letzten Sommer gewöhnen, als sich mit dem Leinencomeback ein Stoff zurücketablierte, den man jahrelang fast nur in der Trachtenabteilung finden konnte. Ob das Material tatsächlich „edel knittert“, wie es heißt, ist wohl eine Geschmacksfrage. Will man die Naturfaser halbwegs glatt tragen (bevor sie an gewollten Stellen Falten wirft), muss man doch einiges an Zeit am Bügelbrett einplanen.

Genau dort verbringen Österreicherinnen und Österreicher (und vermutlich nicht nur diese) aber besonders ungern ihre Zeit, wie Umfragen unterschiedlicher Institute regelmäßig belegen. Bügeln rangiert in der Hitliste der unbeliebtesten Haushaltstätigkeiten stets unter den Top Drei, mal vor, mal hinter Klo- und Fensterputzen.

Feindinnen und Feinde des Bügeleisens müssen nicht lange suchen, um Argumente gegen die verhasste Tätigkeit zu sammeln: Neben dem Zeitaufwand braucht ein Bügeleisen gar nicht so wenig Strom (die Stadt Florenz empfiehlt in Zeiten der steigenden Energiepreise, nur das Nötigste zu bügeln), und die Textilfasern verschleißen mit jeder Hitzebehandlung.

Pflegeleichte Kleidung mit Nachteilen

Trotzdem, egal was Designer auf Modewochen sagen und was an Models schick und teuer aussieht: Das zerknitterte Outfit im Alltag suggeriert nur selten Reichtum oder Absicht. Der Textilindustrie ist dieser Umstand wohl bewusst und so steigt das Angebot an „bügelfreier“ oder „knitterarmer“ Kleidung stetig an.

Julia Fox bei der New York Ballet Fall Fashion Gala 2022
Reuters/IPX/MediaPunch/Bauer Griffin
Wenig alltagstaugliche Zac-Posen-Robe im Knitterlook

Wie der „Guardian“ den Marketingchef des britischen Herrenmodeversands Charles Tyrwhitt zitiert, „wollen Männer ein einfaches Leben“ und die Nachfrage nach bügelfreien Produkten sei „jetzt größer als je zuvor“. Nicht mehr nur Shirts und Hemden seien hierbei gefragt: „Wir sehen eine Explosion beim Verkauf bügelfreier Hosen.“ Bei allen namhaften Modeketten und großen Hemdenherstellern finden sich die leicht geglätteten Modelle im Sortiment.

Nachhaltige Schwierigkeiten

In Sachen Nachhaltigkeit ist der Trend aber nicht ganz unproblematisch und als „bügel-“ oder „knitterfrei“ angepriesene Produkte sollten immer genauer unter die Lupe genommen werden. Gar nicht neu, besonders pflegeleicht, billig und quasi von alleine glättend sind etwa Kleidungsstücke aus Polyester- und Nylonfasern, die bei hohem Anteil aber auch einiges an Negativeigenschaften einbringen. Fehlende Atmungsaktivität schmälern den Tragekomfort und machen die Kleidung etwa stärker anfällig für Geruchsbildung beim Schwitzen. In Sachen Nachhaltigkeit schneiden die Kunstfasern zudem schlecht ab, was die Herstellung angeht ebenso wie das Recycling.

Mann bügelt Hemden
Getty Images/Hispanolistic
Bügeln gehört Umfragen zufolge zu den unbeliebtesten Haushaltstätigkeiten

Auch wenn das Label „100 Prozent Baumwolle“ verspricht. Um Naturfasern bügelfrei oder zumindest knitterarm zu bekommen, werden die Textilien oft mittels eines aufwendigen Verfahrens mit Spezialkunststoff beschichtet. Häufig kommen auch formaldehydhaltige Kunstharze zum Einsatz, um die Fasern stabiler zu machen. Beim Kauf von „knitterfreien“, „bügelleichten“ oder „bügelarmen“ Kleidungsstücken empfiehlt sich daher ein Extrablick auf Ökozertifizierungen und Materialhinweise.