Kristina aus Zagreb ist 33 und hat vier Kinder. Schon bald nach der Hochzeit begann ihr Ehemann, sie zu misshandeln. Einmal stach er ihr sogar mit einem Messer in den Rücken. Aus dem Jugoslawien-Krieg zurückgekehrt, bedrohte der ehemalige Soldat seine Familie mit der Waffe. Im Zuge des Scheidungsprozesses beleidigte er die Richterin und versuchte im Anschluss, seine Frau aus dem Fenster zu stoßen.
Hinter der Sonnenbrille
Kristinas Gewalterfahrungen sind nun auf einem Plakat in der Kunsthalle Wien zu lesen. Die Künstlerin Ivekovic hat ihre Geschichte in einem Frauenhaus in Zagreb aufgeschrieben und zu einem Element einer Plakatserie gemacht. Die Poster zeigen Models, die aus Werbungen für Sonnenbrillen von Prada und Co. stammen. Konterkariert werden die Bilder von den eingefügten Texten. Könnten sich hinter den schicken Accessoires blau geschlagene Augen verstecken?
In Ivekovics Serie „Frauenhaus (Sonnenbrillen)“ geht es nicht nur um männliche Aggression, sondern auch um Krisenfälle durch Abtreibungsverbote und Migration. Der Kontrast zwischen Luxusmodels und verprügelten Ehefrauen mag plakativ wirken, aber für die kroatische Konzeptkünstlerin sind beide nur zwei Seiten einer Medaille. Seit Mitte der 1970er Jahre macht Ivekovic auf die Kluft zwischen dem Bild der Frau und deren Realität aufmerksam, im Sozialismus ebenso wie in der westlichen Konsumgesellschaft.
Am sozialen Rand
„Ich wollte mich immer mit realen Problemen der Gesellschaft auseinandersetzen, egal ob sie die Position von Frauen oder von Roma, an den Rand gedrängte Arbeiter oder all die anderen ‚Anderen‘ betrafen“, erklärte die 1949 in Zagreb geborene Künstlerin in einem Interview des New Yorker Museum of Modern Art (MoMA). Neben dem MoMA besitzen auch das Pariser Centre Pompidou und das mumok Ivekovics Arbeiten, dennoch ist ihr Name einer breiten Öffentlichkeit unbekannt.
Die erste (längst überfällige) Retrospektive hierzulande wurde von Zdenka Badovinac, Direktorin des Zagreber Museum for Contemporary Art, unter dem Titel „Works of Heart“ kuratiert. Die Schau versammelt Foto- und Videoarbeiten, die Frauenbilder gegen den Strich bürsten und an echte Heldinnen erinnern. Im ORF.at-Video stellt Badovinac vier von ihnen exemplarisch vor (siehe oben).

Bereits in ihren frühen Arbeiten Mitte der 1970er Jahre verwendete Ivekovic Werbeaufnahmen aus Magazinen. Wie werden Frauen in den Massenmedien dargestellt, was für Haltungen und Gesten kehren immer wieder? Für ihre Serie „Double Life“ paarte die Künstlerin 1975 private Aufnahmen mit Reklame aus Frauenmagazinen wie „Elle“, „Brigitte“, „Duga“ und „Svijet“. So zeigt ein Schwarz-Weiß-Foto Ivekovic selbst als Mädchen in Ballettpose und daneben eine farbenfrohe Aufnahme von Turnerinnen, die für eine Tamponwerbung inszeniert wurde.
Ideologischer Schleier
Ivekovic thematisiert hier offensichtlich den massenmedialen Einfluss auf weibliche Identitätsbildung. Ihre 62-teilige Serie unterwandert aber auch gängige Erwartungshaltungen. So fällt anhand der Datierung der Bilder auf, dass die Privatfotos in der Regel früher als die Werbeanzeigen entstanden sind. Das künstlerische „Doppelleben“ wirft ein Licht auf Schein und Sein, aber rüttelt an der Annahme, was zuerst da war.
![Sanja Iveković, Osobni rezovi [Persönliche Schnitte], 1982, Videostill](https://assets.orf.at/mims/2022/41/20/crops/w=1280,q=90/1527467_bigpicture_556520_sanja_ivekovic_personal_cuts_still_1.jpg?s=db8329df15203e9461dec5ed672a138aaf449dd7)
In der damaligen Kunst Jugoslawiens war Ivekovics konzeptuelle Methode ebenso ungewöhnlich wie ihre feministische Stoßrichtung. Kunst, die das Patriarchat kritisiert, lernte die Kroatin nach eigenen Angaben erstmals 1973 in Graz kennen, wo Arbeiten von Valie Export und anderen ausgestellt waren. Mit ihrer Herkunft interessierte sie sich aber noch stärker für die Analyse politischer Propaganda. Dafür zog sie sich in ihrem Video „Personal Cuts“ 1982 eine schwarze Strumpfmaske über den Kopf.
Die Arbeit zeigt abwechselnd Szenen, in denen die Künstlerin mit der Schere Löcher in den Stoff schneidet, und Filmmaterial staatlicher Provenzienz, etwa von Massenaufmärschen und Sportveranstaltungen. Am Ende ist die Maske zerstört: Zwei Jahre nach dem Tod von Tito befreit sich Ivekovic so symbolisch von 20 Jahren ideologischer Verschleierung.
Goldene Rosa
Denkmäler und Monumente spielten in Osteuropa eine besondere Rolle, auch als Betätigungsfeld für Bildhauer. Nach 1989 wurden die meisten davon gestürzt, zerstört oder verräumt. Ivekovic stört, dass durch diese Verdrängung eine jüngere Generation kaum mehr etwas über Leistungen antifaschistischer Kämpferinnen weiß. Für einen Skandal sorgte ihre Sockelskulptur „Lady Rosa of Luxembourg“, die 2001 im Zentrum von Luxemburg aufgestellt wurde. Die Künstlerin bezog sich mit dieser goldenen Frauenfigur auf die „Gelle Fra“, eine allegorische Siegesfigur, die an die Nationalhelden des Ersten Weltkriegs erinnerte.

Ivekovic wandelte die bekannte Statue ab, indem sie die Figur hochschwanger gestaltete. Die Namen der Soldaten am Sockel ersetzte sie durch die Inschrift"„Madonna, virgin, whore, bitch, la resistance, la liberte, l’independance, la justice, Kapital, Kunst, Kultur, Kitsch". Der Titel des Kunstwerks referiert auf die sozialistische Pazifistin Rosa Luxemburg, die 1919 von deutschen Offizieren ermordet wurde. In der jetzigen Schau dokumentieren Ausschnitte aus damaligen Zeitungen und Nachrichtensendungen, wie die Veteranenverbände gegen Ivekovics Mahnmal protestierten und eine heftige Debatte über Erinnerungskultur entbrannte.
Rote Tupfen gegen Gewalt
Gewalt gegen Frauen, Manipulation der Massen, überkommene Denkmalkultur: Ivekovics kritische Konzeptkunst wirkt heute aktueller denn je. Die Künstlerin weiß auch die Anziehungskraft der schönen Frauen zu nutzen, die sie aus der Modeindustrie für ihre Arbeiten kapert. Mit einer gelungenen Ausstellungsgestaltung bereitet die Kunsthalle die schweren Themen locker auf.
So überziehen rote Papierknäuel wie Tupfen den Boden des Ausstellungssaals. Wer einen der Zettel aufhebt und glattstreicht, stößt auf harte Realitäten. Der NGO-Schattenbericht zur „Geschlechtsspezifischen Gewalt gegen weibliche Geflüchtete“ stellt Österreich kein gutes Zeugnis aus. Es brauche dringend neue Frauenhäuser, lautet nur eine der vielen Forderungen darin.