Countrysängerin Loretta im Jahr 2000
AP/Christopher Berkey
1932–2022

Country-Ausnahmestar Loretta Lynn ist tot

Mehr als 60 Jahre hat sie die US-Country-Musikszene geprägt, jetzt ist Loretta Lynn 90-jährig gestorben. Als bereits vierfache Mutter landete sie 1960 ihren ersten Hit „I’m a Honky Tonk Girl“, der zugleich zu ihrem Spitznamen wurde. Immer wieder thematisierte sie ihre Herkunft aus den ärmlichen Verhältnissen einer Bergarbeiterfamilie und zeichnete in ihren Songs das Bild einer trotzigen, starken Frau, das so gar nicht zum stereotypen Image der meisten Country-Sängerinnen passte.

„Unsere geliebte Mutter Loretta Lynn ist heute Morgen, am 4. Oktober, zu Hause auf ihrer geliebten Ranch in Hurricane Mills friedlich im Schlaf verstorben“, teilte ihre Familie am Dienstag in Tennessee mit. Ihre größten Hits hatte sie in den 1960er und 70er Jahren, darunter „Coal Miner’s Daughter“, „You Ain’t Woman Enough“, „The Pill“, „Don’t Come Home a Drinkin’ (With Lovin’ on Your Mind)“, „Rated X“ und „You’re Looking at Country“.

Schon die Songtitel verraten, dass Lynns Songs sich häufig weitab der Klischees der heilen County-Welt bewegten. Sie schrieb furchtlos über Sex und Liebe, betrügende Ehemänner, Scheidung und Geburtenkontrolle und bekam manchmal Ärger mit den Radiostationen für Texte, vor denen selbst Rockmusiker früher zurückschreckten.

„Habe für uns Frauen geschrieben“

„Es war das, was ich hören wollte und von dem ich wusste, dass andere Frauen es auch hören wollten“, sagte Lynn 2016 der AP. „Ich habe nicht für die Männer geschrieben, sondern für uns Frauen. Und die Männer liebten es auch.“

Neben ihren Solosongs bildete sie mit dem Sänger Conway Twitty eines der populärsten Duos in der Country-Musik mit Hits wie „Louisiana Woman, Mississippi Man“ und „After the Fire Is Gone“, für die sie einen Grammy Award erhielten. Der musikalische Schlagabtausch „You’re the Reason Our Kids Are Ugly“ gilt textlich als Ausnahmeerscheinung im County-Genre – und als Kultsong.

Oscarprämiertes Biopic

Schon 1969 veröffentlichte sie ihr autobiografisches Buch „Coal Miner’s Daughter“, mit dem sie ein noch größeres Publikum als mit ihren Songs erreichte. 1980 wurde das Buch mit Sissy Spacek in der Hauptrolle verfilmt, sie erhielt dafür den Oscar als beste Hauptdarstellerin.

Lynn wurde als Loretta Webb als zweites von acht Kindern in der Nähe der Kohleminenstadt Van Lear in den Bergen von Ostkentucky geboren. Ihr Vater, ein Bergarbeiter, spielte Banjo, ihre Mutter Gitarre, und sie wuchs mit den Liedern der Carter Family auf, erzählte sie in ihrer Autobiografie.

24 Nummer-eins-Hits in den Country-Charts

Schon mit 15 Jahren heiratete sie Oliver „Mooney“ Lynn, der sie dazu drängte, professionell zu singen: Er managte die Karriere seiner Frau, das Paar bekam sechs Kinder und blieb zusammen, bis Oliver Lynn 1996 starb. Auch mit seiner Hilfe erhielt sie einen Plattenvertrag bei Decca Records, später MCA, und trat auf der Bühne der Grand Ole Opry, der in Nashville aufgezeichneten langlebigsten Radioshow der US-Rundfunkgeschichte, auf.

Country-Sängerin Loretta Lynn
AP/Invision/Rich Fury
Lynn bei einem Auftritt 2016

Erfolge in den Billboard-Charts blieben ihr in den folgenden Jahrzehnten zwar verwehrt, die Country-Charts eroberte sie aber regelmäßig. Mit 24 Songs stand sie an der Spitze der Singlecharts, elf Alben eroberten Platz eins. Die Academy of Country Music wählte sie zur Künstlerin des Jahrzehnts in den 1970er Jahren, und 1988 wurde sie in die Country Music Hall of Fame aufgenommen.

Späte Grammy-Erfolge mit Jack White

Lange nach ihrer erfolgreichsten Zeit gewann Lynn 2005 zwei Grammys für ihr Album „Van Lear Rose“, eine Zusammenarbeit mit Jack White von den White Stripes, der das Album produzierte und die Gitarrenparts spielte.

Selbst in ihren späten Jahren schien Lynn nie mit dem Schreiben aufzuhören und schloss 2014 einen Vertrag über mehrere Alben mit Legacy Records ab, einer Abteilung von Sony Music Entertainment. Im Jahr 2017 erlitt sie einen Schlaganfall, der sie dazu zwang, ihre Auftritte zu verschieben. Im März 2021 brachte sie ihr 46. und letztes Studioalbum heraus: Mit „Still Woman Enough“ trägt es denselben Titel wie ihre 2002 erschienene zweite Autobiographie.