Trotz Installation

Lueger-Denkmal sorgt weiter für Debatten

Nach scheinbar endlosen Jahren Erinnerungsdebatte ist heute ein Anfang erfolgt: Die große Holzinstallation „Lueger Temporär“ des Künstlerduos Nicole Six und Paul Petritsch wurde eröffnet. Ein Jahr lang wird sie das umstrittene Karl-Lueger-Denkmal am Wiener Stubenring „kontextualisieren“. Die Geschäftsführerin von Kunst im Öffentlichen Raum (KÖR), Martina Taig, sprach von einer „treffenden und durchdachten Arbeit“, die „zur Debatte anregt“ – und die ist schon wieder voll im Gang. Von den Jüdischen österreichischen Hochschüler:innen bis zu den Grünen gab es Kritik.

Man sei streckenweise kaum zum Aufbauen gekommen, weil das Passanteninteresse so groß war, hieß es vom Team, das für die Installation von „Lueger Temporär“ zuständig war, vorab gegenüber ORF.at. Am Mittwoch wurde das Kunstwerk, das sich seit einigen Tagen als imposanter Blickfang auf dem Wiener Lueger-Platz im ersten Wiener Gemeindebezirk auftürmt, eröffnet. Mit Holzlatten in allen Signalfarben, die sich auf einer Länge von 39 Metern um ein hohes Holzgerüst quer über den Lueger-Platz aufspannen, verbindet der Entwurf die Ästhetik von Vergnügungsparks mit konzeptueller Strenge.

Hinter den bunt lackierten Formen stecken maßstabsgetreu nachgebildete Silhouetten von allen Wiener Lueger-Denkmälern und Gedenktafeln. Sie verweisen darauf, dass der umstrittene ehemalige Wiener Bürgermeister (1897 bis 1910) gleich 15-mal quer über Wien verteilt geehrt wird – von der Penzinger Lueger-Brücke über das Ehrengrab am Zentralfriedhof bis zur Lueger-Gedenktafel im Haizingergasse-Gymnasium im 18. Bezirk.

Die knapp 13 Meter hohe und 25 Meter lange Holzkonstruktion „Lueger temporär“ von Nicole Six und Paul Petritsch am Dr.-Karl-Lueger Platz in Wien
APA/Hans Klaus Techt
Die bunten Holzsilhouetten verweisen auf 15 weitere Lueger-Denkmäler und -Ehrungen in Wien

Mit dem Kunstwerk wollen Six und Petritsch die Erinnerungsdebatte über das Lueger-Denkmal gleich auf die ganze Stadt ausweiten, so erklärt das Konzeptkunstduo seinen Entwurf im ORF.at-Video. KÖR-Kuratorin Cornelia Offergeld sprach zur Eröffnung von einem „klaren, ordnenden Blick“. Hier werde „nicht im Geringsten verehrt, sondern eine Grundlage für Diskussion geschaffen“.

Gewünschter Prozess statt Ende der Debatte

Karl Lueger gilt unumstritten als prononcierter Antisemit, eine Intervention galt längst als überfällig, weswegen die Stadt Wien kurzerhand „Lueger Temporär“ einschob. Im Herbst 2023 soll das Projekt durch eine permanente Kontextualisierung ersetzt werden, ein Wettbewerb mit 15 geladenen Künstlerinnen und Künstlern soll demnächst starten.

Den Faktor zeitliche Befristung griffen Petritsch und Six in ihrem Kunstwerk auf: Den massiven Materialien des Ehrenmals – Stein und Bronze – stellen sie ein Gerüst aus billigen Bauholzlatten entgegen, das, so die Intention, ruhig die Spuren der Zeit tragen darf: Prozess also statt Ende der Debatte.

Künstlerduos Nicole Six und Paul Petritsch
ORF.at
Six und Petritsch vor ihrem Modell: Das Künstlerduo wurde im Frühjahr eingeladen, eine Kontextualisierung zu entwerfen

Enttäuschung über „Verschweigen des Antisemitismus“

Die Künstler wollen ihre Arbeit auch nicht als „Lösung“ verstanden wissen, sondern als „einen Entwurf von vielen“ liefern – was die Kritik rund um die Eröffnung aber nicht schmälerte. Während die Wiener FPÖ sich vor allem an den Kosten von 100.000 Euro stieß, lautete andererseits der Grundtenor: von kritischer Kontextualisierung keine Rede. Die Installation verschweige Luegers Antisemitismus „zur Gänze“, zeigten sich die Jüdischen österreichischen Hochschüler:innen am Mittwoch in einer Aussendung enttäuscht und forderten auf Plakaten am Ort des Geschehens: „Antisemitismus thematisieren – nicht bunt dekorieren“.

„Eine weitere Überhöhung der Figur Lueger“ orteten die Wiener Grünen, ähnlich auch Benjamin Kaufmann, Kopräsident der Internationalen Liga gegen Rassismus und Antisemitismus in Österreich (LICRA), die sich seit Jahren für eine Neugestaltung des Denkmals engagiert: „Unser Begehren war die Entehrung Luegers, nicht seine Vervielfachung“, so Kaufmann zu den 15 Denkmalsilhouetten gegenüber ORF.at.

Detailaufnahme Holzkonstruktion „Lueger temporär“ von Nicole Six und Paul Petritsch am Dr.-Karl-Lueger Platz vor dem Lueger-Denkmal in Wien
APA/Hans Klaus Techt
Keine Antisemitismus-Thematisierung, keine klare Kritik: Kritikerinnen und Kritikern ist das Projekt zu uneindeutig

Petritsch und Six verwiesen dagegen auf den impliziten Bruch im Kunstwerk: Die 15 Silhouetten stehen nicht aufrecht, sondern sind an die Holzkonstruktion angelehnt. Die Anspielung auf eine Depotsituation vermag aber so mancher als künstlerische Spitzfindigkeit nicht gelten lassen. Jegliche Ehrung von Lueger sollte „unmissverständlich verhindert werden“, hatte sich LICRA bereits vor zwei Jahren für eine dezidiert kritische Gestaltung ausgesprochen.

Aufgeladene Erinnerungsdebatte

Dass Petritsch und Six so viel Kritik einstecken müssen, hat aber wohl nur zu einem Teil mit ihrem Projekt zu tun. Der aktuellen Erregung liegt eine exorbitant lange und lange konsequenzenlose Debatte zugrunde, die dazu führte, dass in zig Anläufen und Schleifen darüber debattiert wurde, wie massiv mit der Ehrung gebrochen werden muss. Die Notwendigkeit einer Platzneugestaltung stand außer Frage, diskutiert wurde hingegen das „Wie“.

Während sich viele für eine Entfernung im bereits von Denkmälern „überbevölkerten öffentlichen Raum“ aussprachen, plädierten andere für einen Erhalt zur Geschichtssensibilisierung (ein Punkt, der wiederum von den Gegnern mit Verweis auf bessere Orte bezweifelt wurde). 2020 erteilte die Stadt dann der Entfernung eine Absage und sprach sich für eine sanftere „Kontextualisierung“ aus – nicht unbedingt zur Freude der meisten Expertinnen und Experten.

Das Lueger Denkmal in Wien mit Graffiti „Schande“
APA/Roland Schlager
Mit einer „Schandwache“ entfachte eine Künstlergruppe 2020 erneut die Diskussion um das Denkmal. Die Graffitis von damals sind erhalten geblieben.

Keine Antwort an Holocaust-Überlebende

Durch die lange Debattendauer mangelte es zudem nicht an konkreten Umgestaltungsvorschlägen, die bereits vorab im Raum standen: Schon beim inoffiziellen Wettbewerb von 2009 gab es über 200 Einreichungen, im Laufe der Jahre kamen aus der Kulturszene etliche weitere selbst gestrickte Umgestaltungsideen hinzu, unter anderem von der „Grünen“-Politikerin Eva Blimlinger (Spiegelung durch ein Theodor-Herzl-Denkmal) oder vom „Falter“-Journalisten Klaus Nüchtern. Fast fühlte man sich an die Millionen österreichischen Teamchefs erinnert, die im Fußball genau wissen, wie es am besten gehen muss.

Und auch die Stadt Wien reagierte nicht immer glücklich: Als im Juni dieses Jahres mehrere Holocaust-Überlebende in einem offenen Brief prominent die Entfernung der überlebensgroßen Bronze forderten, blieb man eine Antwort einfach schuldig. Nur eine Woche später überraschte die Stadt mit der Ankündigung, dass Six und Petritsch für eine „temporäre Lösung“ beauftragt wurden – was Kritiker dann als Versuch einer Übertönung lasen.

Eine Installation als Debattenort

Die Diskussion ist jedenfalls nicht zu Ende – was auch wohl im Sinn von „Lueger Temporär“ ist. Im ORF.at-Gespräch sprachen Six und Petritisch vom expliziten Wunsch, dass ihre Installation zum Debattenort wird: Plakate und Zettel dürfen etwa an die Holzkonstruktion angetackert werden. Bleibt abzuwarten, ob ihre Referenz an die Depotsituation konkret Wirklichkeit wird. Weitere Kontextualisierungen stehen jedenfalls an: Von den 15 Wiener Lueger-Ehrungen, die „Lueger Temporär“ schemenhaft aufgreift, sind aktuell nur vier kritisch kommentiert.