Wahlkampfveranstaltung von Dominik Wlazny
ORF.at/Christian Öser
Wlazny und Co.

Lehren aus der Hofburg-Wahl

Die Bundespräsidentenwahl war eine ganz und gar außergewöhnliche Wahl: sieben Kandidaten, davon die Mehrzahl ohne den Hintergrund einer etablierten Partei; und diese Parteien waren gleichzeitig die großen Abwesenden. Zumindest teilweise sind so auch die Ergebnisse zu interpretieren. Doch es gibt auch Lehren aus der Wahl, die möglicherweise relevantesten sind wohl aus dem Erfolg von Dominik Wlazny zu ziehen.

Der Chef der Bierpartei hat es geschafft, bundesweit mehr als acht Prozent zu gewinnen. Dass er in Wien sein bestes Ergebnis erreicht, war zu erwarten. Dass es der zweite Platz wird, eher nicht. Doch selbst sein schlechtestes Bundeslandergebnis – 6,5 Prozent in Salzburg – gilt als beachtlich, war er doch kurz vor der Wahl eher als Wiener Phänomen wahrgenommen und von manchen als Spaßpolitiker belächelt worden.

Einige Kommentatoren merkten bereits an, dass das Ergebnis vor allem SPÖ und Grünen zu denken geben muss – vor allem für den Fall, dass Wlazny mit seiner Bier-Partei auch bei der nächsten Wien-Wahl oder der nächsten Nationalratswahl antritt. Das mag durchaus sein, aber betrifft nicht nur diese Parteien: Laut Wählerstromanalyse kam der größte Zustrom aus jener Gruppe, die bei der vergangenen Nationalratswahl NEOS wählte.

In allen Lagern gefischt

Und er mobilisierte mit einer gewieften, aber minimal kostspieligen Kampagne mehr Nicht- und Noch-Nichtwähler von 2019 und gewann mehr FPÖ-Wählerinnen und -Wähler von damals als Wähler, die der SPÖ 2019 ihre Stimme gaben. Wlazny konnte also offenbar in allen Lagern fischen. Dass er mit kaum vorhandenem Wahlkampfbudget gleich 20 Prozent der bis 29-Jährigen abräumte, sollte den anderen Parteien auch zu denken geben.

Nächste Schritte nicht einfach

Umgekehrt wäre für Wlazny und seine Bier-Partei der Schritt in die große Politik auch kein einfacher. Von seinem Musiker- und Satiriker-Alter-Ego Marco Pogo hat er sich im Laufe des Wahlkampfs schon stärker distanziert. Doch das wird vielleicht nicht reichen: In einer Hofburg-Wahl kann und muss man als Einzelkämpfer antreten.

Für andere Wahlen braucht es weitere herzeigbare und fähige Köpfe, eine funktionierende Parteistruktur – und, was bei neuen Parteien oft das Hauptproblem ist, ein konsistentes Team ohne politische Glücksritter und Flügelkämpfe. Und dann wird es auch nicht genug sein, nur über bestimmte Themen reden zu wollen: Man braucht Positionen zu allen relevanten politischen Fragen.

Konkurrenz für die FPÖ

Auch wenn Wlazny das bestehende Parteien– und Politsystem herausgefordert hat, titulierten sich andere weit stärker als „Anti-Establishment“-Kandidaten, also eigentlich alle anderen außer Amtsinhaber Alexander Van der Bellen. Die FPÖ beherrscht dieses Doppelspiel, einerseits Teil des politischen Systems zu sein und andererseits gegen das „System“ anzukämpfen, seit jeher gut.

Politologe Filzmaier zum Wahlausgang

Der Politologe Peter Filzmaier analysiert die Ergebnisse der einzelnen Kandidaten. Über Alexander Van der Bellen sagt er, die Mehrheit sehe ihn als nicht überparteilich, und er habe vor allem Leute angesprochen, die zufrieden mit ihrem Einkommen sind.

Ob die errungenen 18 Prozent für Walter Rosenkranz ein Erfolg sind oder sich die Freiheitlichen über einen Kannibalisierungseffekt im rechten Spektrum ärgern müssen, ist eine Frage der Perspektive: Zumindest die gut acht Prozent von Tassilo Wallentin und die 5,5 Prozent von Gerald Grosz müssten die Freiheitlichen bei der nächsten Nationalratswahl wieder ins Visier nehmen – zumal beide Kandidaten bisher keine konkreten Ambitionen geäußert haben, der Parteipolitik erhalten zu bleiben.

Mediale Unterstützung für Wallentin und Grosz

Einen Teil ihres Erfolges haben die beiden sicherlich ihrem medialen Hintergrund zu verdanken: Ex-„Krone“-Kolumnist Wallentin wurde etwa in der Zeitung zwar nicht explizit beworben, sehr wohl aber etwa auf den Leserbriefseiten. Und – ob Zufall oder eher nicht – besonders gut schnitt er dort ab, wo die Zeitung eine größere Reichweite hat.

Grosz wiederum durfte seine Wut- und Brandreden vor allem über das Medienhaus Österreich/oe24 verbreiten. Er schaffte es auch, zumindest ein paar zehntausend Nichtwähler der Nationalratswahl 2019 und der Bundespräsidentenwahl 2016 für sich zu gewinnen. Bei Wallentin waren das nur sehr wenige, er holte viel Wähler von der ÖVP ab.

Einfluss von Verlegern auf Wahl

Nach Auszählung der Briefwahlen ist klar, dass Tassilo Wallentin, der von der Kronen Zeitung unterstützte Kandidat, auf Platz vier kommt. Platz fünf geht an den Blogger Gerald Grosz mit 5,6 Prozent, der auch oft auf oe24 auftritt. Gleich zwei Kandidaten hatten also große Unterstützung der Boulvard-Herausgeber Dichand und Fellner.

Krisen befeuern Systemkritik

Dass Anti-Establishment-Parolen derzeit gut ziehen, ist mit Blick auf die vergangenen Jahre leicht verständlich. Mit der Coronavirus-Pandemie und dem Ukraine-Krieg und seinen Teuerungsfolgen stand und steht Europa inmitten der zwei größten Krisen der Nachkriegsgeschichte. Zählt man die Klimakrise auch noch dazu, dann ergibt das eine Themenlage, in der die Politik an sich wenig gewinnen kann.

Doch dazu kamen, vor allem in der Pandemiepolitik – das ist von Expertinnen und Experten unbestritten –, politische, handwerkliche und kommunikative Fehler. Die vergangenen Jahre waren zudem garniert mit ÖVP-Skandalen, die die Führungsspitze der zuletzt stärksten Partei pulverisierten. Dass in so einer Gemengelage die Politik in eine Vertrauenskrise stürzt, die andere zu nutzen suchen, ist nachvollziehbar.

Van der Bellens Ergebnis mit Licht und Schatten

Vor dem Hintergrund ist auch das Ergebnis von Alexander Van der Bellen zu sehen: Sein – niedrig gestecktes – Wahlziel, in der ersten Wahlrunde Klarheit zu schaffen, erreichte er leicht. Der erste Platz in allen Bundesländern und in fast allen Gemeinden steht auf der Habenseite. Auf der anderen Seite stehen ein Endergebnis, das weit hinter früheren Amtsinhabern bei der Wiederwahl liegt, und ein eher lauer Wahlkampf. Ob Wahlplakate noch eine Zukunft haben, wurde in den vergangenen Wochen jedenfalls infrage gestellt.

Analyse der Politologin Stainer-Hämmerle

Die Politikwissenschaftlerin Kathrin Stainer-Hämmerle analysiert das Wahlergebnis und spricht unter anderem darüber, warum Alexander Van der Bellen im Vergleich zu anderen ehemaligen Präsidenten schlechter abgeschnitten hat.

SPÖ, ÖVP und NEOS in der Zuschauerrolle

Die im Wahlkampf auf ihre Unterstützer- und damit Zuseherrolle reduzierten Parteien werden wohl nun – wie schon bei ihrer Entscheidung, niemanden selbst ins Rennen zu schicken – weiterhin überlegen, ob sie die richtige Entscheidung getroffen haben. Einerseits verpassten ÖVP, SPÖ und NEOS die Chance, eigene Standpunkte öffentlich und vor allem in den Medien vertreten zu können und damit Präsenz zu zeigen. Andererseits ersparte man sich Kosten – und recht wahrscheinlich ein ähnlich ernüchterndes Abschneiden wie bei der Wahl 2016.

Die impfkritische MFG dürfte angesichts des Wahlergebnisses und zuletzt auftretender Querelen ihre beste Zeit schon wieder hinter sich haben. Mit dem Schwinden des Coronavirus-Themas verlor man das politische Alleinstellungsmerkmal, auch die Partei wird es wohl ähnlich schwer haben wie ihr Chef Michael Brunner im Präsidentschaftswahlkampf.