Memorial-Büro in Moskau
AP/Dmitry Serebryakov
Nach Friedensnobelpreis

Russland beschlagnahmt Memorial-Büros

Nur wenige Stunden nach Bekanntgabe des diesjährigen Friedensnobelpreises für Memorial hat ein russisches Gericht die Beschlagnahmung der Moskauer Büros der Menschenrechtsorganisation angeordnet. Das Gebäude, in dem sich die Büros befinden, sei in „öffentliches Eigentum“ umgewandelt worden, zitierte die russische Nachrichtenagentur Interfax die am Freitag ergangene Gerichtsentscheidung.

Memorial wurde 1989 gegründet und ist die älteste und wichtigste Menschenrechtsorganisation in Russland. Ende 2021 verfügte zunächst das oberste Gericht Russlands ein Verbot von Memorial, später ordnete ein Moskauer Gericht die Auflösung der Organisation an. Am Tag, an dem Memorial als diesjähriger Friedensnobelpreisträger bekanntgegeben wurde, verliert die Menschenrechtsorganisation nun auch ihren Stammsitz in Moskau.

Memorial kündigte an, seinen Kampf um die Menschenrechte trotzdem fortzusetzen und den Nobelpreis zu feiern. Das Nobelkomitee hatte auch dem belarussischen Menschenrechtsanwalt Ales Bjaljazki und dem ukrainischen Zentrum für bürgerliche Freiheiten (CCL) die Auszeichnung zugesprochen. „Wir sind dem Nobelkomitee dankbar für diese ehrenvolle Auszeichnung“, teilte Memorial am Abend nach stundenlangem Ringen mit der Justiz um seinen Stammsitz mit. Die Justiz hatte die Organisation im vergangenen Jahr aufgelöst.

Arbeit soll „unter allen Umständen weitergehen“

Die Arbeit solle trotz des Drucks der Behörden „unter allen Umständen“ weitergehen – nach dem Vorbild von Gründungsvater Andrej Sacharow, teilte Memorial weiter mit. Der Physiker Sacharow, auch bekannt als Erfinder der sowjetischen Wasserstoffbombe, hatte den Friedensnobelpreis 1975 erhalten.

„Idee und Mission von Memorial sind Menschen, Geschichte, Hilfe für die Opfer von Repressionen, der Kampf gegen staatliche Gewalt“, hieß es weiter in der Stellungnahme. „Memorial – das ist ein Netz, das sind Menschen, das ist eine Bewegung.“ Die Arbeit laufe in Russland und in der Ukraine sowie in anderen Ländern. Memorial erfahre aktuell wie andere russische Bürgerrechtsorganisationen auch „starken Druck“. „Aber es ist nicht möglich, Erinnerung und Freiheit zu verbieten.“

Dabei denke Memorial an den in Belarus inhaftierten Bjaljazki sowie andere politische Gefangene in dem Land und an die in der Ukraine unter Bedingungen des russischen Angriffskrieges arbeitenden Kollegen. Der Friedensnobelpreis komme in einer Zeit, in der Russland einen Eroberungskrieg in der Ukraine führe und im eigenen Land Rechte und Freiheiten zerstöre. Das sei eine Gefahr für die Welt.

„Vorkämpfer für Menschenrechte“

Mit dem Friedensnobelpreis für Memorial, Bjaljazki und die CCL setzte das Nobelkomitee heute ein Signal in Richtung des vom Ukraine-Krieg erschütterten Osteuropa. Die Preisträger hätten einen „außergewöhnlichen Beitrag“ dazu geleistet, Kriegsverbrechen, Menschenrechtsverletzungen und Machtmissbrauch zu dokumentieren, sagte die Vorsitzende des Komitees, Berit Reiss-Andersen, in ihrer Begründung.

Das Komitee wolle mit dem Preis „drei herausragende Vorkämpfer für Menschenrechte, Demokratie und friedliche Koexistenz in den drei Nachbarländern Belarus, Russland und Ukraine ehren“, sagte Reiss-Andersen. Bjaljazki und die in Russland seit Ende 2021 verbotene Organisation Memorial sowie das CCL bewiesen gemeinsam „die Bedeutung der Zivilgesellschaft für Frieden und Demokratie“.

Mit direkter Kritik am russischen Präsidenten Wladimir Putin hielt sich die Komiteevorsitzende Reiss-Andersen indes zurück. Auf die Frage eines Journalisten, ob der Preis ein vergiftetes Geschenk an Putin sei, der am Freitag 70 Jahre alt wurde, sagte Reiss-Andersen, die Auszeichnung sei nicht gegen Putin gerichtet. Allerdings unterdrücke seine „autoritäre“ Regierung – wie jene in Belarus – Menschenrechtsaktivisten.