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ORF.at/Dominique Hammer
Prognose für 2023

Stagflation „erstmals seit 70er Jahren“

Nach der Erholung der Volkswirtschaft im Vorjahr sowie im ersten Halbjahr 2022 sehen das Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) und das Institut für Höhere Studien (IHS) Österreich in einer Abschwungphase. Dieses Jahr wird das BIP wachsen, im Folgejahr stagnieren. „Da die Inflation auch 2023 hoch bleibt, steuert Österreichs Wirtschaft erstmals seit den 1970er Jahren auf eine Stagflation zu.“

Das geht aus der am Donnerstag publizierten Prognose der Fachleute für das kommende Jahr hervor. Kurz zusammengefasst heißt das: Im kommenden Jahre bleibt die Inflation hoch, das Wachstum aber gering. Dieses Szenario bedeutet, dass die Einnahmen des Staates geringer ausfallen können, während die Ausgaben hoch bleiben.

Im ersten Halbjahr 2022 befand sich die heimische Volkswirtschaft noch in einer Phase der Hochkonjunktur, die bereits im Herbst 2020 begonnen hatte, so das WIFO und das IHS in einer Aussendung. Nun setzt jedoch ein Abschwung ein, der gemäß Vorlaufindikatoren kräftig ausfallen wird. Damit dürfte der Konjunkturaufschwung der letzten beiden Jahre jäh enden.

Grafik zur Konjunkturprognose
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: WIFO/IHS

Für das laufende Jahr erwarten die Fachleute noch ein Plus des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 4,8 bzw. 4,7 Prozent. Das kommende Jahr wird sich aber deutlich abkühlen. Das WIFO geht von einem Wirtschaftswachstum von lediglich 0,2 Prozent aus, das IHS von 0,3 Prozent.

Mehr Haushalte mit eingeschränkter Zahlungsfähigkeit

Ein kräftiges Plus gab es im Vorjahr bei den Anlageinvestitionen. Seit Jahresbeginn hat sich das Investitionsklima jedoch deutlich abgekühlt. Das hängt laut IHS mit der Abschwächung der internationalen Wirtschaftsaussichten zusammen. Die dadurch stark steigenden Energiepreise sind zusätzliche Bremsfaktoren. Für heuer sei mit einem Rückgang der Anlageinvestitionen zu rechnen, dafür erwarten die Konjunkturexperten für 2023 ein kleines Plus.

Ein leichter Aufschwung ist laut IHS erst im Frühjahr 2023 zu erwarten – vorausgesetzt, die Gasversorgung kann aufrechterhalten werden. Der private Konsum sollte heuer mit einer Zunahme von 4,7 Prozent der Wachstumstreiber bleiben, prognostiziert das IHS. Das WIFO ist für das laufende Jahr vorsichtiger: Haushalte mit eingeschränkter Liquidität würden ihren Konsum reduzieren. Aufgrund der relativ hohen Inflation sei mit einer Zunahme dieser Haushalte zu rechnen.

WIFO-Chef Gabriel Felbermayr und IHS-Chef Klaus Neusser
APA/Roland Schlager
Gabriel Felbermayr, Direktor des WIFO, und IHS-Direktor Klaus Neusser präsentierten die Prognose für 2023

Andererseits würden Haushalte, die keine Liquiditätsschwierigkeiten haben, mehr konsumieren. Schließlich sinke der bereits negative Realzinssatz durch die Inflation weiter, was den Konsum anrege. Das WIFO rechnet mit einer Zunahme der Konsumausgaben um 3,8 Prozent im laufenden Jahr und um ein Prozent 2023.

Teuerung bleibt hoch

Allerdings werde sich die prognostizierte Abflachung der konjunkturellen Dynamik nur langsam auf die Preise auswirken, prognostiziert das WIFO. Daher erwartet das WIFO einen Rückgang der Inflation auf 6,6 Prozent. Das IHS geht mit 6,8 Prozent Inflation für das nächste Jahr hingegen von einer weniger optimistischen Prognose aus. Die hohe Verbraucherpreisinflation wird den Wirtschaftsforschern zufolge vor allem 2023 zu höheren Lohnabschlüssen führen. Schließlich erwartet das IHS, dass die Bruttoreallöhne heuer um 4,2 Prozent sinken. Erst 2023 sei mit einem kleinen Plus zu rechnen.

Die expansive Fiskalpolitik werde ebenfalls ihren Anteil zur hohen Inflation beitragen. Allerdings werde etwa eine Strompreisbremse dem entgegenwirken. Daher rechnet Neusser damit, dass die Inflation bis Ende 2023 auf „nach wie vor sehr hohe fünf Prozent fällt“.

Durchaus positiv sind nach wie vor die Arbeitslosenzahlen, obwohl die Zahl der Arbeitslosen in den vergangenen Monaten leicht gestiegen ist. Für heuer rechnen die beiden Institute mit einem Anstieg der Beschäftigten um 2,7 bzw. 2,8 Prozent. Doch 2023 dürfte die Arbeitslosenquote von etwa 6,4 Prozent auf 6,7 Prozent steigen, sind sich WIFO und IHS einig.

WIFO und IHS präsentieren Prognose 2023

Mit Gabriel Felbermayr, Direktor des Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO), Klaus Neusser, Direktor des Instituts für Höhere Studien (IHS), Helmut Hofer, Ökonom am IHS, Christian Glocker, Ökonom im WIFO.

Ökonomin warnt vor Rezession

In einem Gastkommentar für die „Wiener Zeitung“ prognostizierte die Direktorin des industrienahen Forschungsinstituts Eco Austria, Monika Köppl-Turyna, ein düstereres Jahr 2023. „Die Bank Austria und die beiden großen Wirtschaftsforschungsinstitute erwarten ein nur leichtes Plus, in der Szenario-Rechnung meiner Kollegen geraten wir schon in den Minusbereich“, schrieb die Ökonomin. Viele Faktoren bestätigten einen negativen Trend – auch auf dem Arbeitsmarkt werde sich die Stimmung bald „umkehren“.

Denn würden etwa die Lohnabschlüsse so ausfallen, wie sich das die Arbeitnehmervertreter wünschen, würden die Produktionskosten steigen. „Zudem erschweren höhere Leitzinsen die Unternehmensfinanzierungen. Und dann drohen ja auch noch Mehrkosten für Strom und Gas: Sobald die aktuellen Verträge vieler Unternehmen auslaufen, wird auch das die Produktionskosten erhöhen“, so Köppl-Turyna. Die Energieausgaben könnten rasch steigen.

Die Ökonomie empfahl, vorsichtig zu einem „spanischen Modell“ überzugehen, also einer Subventionierung der Gaspreise allein für die Produktion von elektrischer Energie. „Die aktuellen Lösungen werden jedenfalls nicht ausreichen, um eine Rezession zu verhindern. Suchen wir also weiter.“ WIFO-Chef Felbermayr bezeichnete das „spanische Modell“ im ZIB2-Interview als „relativ kluge Intervention in den Markt“, es würde den Strompreis senken – das ändere aber nichts an den hohen Gaspreisen auf den Weltmärkten, wie Felbermayr zu bedenken gab.

WIFO-Leiter zur Gaspreisregulierung

Der Leiter des Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO), Gabriel Felbermayr, spricht zum möglichen europäischen Modell einer Gaspreisregulierung.

Auch Banken fürchten um Wirtschaftslage

Die Oesterreichische Nationalbank (OeNB) sieht zunehmende Risiken für die Ertragslage der heimischen Banken. Noch profitiere die Branche von den Zinserhöhungen, der nach wie vor guten Nachfrage nach Krediten und der soliden Wirtschaftsentwicklung im ersten Halbjahr 2022. „Allerdings könnten sich die eintrübende Konjunktur, die negativen Auswirkungen der Inflation sowie die Folgen der russischen Invasion auf die künftige Ertragslage der Banken auswirken“, so die Nationalbank.

Im ersten Halbjahr 2022 erzielten die heimischen Banken ein aggregiertes Periodenergebnis von 3,8 Mrd. Euro. Zum Vorjahr (3,7 Mrd. Euro) blieb das Niveau damit weitgehend unverändert, wie die OeNB mitteilte. Einnahmenseitig liefen die ersten sechs Monate gut, stark gestiegene Abschreibungen und Wertminderungen sowie höhere Kreditrisikorücklagen belasteten jedoch.

Oppositionskritik an Regierung

Die Konjunkturprognosen führten zu heftiger Regierungskritik seitens SPÖ, FPÖ und NEOS: „Die Regierung muss ein Budget vorlegen, das die Preise massiv senkt, denn nur so können die Inflation und die drohende Stagnation bekämpft werden. Die Preise müssen runter, ansonsten fährt Österreich an die Wand“, sagte SPÖ-Wirtschaftssprecher Christoph Matznetter und forderte einen Gaspreisdeckel.

„Derzeit befindet sich Österreichs Wirtschaft mit einem Höllentempo auf einer Talfahrt ohne absehbaren Schlussteil, weil die schwarz-grüne Regierung einfach den Zeitpunkt zum rechtzeitigen Eingreifen samt dringend notwendigem Gegenlenken vollkommen verschlafen hat, und dafür tragen sie die volle Verantwortung“, merkte FPÖ-Wirtschaftssprecher Erwin Angerer an, wobei Angerer etwa die Einführung der CO2-Steuer kritisiert.

NEOS-Wirtschaftssprecher Gerald Loacker wiederum meinte: „Der Abschwung lässt sich nicht mit Gutscheinen und Einmalzahlungen aufhalten, ÖVP und Grüne müssen endlich echte Reformen angehen. Das kommende Jahr wird ein Jahr der Stagflation, und deswegen müssen wir sofort dafür sorgen, dass die Unternehmen möglichst produktiv bleiben können.“

Die Wirtschaftskammer (WKO) befürchtet, dass Österreich von der Stagflation in die Rezession schlittern könnte: „Wir liegen hier nur noch knapp über der Nulllinie. Die Abwärtsrisiken und geopolitischen Unsicherheitsfaktoren sind enorm, wir könnten allzu leicht in die Rezession abrutschen. Umso wichtiger ist es daher, den Unternehmen und der Wirtschaft als Ganzes Spielraum zu verschaffen“, so WKO-Generalsekretär Karlheinz Kopf.