Physiker Florian Aigner
ORF
Quantenverschränkung

Eine Erklärung mit zwei bunten Schleifen

Der österreichische Physiker Anton Zeilinger hat gemeinsam mit Alain Aspect und John Clauser den Nobelpreis bekommen – für seine Forschung zu Quantenverschränkung. Doch was ist das und wie funktioniert es? Der Physiker Florian Aigner hat das gegenüber der ZIB Nacht ganz einfach erklärt: mit zwei Kuverts und zwei bunten Schleifen.

Eine Schleife ist rot, die andere blau. Wenn man die Schleifen jeweils in ein Kuvert gebe und die beiden Kuverts ein bisschen mische, wisse man nicht mehr, welche Schleife wo ist, so Aigner in seiner Erklärung gegenüber der ZiB Nacht. Man wisse nur, dass in einem Kuvert eine rote und in einem eine blaue Schleife stecke. Schaue man in ein Kuvert, wisse man auch, welche Farbe in dem anderen Kuvert ist.

In der Quantenphysik sei es allerdings anders: Quantenobjekte könnten unterschiedliche Zustände gleichzeitig annehmen. Ein Atom zum Beispiel könnte sich gleichzeitig im und gegen den Uhrzeigersinn drehen, so der Physiker. Umgelegt auf die Schleifen in den Kuverts könnte eine Schleife gleichzeitig rot und blau sein. „Das bedeutet nicht, dass ich die Farbe nicht kenne, sondern dass das Teilchen seinen Zustand nicht selbst kennt. Die Natur kennt den Zustand selbst nicht. Das Universum hält diese Information nicht bereit“, so Aigner.

Physiker Aigner erklärt die Quantenverschiebung

Der Österreicher Anton Zeilinger ist mit dem Physiknobelpreis ausgezeichnet worden. Worum es bei seiner Forschung geht, erklärt der Physiker und Publizist Florian Aigner.

Ein Teilchen wird weit weggeschossen

Erst wenn man das Teilchen messe, also nachschaue, zwinge man die Natur, sich festzulegen. Und dann komme eines der möglichen Ergebnisse heraus. Aigner öffnete ein Kuvert – in diesem Fall jenes mit der blauen Schleife. Umgelegt auf die Quantenverschränkung bedeute das, dass zwei Teilchen, die sich im Überlagerungszustand befinden, rot und blau gleichzeitig sind. Aber aufgrund der Verschränkung wisse man immer noch, dass man ein rotes und ein blaues habe. Wenn man ein Teilchen weit wegschieße, irgendwohin, bleibe das andere Teilchen da. Und hier setze die Messung an.

Durch die Messung, durch die Beobachtung zwinge man das Teilchen nun, sich festzulegen. In diesem Fall sei es blau, kam Aigner wieder auf die Farben der Schleifen in den Kuverts zurück. Vorher sei das Teilchen rot und blau gleichzeitig gewesen. Aufgrund der Verschränkung wisse man auch, dass das andere Teilchen jetzt rot sei.

„Am anderen Ende der Galaxie“

Das heiße, man habe durch die Messung „hier bei diesem Teilchen auch den Zustand des anderen Teilchens festgelegt, das sich völlig woanders befindet“, so Aigner. Das sei das Verrückte an der Quantenverschränkung: dass man durch die Messung an einem Teilchen auch den Zustand eines anderen Teilchens festlege. Dieses könne sich auch am anderen Ende der Galaxie befinden.

„Albert Einstein hat gesagt, das kann nicht sein, das wäre eine spukhafte Fernwirkung“, so Aigner. „Aber Anton Zeilinger und andere Leute haben in Experimenten bewiesen, dass das tatsächlich sein kann. Die Quantenphysik ist tatsächlich so seltsam“, so Aigner.

Von Quantencomputer bis zu neuen Materialien

Auch für praktische Anwendungen ist die Quantenverschränkung von Relevanz. „Die Quantenkryptografie ist eine ganz klassische Anwendung von Quantenverschränkung“, so Aigner weiter. Es sei möglich, einen Informationskanal zwischen Sender und Empfänger aufzubauen, der tatsächlich mit herkömmlichen Methoden nicht abgehört werden könne, so der Physiker.

Es falle auch immer wieder der Begriff des Quantencomputers, da passiere gerade recht viel. Man wisse allerdings noch nicht so recht, wohin die Reise geht. Die Quantenverschränkung sei aber auch auf diesem Feld entscheidend. Das gehe bis zu „Themen, die sich ein bisschen anders anfühlen“, so Aigner.

Als Beispiele nannte er etwa die Suche nach neuen Materialien. Diese könnten ganz neue Eigenschaften haben, wenn die Quantenverschränkungen zwischen Teilchen in diesen Materialien eine wichtige Rolle spiele. Für all das brauche man aber zuerst ein fundamentales Wissen über die Grundlagen, so Aigner.

Quantenphysiker Anton Zeilinger
AP/Theresa Wey
Anton Zeilinger vor seiner Pressekonferenz anlässlich des Nobelpreises

Wissenschaftler: Auch Preis für „Grundlagenforschung“

Als Auszeichnung für jemanden, der sich „außenseiterisch“ und damit visionär mit fundamentalsten Fragestellungen ergebnisoffen auseinandergesetzt habe, werteten Kollegen die Zuerkennung des Physiknobelpreises an Zeilinger. Gleichzeitig betonten die von der APA befragten Physiker, dass es ein Preis für die Grundlagenforschung sei und dass es sich lohne, über Jahrzehnte hinweg mutig in diesen Bereich zu investieren.

Der Quantenphysiker Markus Arndt von der Universität Wien sieht in der Zuerkennung des Nobelpreises „eine großartige Anerkennung für einen Mann mit einer unglaublichen Gabe und Energie, innovative Forschung über Jahrzehnte immer wieder neu anzustoßen und dabei alles und jeden permanent zu hinterfragen“. Zeilinger habe die Gabe, die Wichtigkeit von Themen zu sehen, bevor sie Trend werden.

Er habe sich immer für die scheinbaren Widersprüche der Quantenphysik zur Alltagswelt interessiert und für die Frage, warum die Quantenmechanik so anders ist als unsere Alltagswahrnehmung. Diese „Seltsamkeit“ habe Zeilinger bereits in vielen verschieden Systemen untersucht, mit Neutronen, Atomen, ultrakalten Quantengasen, Molekülen, Photonen und Festkörpern.

Aspelmeyer: Risikobereit und gleichzeitig offen

Für den Quantenphysiker Markus Aspelmeyer von der Uni Wien wird „eine Forscherpersönlichkeit ausgezeichnet, die die Wissenschaft und die Physik in ihrer gesamten akademischen Laufbahn stark geprägt hat, durch die Wissenschaft, die sie geschaffen hat, und durch die Art und Weise,wie er sie vertritt und kommuniziert“. Er sei damals aus der Materialwissenschaft als Postdoc zu Zeilinger gekommen, was zeige, „wie risikobereit und gleichzeitig offen er war, jemanden ohne Erfahrung, aber vielleicht mit neuen Ideen zu nehmen“.

Die von Aspect, Clauser und Zeilinger durchgeführten Experimente markieren für Rainer Blatt von der Universität Innsbruck und dem Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) „den Beginn des Fachgebietes, das wir heute als ‚Quantum information science‘ kennen“. Mit der Auszeichnung würden auch die österreichischen Beiträge zu den Grundlagen der Quantenphysik gewürdigt, die Zeilinger mit seiner Arbeitsgruppe in den vergangenen Jahren geleistet habe.

Das sei auch eine Anerkennung für die breite Unterstützung, die die Quantenphysik in Österreich durch den Wissenschaftsfonds FWF und das Bildungsministerium über Jahrzehnte erhalten habe.

Anerkennung für „außenseiterische“ Forschung

Der Quantenphysiker Philip Walther von der Universität Wien verweist darauf, dass sein Doktorvater Zeilinger die mit dem Nobelpreis ausgezeichneten Experimente zu einem Zeitpunkt gemacht hat, „als diese Art der Forschung als außenseiterisch gegolten hat. Das zeigt, wie visionär oder überzeugt er von seiner Forschung war und ist.“ Walther sieht die Auszeichnung auch als „Inspiration und Bestätigung“ dafür, sich „auf die wesentlichen und großen Fragen in der Forschung zu fokussieren. Nur allzu oft gibt es Druck bzw. Vorgaben von Forschungsmittelgebern, sich auch auf nahe Ziele wie Anwendungen zu fokussieren.“

Auch für Aspelmeyer ist das ein „Nobelpreis für die Grundlagenforschung, vergeben für Forschung, die sich mit den fundamentalsten Fragestellungen auseinandersetzt“. Für die Physik zeige es, „dass es sich lohnt, an grundlegende Fragestellungen ergebnisoffen, ‚blue sky‘ zu arbeiten; für den Wissenschaftsstandort Österreich, dass es sich lohnt, über Jahrzehnte hinweg mutig in Grundlagenforschung zu investieren“.

Schmiedmayer: Lange Zeit belächelt

Der Quantenphysiker Jörg Schmiedmayer von der Technischen Universität (TU) Wien erinnerte daran, dass Zeilinger einmal gesagt habe, man solle stolz darauf sein, etwas zu tun, von dem jeder denkt, dass es keinen Nutzen hat. Die Verschränkung sei eine solch fundamentale Fragestellung, die lange Zeit extrem belächelt worden sei. „Doch die ganz fundamentalen Fragen bringen die meisten Umwälzungen, wenn man sie versteht.“

Arndt erinnerte daran, dass in Zeilingers Umfeld „Dutzende wissenschaftliche Karrieren entstanden sind – in einem wissenschaftlichen Umfeld, das extrem kreativ und hoch kompetitiv ist“. Für Schmiedmayer hat Zeilinger „ein sehr gutes Händchen gehabt, wer die wirklich guten Leute sind, die wirklich unabhängig denken. Er hat die richtigen Leute angezogen und konnte sie begeistern.“ Das Wichtigste sei, den jungen Leuten Möglichkeiten zu geben, „und das hat er gemacht“.

„Wir alle freuen uns ungemein mit ihm; aber auch darüber, dass diese Leistungen in Österreich, konkret auch in Innsbruck, passiert sind“, sagte der Innsbrucker theoretische Physiker Peter Zoller. Für ihn steht der Nobelpreis für Zeilinger auch symbolhaft dafür, „dass Österreich heute in Quantenphysik über alle Generationen und viele Forscher hinweg wissenschaftlich als ein Zentrum wahrgenommen wird“.