Die Kerch Brücke über die Krim
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Nach Explosion

Krim-Brücke für Verkehr teils wieder offen

Die in der Nacht auf Samstag bei einer Explosion schwer beschädigte Krim-Brücke ist nach Angaben des russischen Verkehrsministeriums wieder teilweise geöffnet worden. Während Russland mit Vergeltungsmaßnahmen Richtung Ukraine droht, ist in Kiew von einer „Spur nach Russland“ die Rede.

„Es ist erwähnenswert, dass der explodierte Lastwagen allen Anzeichen nach von der russischen Seite auf die Brücke fuhr“, erklärte der ukrainische Präsidentenberater Mychailo Podoljak am Samstag. „Die Antworten sollten also in Russland gesucht werden“, fügte Podoljak hinzu. „Das alles weist eindeutig auf eine Spur nach Russland hin.“

Die für Russland strategisch und symbolisch wichtige Krim-Brücke war Samstagfrüh von einer schweren Explosion erschüttert worden. Videos zeigen große Zerstörungen. Die genauen Hintergründe sind noch unklar. Russischen Angaben zufolge ist ein Lastwagen explodiert.

Dadurch sollen nach Darstellung russischer Ermittler weiter entfernt gleich sieben Eisenbahn-Kesselwagen mit Diesel in Brand geraten sein. Außerdem stürzten Teile der Brückenautobahn ins Meer. Mindestens drei Menschen sollen dabei getötet worden sein.

Teile von Krim-Brücke eingestürzt

Die strategisch wichtige Verbindungsbrücke zwischen dem russischen Festland und der von Russland annektierten Halbinsel Krim ist durch eine Explosion schwer beschädigt worden. Die Hintergründe sind unklar.

Lange Staus auf Zufahrt zu Fähren

Der Verkehr über die Brücke wurde nach der Explosion zunächst komplett eingestellt. Mehrere Stunden später wurde die Brücke für Autos und Züge wieder freigegeben. Nach Angaben von Krim-Verwaltungschef Sergej Axjonow bleibt die Brücke zudem für Lastwagen weiter gesperrt. Der Verkehr zwischen dem russischen Festland und der Krim dürfte somit bis auf Weiteres deutlich eingeschränkt bleiben. Zur Entlastung wollen die Behörden auf der Krim den Verkehr über Fähren und über den zuletzt in der Ukraine besetzten Landkorridor sicherstellen. Berichtet wird von langen Staus auf den Zufahrten zu den Fährterminals.

Autos vor der Kerch Brücke über die Krim
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Ein Stau zu einem Fährterminal

Zusatzvollmachten für Russlands Geheimdienst FSB

Kreml-Chef Wladimir Putin ordnete die Einrichtung einer Kommission an, die die Hintergründe des Vorfalls aufdecken soll. Zudem wies Putin per Dekret den Geheimdienst FSB an, die Kontrolle über die durch eine Explosion beschädigte Krim-Brücke zu verschärfen. „Dem FSB werden die Vollmachten übertragen zur Organisation und Koordination von Schutzmaßnahmen für den Transportweg über die Meerenge von Kertsch, für die Strombrücke der Russischen Föderation auf die Halbinsel Krim und die Gaspipeline vom Gebiet Krasnodar Krim“, heißt es in dem am Samstag veröffentlichten Dekret.

Es ist die erste Maßnahme des Kremls infolge der Explosion, die mutmaßlich durch einen Anschlag herbeigeführt wurde. Wie die Nachrichtenagentur Interfax dazu berichtete, umfasst das Dekret nicht nur die Krim-Brücke, sondern auch weitere strategisch wichtige Einrichten auf der von Russland 2014 annektierten ukrainischen Halbinsel Krim.

Russische Taucher sollen Schäden untersuchen

Unterdessen untersuchen Angaben aus Moskau zufolge russische Taucher am Sonntag die Schäden. Russische Nachrichtenagenturen zitierten im Vorfeld den stellvertretenden Ministerpräsidenten Marat Chusnullin, demzufolge die Taucher in der Früh mit der Arbeit beginnen sollten. Eine detailliertere Untersuchung oberhalb der Wasserlinie soll bis zum Ende des Tages abgeschlossen sein, hieß es.

Teile der Brücke auf die Krim sind ins Meer gestürzt
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Mehrere Fahrbahnsegmente stürzten ins Meer

Nach Angaben von Kreml-Sprecher Dmitri Peskow wird Putin sich nach den Ereignissen rund um die Kreml-Brücke nicht wie zunächst von Beobachtern vermutet an das russische Volk wenden. Ein solcher Auftritt sei nicht geplant, sagte Peskow am Samstag der staatlichen Nachrichtenagentur Ria Nowosti zufolge. Politische Beobachter hatten eine Ansprache des Präsidenten angesichts der schweren Schäden an der Brücke für wahrscheinlich gehalten. Zuletzt hatte Putin sich im Zuge der Annexion der vier ukrainischen Gebiete Cherson, Donezk, Luhansk und Saporischschja sowie der Teilmobilmachung in Russland an seine Landsleute gewandt.

„Folgen unabwendbar“

Die Führung in Moskau hatte immer betont, die Brücke sei trotz der Militäroffensive in der Ukraine sicher. Das russische Anti-Terror-Komitee machte zunächst keine Angaben zu dem Vorfall. Der Präsident des von Russland auf der Krim eingesetzten Regionalparlaments, Wladimir Konstantinow, sprach aber von einem Schlag durch „ukrainische Vandalen“.

Der prominente russische Außenpolitiker Leonid Sluzki sprach später von einem „Terroranschlag“. Wenn sich die ukrainische Spur bei dem Anschlag bestätige, „werden Folgen unabwendbar“ sein. „Die Antwort sollte hart ausfallen, aber nicht unbedingt frontal“, sagte Sluzki. Moskau hatte immer wieder damit gedroht, bei anhaltenden Angriffen Kommandozentralen in Kiew ins Visier zu nehmen.

Nach Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine Ende Februar kam es mehrfach zu Explosionen auf der Krim mit schweren Schäden, darunter auf Militärstützpunkten. Die Ukraine hat immer wieder angekündigt, sich die Krim zurückzuholen. Die Militärführung in Kiew hatte auch einen Beschuss der Brückenanlagen angekündigt, sobald es die vom Westen gelieferten Waffen dafür gebe. Zuletzt kam es in der Region Kertsch, die auf der Krim direkt an die Brücke grenzt, immer wieder zu Zwischenfällen mit Drohnen, die explodierten.

ORF-Ukraine-Korrespondent Christian Wehrschütz zur Explosion auf der Krim-Brücke, die von großer Bedeutung ist, nicht nur symbolisch.

Rote Linie für Kreml

Die Brücke ist die direkteste Verbindung Russlands zu der von ihr annektierten ukrainischen Halbinsel Krim. Alternativ gibt es den seit dem Überfall auf die Ukraine eroberten Landweg über Mariupol. Die Sperre erschwert aber wohl den Nachschub für die dortige Bevölkerung und vor allem auch für die russischen Militärstützpunkte auf der Krim. Diese sind für die Versorgung und militärische Unterstützung der Fronteinheiten im Bereich Cherson – dort sind die russischen Einheiten seit Wochen in der Defensive – von großer Bedeutung.

Russischen Angaben zufolge wurde auch der Besitzer des laut russischer Darstellung explodierten Lastwagens identifiziert. Es handle sich um einen Einwohner der südlichen russischen Region Krasnodar, erklärten russische Ermittler – ohne den Namen des Mannes zu nennen. An dessen Wohnsitz seien Ermittlungen eingeleitet worden, die dokumentierte Fahrtroute des Lastwagens werde überprüft.

Ukrainische Medien sehen SBU hinter Explosion

Die Internetzeitung Ukrajinska Prawda berichtete unter Berufung auf Sicherheitskreise in Kiew, dass der ukrainische Geheimdienst SBU hinter der Spezialoperation stecke. Der SBU bestätigte das nicht, veröffentlichte aber wie viele offizielle Stellen in der Ukraine in den sozialen Netzwerken Aufnahmen von der brennenden Brücke – und stellte ein Gedicht dazu.

Nach Ansicht der ukrainischen Präsidentschaft führt indes eine Spur nach Russland. „Es ist erwähnenswert, dass der explodierte Lastwagen allen Anzeichen nach von der russischen Seite auf die Brücke fuhr“, sagte der ukrainische Präsidentenberater Mychailo Podoljak, der hier anfügte: „Die Antworten sollten also in Russland gesucht werden.“

In der Ukraine wurden die Bilder mit Jubel aufgenommen. „Krim. Die Brücke. Der Anfang“, schrieb Podoljak auf Twitter. Der ukrainische Postchef Ihor Smyljanskyj kündigte unterdessen eine Sondermarke an. „Der Morgen war noch nie so ein schöner. Zu diesem Feiertag bringen wir eine neue Marke heraus mit der Krim-Brücke – oder vielmehr mit dem, was von ihr übrig ist.“ Zuvor hatte die ukrainische Post schon eine Briefmarke des zerstörten Kreuzers „Moskwa“ der russischen Schwarzmeerflotte herausgebracht.

Selenskyj: „Auf Krim leider bewölkt“

Auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ließ in seiner täglichen Videoansprache dann eine mögliche ukrainische Beteiligung offen. In der Ukraine sei es großteils sonnig und warm gewesen, „auf der Krim leider bewölkt, obwohl auch dort warm“, sagte Selenskyj in Anspielung auf die morgendliche Detonation an der Brücke. Näher ging er auf den Vorfall nicht ein.

In der Folge forderte er einmal mehr die Russen zur Aufgabe und Flucht auf. Das sei ihre beste Option, um am Leben zu bleiben, so Selenskyj. Es werde eine Zukunft ohne Besatzer geben in der Ukraine. „Auf unserem ganzen Territorium, insbesondere auf der Krim.“

Putins Prestigeprojekt

Mit 19 Kilometern Länge gilt die Krim-Brückenanlage, die eine Autobahn und daneben eine Bahnstrecke hat, als längstes Bauwerk Europas. Kreml-Chef Putin hatte sie selbst 2018 eröffnet und war auch in einem Zug gefahren. Passagierzüge rollen seit Ende 2019, Güterzüge seit Sommer 2020.

Russian Präsident Putin lenkt einen Lastwagen
Reuters/Alexander Nemenov
Putin steuerte 2018 bei der Eröffnung selbst einen Lkw über die Krim-Brücke

Die Sprecherin des inhaftierten Kreml-Gegners Alexej Nawalny teilte ein Video in den sozialen Netzwerken von dem Feuer und den Schäden – und kommentierte dazu, dass es sich wohl um ein Geschenk zum 70. Geburtstag Putins handle. Der Kreml-Chef hatte das Jubiläum am Freitag in seiner Heimatstadt St. Petersburg begangen.

Der ukrainische Postchef Ihor Smyljanskyj kündigte auf Telegram den Druck einer Sondermarke von der Brücke an. „Der Morgen war noch nie so ein schöner. Zu diesem Feiertag bringen wir eine neue Marke heraus mit der Krim-Brücke – oder vielmehr mit dem, was von ihr übrig ist.“ Zuvor hatte die ukrainische Post schon eine Briefmarke des zerstörten Kreuzers „Moskwa“ der russischen Schwarzmeer-Flotte herausgebracht.