In Umfragen steht Van der Bellen vor einem Start-Ziel-Sieg. Ob ihm das tatsächlich gelingt, hängt nicht zuletzt von der Wahlbeteiligung ab. Um eine Stichwahl abzuwenden, braucht Van der Bellen im ersten Wahlgang mehr als die Hälfte der gültigen Stimmen. Diese Grenze sollte er den Umfragen zufolge überspringen können. Falls nicht, so träte zum ersten Mal seit 1945 der Fall ein, dass ein Amtsinhaber in eine Stichwahl muss. Aussichtsreichster Herausforderer ist FPÖ-Kandidat Walter Rosenkranz.
Das knappste Wiederwahlergebnis verzeichnete Franz Jonas. Im Jahr 1971 wurde er mit 52,8 Prozent im Amt bestätigt. Gegen den SPÖ-Kandidaten Jonas ging für die ÖVP Kurt Waldheim ins Rennen – der von 1986 bis 1992 selbst Bundespräsident wurde. Am deutlichsten waren die Verhältnisse im Jahr 1980, als Rudolf Kirchschläger mit 79,9 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt wurde. Heinz Fischer kratzte 2010 mit 79,3 Prozent an dieser Marke.
Politische Herausforderungen
Bei der Hofburg-Wahl wurden bereits mit dem Stimmzettel zwei Rekordmarken gesetzt: Mit sieben Kandidaten ist die Auswahl groß wie nie – und zur Wahl steht mit dem 35-jährigen Dominik Wlazny auch der jüngste aller bisher 51 Kandidaten und Kandidatinnen. Van der Bellen ist der älteste Bundespräsident, der sich für eine zweite Amtszeit bewirbt. Am 26. Jänner 2023, wenn die nächste Amtszeit beginnt, ist er bereits 79 Jahre alt.
Neben Van der Bellen, Rosenkranz und Wlazny treten der frühere FPÖ/BZÖ-Politiker Gerald Grosz, MFG-Chef Michael Brunner, Schuhfabrikant Heini Staudinger und der Rechtsanwalt und Ex-„Kronen Zeitung“-Kolumnist Tassilo Wallentin an.
Nicht nur die Rekordzahl an Kandidaten, auch der politische Kontext mache die Wahl zu etwas Besonderem, sagte die Politologin Katrin Praprotnik von der Uni Graz gegenüber ORF.at. Die Kandidaten sehen sich mit Faktoren wie niedriger Demokratiezufriedenheit und extremer Teuerung konfrontiert, die außerhalb der Lösungskompetenz des Bundespräsidenten liegen.
Keine Kandidatin: „Demokratiepolitisch bedauerlich“
Aus „demokratiepolitischer und gesellschaftspolitischer Sicht bedauerlich“ und „überraschend für 2022“ findet Praprotnik den Umstand, dass keine einzige Frau im Rennen um die Hofburg ist. „Einerseits geht es um die faire Verteilung politischer Macht. Andererseits um effiziente Politikgestaltung“, so die Politologin. In zahlreichen Studien sei nachgewiesen worden, „dass, wenn Frauen Frauenangelegenheiten vertreten, für eine effizientere Politikgestaltung gesorgt ist“. Das gelte in abgeschwächter Form auch für die Bundespräsidentschaftswahl, wenngleich die Gestaltungsmöglichkeiten geringer seien als etwa in einem Regierungsamt.
Wahlbeteiligung als Fragezeichen
Ein großes Fragezeichen ist die Wahlbeteiligung. Der bisherige Negativrekord wurde 2010 aufgestellt, als der damalige Bundespräsident Fischer wiedergewählt wurde. Bei Wiederwahlen falle die Beteiligung meist geringer aus, sagt Praprotnik. Allerdings sieht sich der Amtsinhaber dieses Mal gleich mit sechs Gegenkandidaten konfrontiert.
„Das bietet ein recht breites alternatives Angebot für Menschen, die nicht den Amtsinhaber wählen wollen“, und könnte eine geringere Wahlbeteiligung auffangen, so die Politologin. Vor allem Van der Bellen müsse mobilisieren, da ihm eine niedrige Wahlbeteiligung schaden könnte.
Fast 6,4 Mio. Wahlberechtigte
Wahlberechtigt am Sonntag sind insgesamt 6.363.489 Menschen in Österreich. Das sind heuer etwas weniger als bei der Nationalratswahl 2019 und auch eine Spur weniger als bei der Hofburg-Wahl 2016. Um 0,52 Prozent bzw. 33.323 ist die Zahl der Wahlberechtigten gegenüber der Nationalratswahl 2019 zurückgegangen, ging aus den am Freitag vom Innenministerium veröffentlichten endgültigen Zahlen hervor. Im Vergleich mit der Bundespräsidentenwahl 2016 sind es um 19.018 bzw. 0,30 Prozent weniger.
Aber nicht alle Bundesländer haben einen Rückgang verzeichnet: Im Burgenland und in Niederösterreich gibt es (verglichen mit der Nationalratswahl) um rund 0,1 Prozent mehr Wahlberechtigte, in Vorarlberg um 0,3 Prozent. Am stärksten gesunken sind die Zahlen in der Steiermark und in Wien, jeweils um rund ein Prozent.
Letzte Vorbereitungen für Hofburg-Wahl
Am Sonntag wird der Bundespräsident gewählt. Die Vorbereitungen in den Dienststellen der Stadt Wien laufen seit Wochen auf Hochtouren. Tausende Wahlzellen und Wahlurnen müssen in die knapp 1.500 Wahlsprengel ausgeliefert werden.
Nicht mehr zu erfahren ist, ob weiterhin der etwas größere Teil der Wahlberechtigten weiblich ist. Denn die Aufteilung nach „Frauen“ und „Männern“ wurde mit dem Wahlrechtsänderungsgesetz 2022 gestrichen – damit auch Menschen, die sich keinem Geschlecht eindeutig zugehörig fühlen bzw. dieses nicht angeben wollen, weiter an Wahlen teilnehmen können.
Digitaler Wahlkampf
Der Präsidentschaftswahlkampf ist heuer endgültig auch im Internet angekommen. In den sozialen Netzwerken kämpften die sieben Kandidaten mehr oder minder ambitioniert um Stimmen und nahmen dafür auch Geld in die Hand. Die mit Abstand meisten Menschen erreicht man mittlerweile auf TikTok. Die verkürzte und oftmals humoristische Darstellung ihrer Interessen birgt für die Kandidaten aber auch Gefahren. In ihrem Auftritt sehen Experten klare Strategien.
Facebook gilt nach wie vor als „Basismedium“, da man innerhalb der großen Gruppe der 25- bis 60-Jährigen ein sehr breites Publikem erreicht, so Markus Zimmer, Geschäftsführer der Social-Media-Marktforschungsagentur Buzzvalue. Vor allem für Parteien rechts der Mitte sei Facebook interessant, da besonders zielgruppenspezifisch geworben werden kann. Die FPÖ gilt als Partei, der der Sprung in die digitale Welt als Erster gelungen ist. Die Zeiten, in denen einem einzigen FPÖ-Politiker 800.000 Menschen folgen, sind jedoch vorbei.
Bundespräsident und TikTok
Wer heutzutage Wahlkampf macht und erfolgreich sein will, kommt ohne Social Media nicht aus. Mit Hilfe der chinesischen Kurzvideoplattform TikTok hoffen die Bundespräsidentschaftskandidaten, junge Wähler für sich zu gewinnen. Wer macht das Rennen im digitalen Raum?
Rosenkranz ist mit rund 53.000 Euro der Kandidat, der sich seinen Facebook- und Instagram-Auftritt am meisten hat kosten lassen. Neben ihm haben bis Mitte September lediglich der Amtsinhaber (40.000 Euro) und MFG-Kandidat Michael Brunner (1.500 Euro) Geld an die beiden Plattformen bezahlt.
Wahlkampf auf TikTok
Will man viele Menschen erreichen, heißt die richtige Plattform TikTok. Mit rund 1,5 Millionen Usern und Userinnen in Österreich ist TikTok längst nicht mehr das „Teenagermedium“, als das es oft gesehen wird. Auch Mitte-30-Jährige erreicht man über die Plattform, auf der ausschließlich kurze Videos gepostet werden. Mehr als sieben Millionen Mal wurden die Inhalte der Kandidaten auf TikTok bereits angeklickt, deutlich öfter als auf dem zweitstärksten Medium YouTube (1,5 Millionen).
Bundespräsident Van der Bellen sowie die Kandidaten Wlazny und Grosz hätten das am besten erkannt und die größte Reichweite auf TikTok, so Zimmer. Tweets verfassen hingegen lediglich der Amtsinhaber und Wlazny. „Twitter ist eine Plattform, die Rechtspopulisten in Österreich gar nicht interessiert“, so Zimmer.