Atomkraftwerk in Frankreich
Getty Images/Sami Sarkis
Grünes EU-Label für Atomkraft

Österreich reichte Klage bei EuGH ein

Österreich hat am Freitag wegen der umstrittenen EU-Einstufung von Gas und Atomkraft als klimafreundliche Investitionen Klage beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) eingereicht. Luxemburg will sich der Klage gegen die Taxonomieverordnung anschließen. Der Großteil der EU-Länder steht allerdings hinter dem im Februar beschlossenen Rechtsakt, Fachleute zeigten sich indes kritisch.

„Am Montag wäre die Frist abgelaufen: Aber bereits am Freitag hat Österreich Klage vor dem Europäischen Gerichtshof eingereicht, um gegen die sogenannte Taxonomieverordnung vorzugehen“, berichtete der „Kurier“. Gewessler bestätigte die Klage.

In einer Erklärung gegenüber der APA betonte die Klimaschutzministerin: „Atomkraft und Gas sind weder grün noch nachhaltig. Deshalb haben wir wie angekündigt eine Klage gegen die Taxonomieverordnung der EU-Kommission eingereicht. Die Frist dazu endet am Montag. Dann werden wir alle Details dazu bekanntgeben.“

Bei der Klage beruft sich Österreich auf ein Gutachten internationaler Fachleute, wonach Atomkraft nicht nachhaltig sei. Dass Österreich mit dieser Argumentation vor dem EuGH durchkommt, schätzen Juristen und Juristinnen aber als nicht besonders groß ein.

Klimaschutzministerin Leonore Gewessler
APA/Roland Schlager
Gewessler will gegen die Einstufung ankämpfen. Man müsse „jetzt“ auf erneuerbare Energien umsteigen.

EU stufte Gas und Atom als nachhaltig ein

Österreich betrachtet die von der EU-Kommission vorgelegte Regelung zudem als juristisch falsch. Die EU-Kommission habe nicht die Ermächtigung, solch weitreichende politische Entscheidungen zu treffen, so die Argumentation. Zudem führt Österreich Verfahrensfehler an. Die EU-Staaten hätten zu wenig Zeit gehabt, darüber zu beraten.

Im Zuge der Taxonomieverordnung stufte die EU-Kommission Gas und Atomkraft im Februar als „nachhaltig“ ein. Mit der Taxonomie will die EU-Kommission festlegen, welche Finanzinvestitionen künftig als klimafreundlich gelten. Das soll dabei helfen, die für die Klimawende benötigten Milliarden zu mobilisieren und den Weg der EU zur Klimaneutralität bis zum Jahr 2050 zu ebnen. EU-Berechnungen zufolge braucht es dazu pro Jahr 350 Milliarden Euro aus privaten Investitionen.

Gewessler spricht von Greenwashing

Die Taxonomieentscheidung der EU-Kommission sei ein „Greenwashing-Programm für Atomenergie und fossiles Erdgas“, hatte Gewessler bereits im Februar kritisiert. Die Kommission erfülle „vor allem die Wünsche der Atomlobby“. Man müsse „jetzt“ auf erneuerbare Energien umsteigen.

Taxonomie: Österreich klagt bei EuGH

Österreich klagt beim EuGH wegen der umstrittenen Einstufung von Gas und Atomkraft als klimafreundliche Investitionen.

Auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen kritisierte damals Brüssel: „Die EU-Kommission setzt mit ihrer heutigen Entscheidung das falsche Signal, auch auf den Kapitalmärkten“, so Van der Bellen in einer Aussendung. Auch Erdgas sei klimaschädlich und müsse Schritt für Schritt durch Alternativen ersetzt werden. Ähnlich äußerte sich im Februar Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP): „Atomkraft ist weder ‚grün‘ noch nachhaltig. Ich kann die Entscheidung der EU nicht nachvollziehen."

EU: „Finanzsektor, nicht Energiepolitik“

Die EU verteidigte den Schritt damals. Bei der Präsentation der Taxonomieverordnung in Brüssel sagte Finanzkommissarin Mairead McGuinness, dass es sich um ein Instrument für den Finanzsektor, „nicht für die Energiepolitik“ handle. Die Taxonomie sei ein „Wegweiser für private Investoren“, so McGuinness, und damit „kein EU-Energiepolitikinstrument“.

Gas und Kernkraft würden einen Beitrag zum „schwierigen Übergang zur Klimaneutralität“ leisten, so die Kommissarin weiter. Man habe ein „gutes Gleichgewicht“ zwischen grundlegend unterschiedlichen Meinungen gefunden, so McGuinness. Beim Übergang müssten „wir auch nicht perfekte Lösungen akzeptieren“, sagte sie weiter.

Der Rechtsakt sieht vor, dass Investitionen in neue Gaskraftwerke bis 2030 als nachhaltig gelten, wenn sie unter anderem schmutzigere Kraftwerke ersetzen und bis 2035 komplett mit klimafreundlicheren Gasen wie Wasserstoff betrieben werden. Neue Atomkraftwerke sollen bis 2045 als nachhaltig klassifiziert werden, wenn ein konkreter Plan für die Endlagerung radioaktiver Abfälle ab spätestens 2050 vorliegt.

Frankreich plädiert stark für Atomenergie

Frankreich führt die Atomlobby unter den EU-Staaten an. Rund 70 Prozent des Stroms stammen in Frankreich aus nuklearer Energie – der EU-Schnitt liegt deutlich darunter. Die französische Spitzenpolitik betonte stets, nur mit Atomstrom könnten auch die ehrgeizigen Klimaziele eingehalten werden.

Kritikerinnen und Kritiker führen primär einen anderen Grund ins Feld: Die Einstufung von nuklearer Energie als „grünes“ Investment nutze vor allem dem staatlichen Energiekonzern und weltweit größten Anbieter von Atomstrom, EDF, der derzeit in einer tiefen Krise stecke.

Hinter Frankreich steht jedoch die Mehrheit der Mitgliedsländer. Vertreter aus Bulgarien, Kroatien, Polen, Rumänien, der Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn und eben Frankreich unterzeichneten im Oktober 2021 einen Text, in dem Kernenergie als Teil der Lösung für die Klimaneutralität bezeichnet wird. Auch die Niederlande und Schweden äußerten sich positiv zu dieser Technologie.

Grafik zeigt die Atomkraftwerke in der EU
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: BMK

Kritik aus der Fachwelt

Simone Tagliapietra, Experte beim Brüsseler Thinktank Bruegel, sagte im Februar gegenüber ORF.at, dass Gas und Atomkraft nicht „grün sind“: „Gas und Kernkraft werden beim Übergang eine Rolle spielen, aber sie sind nicht grün.“ Durch die Einbeziehung von Atomkraft und Gas werde „die Taxonomie nun wahrscheinlich nicht zu einem globalen ‚Goldstandard‘, wie institutionelle Anleger bereits gewarnt haben“.

Er sieht eine verpasste Chance der EU: „Die Auswirkung der Taxonomie auf die Finanzwelt könnte also letztlich begrenzt sein, da die Anleger es vorziehen könnten, andere Klassifizierungen zur Bewertung ihrer grünen Investitionen zu verwenden. Damit hat die EU eine große Chance verpasst, denn sie hätte eine Referenz in diesem Bereich werden können“, so Tagliapietra.

Auch Umweltorganisationen kritisieren die EU-Taxonomie. Atomenergie sei schlicht zu teuer und unwirtschaftlich, um einen relevanten Beitrag zur globalen Energieerzeugung zu leisten, so der Tenor. Hinzu kämen das Sicherheitsrisiko und die ungelösten Probleme des langlebigen radioaktiven Abfalls.