Bogdan Roščić und Philippe Jordan
Screenshot: youtube.com
Wiener Staatsoper

Das Ende einer Wunschpartnerschaft

Dass eine Neuausrichtung der Staatsoper alles andere als ein Honiglecken ist, hat zur Jahrhundertwende bereits ein Gustav Mahler erfahren müssen. Alles neu sollte es am Wiener Haus am Ring unter dem Kreativteam Bogdan Roscic und Musikchef Philippe Jordan werden. In der Pandemie sah man das Gespann unter enormem Kraftaufwand gemeinsam ein Programm stemmen. Jetzt scheint alles Porzellan zerbrochen. Und eine Regietheaterdebatte aus dem Hut gezaubert, der eher eines fehlt: ein Maß an Überzeugungskraft.

Wie ein Opernhaus richtig zu führen sei, das meinen hierzulande zwar nicht so viele zu verstehen wie das Trainieren der Nationalmannschaft. Doch es sind einige, die genau über die Ausrichtung Auskunft geben könnten: Das zeigen einige Foren, seit Jordan, der bisherige Musikchef der Wiener Staatsoper, im Schatten der jüngsten Inszenierung zu zwei Liedzyklen Mahlers eine Debatte über schlecht vorbereitetes Regietheater vom Zaun gebrochen hat, die nicht zuletzt ihm ein Weiterarbeiten im Haus am Ring über das Ende seines Vertrages im Jahr 2025 hinaus künstlerisch unmöglich machten.

Gekontert wurden diese Aussagen durch den Staatsopernchef Roscic nur knapp, indem er daran erinnerte, dass er Jordan vor dem Sommer darüber in Kenntnis gesetzt habe, den Vertrag seines Musikdirektors nicht verlängern zu wollen. „Philippe Jordan und ich haben über meine Pläne zur Führung des Hauses nach 2025 schon im Sommer ausführlich gesprochen. Inhaltliche Bedenken waren dabei kein Thema, er wollte seinen Vertrag gerne verlängern, was mir aber aus anderen Gründen nicht möglich war. Daher möchte ich seine Aussagen nicht weiter kommentieren, das wäre nicht im Interesse der Staatsoper und auch nicht im Interesse von Philippe Jordan“, so die Aussagen des Staatsoperndirektors, der auf Nachfrage keine weiteren Kommentare mehr in der Causa abgibt. Was auch so viel heißen kann wie: Keiner möchte einen falschen Zug in einem möglichen arbeitsrechtlichen Verfahren machen. Jordan beklagte zuletzt via Aussendung die Kommentare Roscics rund um dessen „Nicht-Kommentierung“.

Musikdirektor Jordan verlässt Staatsoper

Der Musikdirektor der Wiener Staatsoper, Philippe Jordan, will laut Tageszeitung „Kurier“ seinen 2025 endenden Vertrag nicht verlängern. Über die Gründe dafür herrscht offenbar zwischen ihm und Operndirektor Bogdan Roscic keine Einigkeit.

Stimmungen hören nicht nur auf den Kammerton

Die letzte Inszenierung, die tatsächlich unter den Begriff Regietheater im klassisch-polemischen Sinn fallen mag, könnte genau das Projekt „Von der Liebe Tod“ sein, das Regisseur Calixto Bieto realisiert hatte – aber nicht von Jordan, sondern vom Jungtalent Lorenzo Viotti am Pult geleitet wurde. So sehr er von Bietos Arbeit an diesem Wunschprojekt des Mahler-Verehrers Roscic überzeugt und geplagt gewesen sein mochte – im Vorfeld dieser Inszenierung fiel eines auf: gute Stimmung im Orchester. Und die schien in der letzten Zeit gefehlt zu haben.

Jordan beschrieb zuletzt gegenüber dem „Kurier“, dass er bei Amtsantritt den Traum gehabt habe, eine wirkliche Zusammenarbeit von Bühne und Orchestergraben realisieren zu können: „Ich bin nun in diesen zwei Jahren zum Schluss gekommen, dass das wahrscheinlich nicht realistisch war und auch gar nicht wirklich erwünscht ist.“

Hinter den Kulissen hört man freilich von einer fehlenden Chemie zwischen Orchester und Dirigent. Dagegen könnte man einwenden: Pierre Boulez, Nikolaus Harnoncourt, auch Franz Welser-Möst hatten keine Heimspiele mit den Philharmonikern, die ja das Staatsopernorchester sind. Und andere Beobachter der Szene halten die Struktur eines Musikdirektors angesichts des Spielbetriebs auch nicht mehr für zeitgemäß.

Jordan und Roscic
ORF / Wiener Staatsoper
Als man noch Freunde war: Roscic und Jordan am Anfang ihrer Karriere – da war auch noch Pandemie, und damit auch Fernfreundschaft

Jordan will jedenfalls, wie er zuletzt im „Kurier“ sagte, für sich eine Entscheidung getroffen haben: „Was die Oper betrifft, möchte ich das über 2025 hinaus nicht mehr weiter machen.“ Offenbar ist die Entscheidung aber ohnedies schon gefallen, womit es möglicherweise im Moment weniger um die Frage des Regietheaters geht, mit der sich der Dirigent vielleicht im Orchester wieder Freunde machen könnte – sondern es geht um die Deutungshoheit über Bühne und Öffentlichkeit. Und diese Frage kann durchaus zentral sein.

Wer bestimmt das Narrativ?

Man darf sich in einem ganz anderen Kontext erinnern: Als Claus Peymann mit seinem Lieblingstheaterautor Thomas Bernhard die Burg mit seinem Stil eroberte und gekonnt auf der Klaviatur „Für mich oder gegen mich“ spielte, da setzte man ein ganz gekonntes Narrativ: Neues passiert mit uns und durch uns, vor uns lief der Lurch durchs Haus. Dass Achim Benning, der immerhin Canetti erstmals auf die Bühne der Burg brachte, alles andere als ein Reaktionär war, spielte keine Rolle. Peymann und Bernhard hatten ihr Narrativ etabliert – und vergessen war auch, dass sich Bernhard selbst vergeblich um die Leitung der Burg bemüht hatte und gegen Benning unterlegen war.

Jordan, der ja kein Neuling auf dem heiklen Opernparkett ist und vom mächtigen Manager Michael Lewin vertreten ist, argumentierte im „Kurier“ so: „Ich glaube, dass unser Theater, was die Regie betrifft, seit langer Zeit einen fatalen Irrweg eingeschlagen hat. Selten in meiner Karriere war ich bei Inszenierungen wirklich glücklich.“ Er und Roscic hätten sich bei Amtsantritt hohe Ziele gesetzt, um die Frage zu beantworten, wie eine Erneuerung des Theaters heutzutage aussehen könne: „Die Antwort kann nicht sein, dass wir den ausgetretenen Weg des dahinsiechenden deutschen Regietheaters unbeirrt immer weitergehen.“

Heinz Sichrovsky zu Philippe Jordan

Heinz Sichrovsky spricht über den Musikdirektor der Wiener Staatsoper, Philippe Jordan. Am Sonntag gab Jordan in einem Interview bekannt, seinen Vertrag nach 2025 nicht verlängern zu wollen.

Nicht alles ist „deutsches Regietheater“

Ob mit „deutschem Regietheater“ der Opernbetrieb oder deutsches Regiehandwerk gemeint ist, bleibt offen. Klaus Bachlers Münchner Opernintendanz war geprägt von Regietheater. Und wirtschaftlich noch erfolgreicher als zuletzt die Staatsoper, die mit hundert Prozent Auslastung in den Herbst gestartet ist. Auch wird man Regisseure wie Barrie Kosky, mit dem man einen gelungenen „Don Giovanni“ in Wien feierte, schwer als „deutsches Regietheater“ einstufen können.

„Klar: Schlecht vorbereitete, unmusische Regisseure, die ein Werk nicht aus der Musik heraus entwickeln können, nerven“, schrieb Ljubisa Tosic zuletzt im „Standard“. „Diese Ausnahmen zum Hauptcharakteristikum heutigen Musiktheaters zu erheben, wirkt aber bei Jordan etwas gar unglaubwürdig. Als gäbe es nichts anderes. Als hätte er nicht gerne etwa mit Barrie Kosky in Bayreuth zusammengearbeitet, der an der Staatsoper nunmehr schon zwei Produktionen herausgebracht hatte.“

„Das ist keine verwirrte Einzelmeinung“

Auf die von ihm ausgelöste Debatte reagierte Jordan mit einer ausführlichen Aussendung: Ihn ins konservative Eck stellen zu wollen sei vor dem Hintergrund geradezu absurd. Er habe auch nicht die Wiener Staatsoper angreifen wollen. „Ich habe in meinem ganzen Berufsleben künstlerische Kontroverseren nicht in der Öffentlichkeit ausgetragen, aber ich darf trotzdem noch meine Meinung äußern, auch zum Operntheater der Gegenwart“, so Jordan in seinem Schreiben. „Das was ich damals und heute sagte, ist nicht eine verwirrte Einzelmeinung, sondern es ist die Ansicht der überwältigenden Zahl meiner Kollegen – manche äußern es wie ich offen, manche eher verklausuliert, manche sagen einfach nur ‚Ich schaue schon lange nicht mehr auf die Bühne‘ und manche schweigen einfach diplomatisch. Nur die Haltung ist immer die gleiche“, hieß es weiter.

Jordan zitiert in seiner Aussendung auch einen „Anruf des Betriebsrates des Orchesters der Wiener Staatsoper, der sich über die Vorgänge höchst verwundert und gar nicht erfreut zeigte, die Entwicklung ausdrücklich bedauerte und auch so manches als ‚aufklärenswert‘ empfand“.

Die „Meistersinger“ als Nagelprobe

Im Moment scheint ein Patt in den Aussagen erreicht. Wie im Schach will niemand einen Bewegungsfehler machen. Jordan erinnert daran, seinen Vertrag bis 2025 „erfüllen“ zu wollen. Er werde am 17. Oktober „genau wie es vorgesehen ist“ mit den Proben zu den „Meistersingern“ beginnen, „und zwar mit derselben Begeisterung und Energie, wie ich es von Anfang an getan habe“, lässt er via Aussendung ausrichten.

Die „Meistersinger“ sind, sollte nicht früher ein Deus Ex Machina die Reißleine ziehen, der Gradmesser dafür, ob ein Vertrag Jordans bis zum Ende der Laufzeit erfüllbar ist. Und ob das Orchester mit dem Narrativ des Musikdirektors mitzieht, oder dann doch andere Gründe im Raum stehen. Abgegangene Musikdirektoren sind an der Staatsoper eine gar nicht so kleine Legion: Der Reigen geht von Herbert von Karajan über Lorin Maazel bis Franz Welser-Möst.