Deutschlands Finanzminister Christian Lindner im Gespräch mit Amtskollegen in Luxemburg
European Union
Anhaltende Kritik

Deutsche Gaspreisbremse irritiert EU

Die in Deutschland angesichts der laufenden Energiekrise beschlossene Gaspreisbremse sorgt auf europäischer Ebene weiter für Unruhe. Deutlich wurde das am Dienstag bei einem Treffen der Euro-Finanzminister in Luxemburg. Während Deutschlands Finanzminister Christian Lindner sich weiter um Beschwichtigung bemühte, verweisen andere Länder darauf, sich einen mit dem deutschen 200-Milliarden-Euro-Hilfspaket vergleichbaren Vorstoß im Alleingang schlichtweg nicht leisten zu können.

Lindner verteidigte die deutsche Vorgangsweise als „Abwehrschirm“ gegen den „Energiekrieg“, den Russland mit dem Einmarsch in die Ukraine entfacht hat. Deutschland zeige Russlands Präsidenten Wladimir Putin damit, dass man die wirtschaftliche Stärke habe, um sich zu schützen. Da andere Länder eben nicht über eine mit Deutschland vergleichbare Wirtschaftsstärke verfügen, liegt Beobachtern zufolge genau hier aber auch der Hintergrund der Unruhe, die durch die deutsche Gaspreisbremse ausgelöst wurde.

Dass man „eine große gemeinsame Verantwortung“ habe, „den Schock des russischen Energiekrieges abzudämpfen“, stellt auch Lindner außer Frage. Gleichzeitig weist er Kritik an der deutschen Gaspreisbremse strikt zurück. Die gesetzten Maßnahmen seien „gemessen an der Größe der deutschen Volkswirtschaft und gemessen an der Laufzeit bis zum Jahr 2024 in der Proportion“ vielmehr angemessen und auch im Vergleich zu den Paketen anderer Staaten „gewiss nicht überdimensioniert“. Abgesehen davon habe die deutsche Regierung beschlossen, „möglichst wenig von den 200 Milliarden Euro einzusetzen“, so Lindner, der sich somit auch weiterhin als Kämpfer gegen übermäßige Schulden sieht.

„Mit gutem Recht“ ergriffene Maßnahmen

Unterstützung bekam Lindner am Dienstag von Deutschlands Kanzler Olaf Scholz. Wie dieser am Dienstag bei einem Treffen mit dem niederländischen Premier Mark Rutte in Berlin sagte, seien einige andere EU-Länder „schon längst dabei, mit großer Unterstützung, mit Maßnahmen exakt das zu tun, was wir uns für dieses Jahr und die nächsten beiden Jahre vorgenommen haben“. EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton wisse sicher, „dass die Maßnahmen nicht singulär sind, sondern auch anderswo ergriffen werden, und mit gutem Recht im Übrigen“, so Scholz wohl in Anspielung auf Kritik vonseiten der EU-Kommission.

„Wirft Fragen auf“

In einem gemeinsamen Gastbeitrag der EU-Kommissare für Wirtschaft und Binnenmarkt, Paolo Gentiloni und Breton, in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ („FAZ“, Dienstag-Ausgabe) hieß es zuvor, dass Deutschlands Vorgangsweise durchaus Fragen aufwerfe. Demzufolge gebe es „Mitgliedsstaaten, die nicht über denselben haushaltspolitischen Spielraum wie Deutschland verfügen“ und deshalb womöglich ihre Verbraucher und Wirtschaft nicht gleichermaßen unterstützen könnten, heißt es in dem Text. Der Italiener Gentiloni und der Franzose Breton plädieren deshalb für „gemeinsame europäische Instrumente“.

Als Modell verweisen sie auf das SURE-Programm, das die EU in der Coronavirus-Krise aufgelegt hatte. Es stellt Mitgliedsstaaten günstige EU-Kredite zur Verfügung, insbesondere für den Bereich der Kurzarbeit. Auch Frankreichs Präsident Emanuel Macron drängt die EU seit Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine zu einem gewichtigen Instrument nach dem Vorbild des von ihm angestoßenen CoV-Wiederaufbaufonds.

Eine Absage dazu kommt aus Deutschland. Man könne die Instrumente der CoV-Krise nicht „eins zu eins“ auf die heutige Lage übertragen, wie Lindner dazu in Luxemburg sagte. Für alternative EU-Instrumente zeigte sich Lindner dagegen offen. „Wir müssen beim gemeinsamen Gaseinkauf Fortschritte machen, wir müssen das Strommarktdesign verändern“, wie Lindner wohl auch mit Blick auf den am Donnerstag in Prag anstehenden informellen Gipfel der EU- und Staatschefs sagte. Noch diese Woche stünden womöglich zentrale Weichenstellungen für Europas Weg durch die Energiekrise an.

Scholz verteidigt Gaspreisbremse

Die in Deutschland im Rahmen der laufenden Energiekrise beschlossene Gaspreisbremse hat auf europäischer Ebene für Unruhe gesorgt. Bundeskanzler Olaf Scholz verteidigte die Maßnahme. Einige andere EU-Länder seien „schon längst dabei, mit Maßnahmen exakt das zu tun, was wir uns für die nächsten beiden Jahre vorgenommen haben“, sagte er bei einem Treffen mit dem niederländischen Premier Mark Rutte in Berlin. EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton wisse sicher, „dass die Maßnahmen nicht singulär sind, sondern auch anderswo ergriffen werden, und mit gutem Recht im Übrigen“, so Scholz wohl in Anspielung auf Kritik vonseiten der EU-Kommission.

„Dem Rest Europas den Mittelfinger gezeigt“

Länder wie Italien, Spanien oder Luxemburg kritisierten indes weiter Deutschlands Gaspreisbremse. So wie die EU-Kommission machten auch sie deutlich, dass nicht alle Länder die finanziellen Mittel hätten, um solche Maßnahmen zu finanzieren, und daher der Binnenmarkt verzerrt werden könnte. Der scheidende italienische Regierungschef Mario Draghi warnte vor „gefährlichen und ungerechtfertigten Verzerrungen des Binnenmarktes“, wenn sich die EU-Staaten mit ihren Entlastungspaketen überböten. Ungarns Premier Viktor Orban ortete schließlich einen „Beginn des Kannibalismus in der EU“.

Für das europäische Nachrichtenportal von Politico stand dann auch im Vorfeld des Finanzministertreffens außer Frage, dass es für Lindner in Luxemburg „harte Fragen seiner europäischen Kollegen“ geben werde. Diese seien über den deutschen Alleingang schlichtweg „schockiert“, so Politico mit dem Verweis, dass Deutschland zum einen auf EU-Ebene eine Obergrenze für die Gaspreise zwar blockiert, im eigenen Land aber einen 200 Milliarden Euro schweren Gaspreisdeckel absegnet. „Deutschland hat dem Rest Europas mit diesem Paket den Mittelfinger gezeigt“, sagte Politico zufolge ein EU-Beamter hinter vorgehaltener Hand – und das habe „die Stimmung in den anderen Ländern sehr aufgeheizt“.

Den Politico-Angaben zufolge gebe es innerhalb der EU-Mitgliedsstaaten schließlich auch Stimmen, die Deutschland nicht nur vorwerfen, sich mit Milliardensubventionen einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen – sondern auch, dass Deutschland die laufende Krise mit seiner bisherigen Energiepolitik auch mitverursacht habe. Einige EU-Mitgliedsländer seien „der Meinung, dass Deutschland die Verantwortung hat, Solidarität zu zeigen und sich nicht nur um sich selbst zu kümmern – nicht zuletzt, weil Berlin Gasprom dabei geholfen hat, seine Vormachtstellung in Europa auszubauen“.

Brunner gegen „nationale Alleingänge“

Auch Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) sprach sich im Vorfeld des Euro-Finanzministertreffens gegen „nationale Alleingänge“ aus und plädierte für ein gemeinsames europäisches Vorgehen gegen die Energiekrise. Abermals stellte Brunner einen europäischen Deckel auf Gasmengen, die für die Verstromung benötigt werden, in den Raum. „Zu wenig weit“ geht Österreich die kürzlich von der EU-Kommission vorgeschlagene Abschöpfung von Krisengewinnen von Energieunternehmen. Dabei handle es sich bloß um eine „Symptombekämpfung“, so Brunner, demzufolge es nun viel wichtiger sei, das Design des europäischen Energiemarktes „in Angriff zu nehmen“ und die Entkoppelung von Gas und Strom auf EU-Ebene voranzutreiben.

Offene Fragen auch bei deutschen Bundesländern

Für Debatten sorgt die beschlossene Gaspreisbremse auch in Deutschland selbst. Die deutschen Bundesländer forderten vor einem am Dienstag angestandenen Treffen mit Kanzler Scholz Klarheit über die Finanzierung von Entlastungsmaßnahmen. Unklarheit gab es etwa darüber, wie die Gaspreise gedeckelt werden. „Das muss jetzt zügig geklärt werden“, forderte etwa der Nordrhein-Westfalens Regierungschef Hendrik Wüst: Familien und Unternehmen müssten zu Beginn der Heizperiode wissen, woran sie sind.

Die deutsche Regierung einigte sich Ende September auf das von Scholz als „Doppelwumms“ bezeichnete und bis zu 200 Mrd. schwere neue Entlastungspaket. Erklärtes Ziel des als „Abwehrschirm“ bezeichneten Pakets sei es nach Angaben der deutschen Regierung, Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen in der Energiekrise vor untragbaren Kosten zu schützen. Zentraler Punkt des Hilfspakets ist eine staatliche Subvention für den „Basisverbrauch“ an Gas bis Ende des Winters 2023/24.

Zwanzig Milliarden für Erneuerbare

Um weit längerfristig angelegte Investitionen geht es bei einem in Luxemburg auf Finanz- und Wirtschaftsministerebene abgesegneten 20-Milliarden-Paket. Konkret will man Mittel in dieser Größenordnung aus dem Coronavirus-Aufbaufonds umfunktionieren und die Gelder zusätzlich für Investitionen im Energiebereich bereitstellen. Damit wolle man sich weiter von fossilen Brennstoffen aus Russland lösen und mehr in erneuerbare Energien investieren.

Zur Umsetzung des Vorhabens können die EU-Länder nun ihre Coronavirus-Aufbaupläne ändern, wie aus der Mitteilung der Staaten hervorgeht. Die EU-Kommission hatte im Mai angekündigt, dass noch 225 Milliarden Euro an Darlehen aus dem CoV-Aufbauinstrument RRF zur Verfügung stünden. Der RRF kann der Mitteilung zufolge auch noch durch Transfers aus anderen EU-Fonds aufgestockt werden. Das EU-Parlament muss dem Vorhaben noch zustimmen. Dann können die Staaten und das Parlament darüber verhandeln, bevor es in Kraft treten kann.