Mann vor brennendem Auto in Kiew
AP/Roman Hrytsyna
Raketenangriffe auf Städte

Weitere Eskalation im Ukraine-Krieg

Die großangelegte russische Angriffserie auf ukrainische Städte hat international Empörung hervorgerufen. UNO-Generalsekretär Antonio Guterres sprach von einer „weiteren inakzeptablen Eskalation des Krieges“. US-Präsident Joe Biden erklärte, die Angriffe zeigten die „äußerste Brutalität“ von Wladimir Putins „illegalem Krieg“. Und während die EU den „wahllosen Angriff auf Zivilisten“ verurteilte, sprach Moskau von einer Reaktion auf den angeblichen Anschlag auf die Krim-Brücke.

In der Hauptstadt Kiew und im westukrainischen Lwiw schlugen zum ersten Mal seit Monaten wieder Raketen ein, auch viele andere Städte wurden beschossen. Nach Angaben der ukrainischen Polizei wurden bei den Angriffen mindestens elf Menschen getötet und 89 weitere verletzt. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte in einer Videobotschaft, die Angriffe hätten sich vor allem gegen die Energieinfrastruktur gerichtet.

Nach Angaben des ukrainischen Verteidigungsministeriums feuerte Russland insgesamt 83 Raketen ab. 52 dieser Raketen seien von der ukrainischen Luftabwehr abgefangen worden. Selenskyj sagte, Russland habe bei den Angriffen auch vom Iran hergestellte Drohnen eingesetzt. Nach Angaben der ukrainischen Armee wurden einige dieser Drohnen im Nachbarland Belarus und auf der Krim gestartet. Moldawien warf Russland die Verletzung seines Luftraums vor.

Menschen stehen um Einschlagkrater in Dnipro
APA/AFP/Dimitar Dilkoff
Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt Dnipro bei der Einschlagstelle einer russischen Rakete

Putin spricht von Reaktion auf Brückenexplosion

Putin nannte den Angriff eine Reaktion auf die „Terroranschläge“ gegen russisches Gebiet. Am Samstag hatte eine Explosion die 19 Kilometer lange Brücke erschüttert, die Russland und die 2014 von Moskau annektierte Krim verbindet. Putin machte am Sonntag den ukrainischen Geheimdienst SBU dafür verantwortlich. „Wenn die Versuche terroristischer Anschläge auf unser Gebiet fortgesetzt werden, werden die Antworten Russlands heftig ausfallen und in ihrem Ausmaß dem Niveau der Bedrohungen entsprechen“, drohte Putin.

Russland-Experte zu den Raketenangriffen

Politikwissenschaftler und Russland-Experte Gerhard Mangott analysiert die Hintergründe der zahlreichen russischen Raketenangriffe auf mehr als zehn Städte in der Ukraine. Außerdem ordnet er ein, inwiefern Putins weitere Drohungen ernst zu nehmen sind.

Selenskyj: Ukraine lässt sich nicht einschüchtern

Selenskyj betonte indes den Widerstandswillen seines Landes. „Die Ukraine lässt sich nicht einschüchtern, sie lässt sich nur noch mehr vereinen“, sagte er in seiner abendlichen Videoansprache am Montag in Kiew. Bei den Angriffen wurden nach Angaben des ukrainischen Innenministeriums vom Abend landesweit 14 Menschen getötet und 97 verletzt. Das Video wurde nicht, wie sonst üblich, in Selenskyjs gut gesichertem Präsidialamt aufgezeichnet.

Der Staatschef stand nach eigenen Angaben abends an einer beschädigten Straßenkreuzung nahe der Universität. Im Hintergrund waren Bagger, Lastwagen und anderes Räumgerät zu sehen. Dort waren morgens Raketen eingeschlagen. Der Präsident verwies darauf, dass es in und um einen Park vor der Uni nur zivile Ziele gebe – die Hochschule, einen Kinderspielplatz, zwei Museen – und keine militärischen Einrichtungen, die Russland nach eigenen Angaben getroffen hat.

„Die Besatzer können uns auf dem Schlachtfeld nicht entgegentreten und deshalb greifen sie zu diesem Terror“, sagte Selenskyj. In vielen Städten seien die kommunalen Dienste dabei, die unterbrochene Strom- und Wasserversorgung zu reparieren. „Es dauert noch ein paar Stunden.“ Er rief die Bevölkerung auf, möglichst keine Geräte mit großem Verbrauch zu nutzen. „Je mehr Ukrainer Strom sparen, desto stabiler funktioniert das Netz.“

Journalist zu den Angriffen in der Ukraine

Journalist Denis Trubetskoy spricht über die heftigen Raketenangriffe in der Ukraine.

Belarus und Russland bilden gemeinsame Eingreiftruppe

Der belarussische Staatschef Alexander Lukaschenko warf der Ukraine unterdessen Planungen für einen Angriff auf Belarus vor und gab deshalb die Aufstellung gemeinsamer Truppen mit Russland bekannt. „Wir haben beschlossen, einen regionalen Verbund der Russischen Föderation und der Republik Belarus aufzustellen“, sagte Lukaschenko am Montag laut der staatlichen belarussischen Nachrichtenagentur Belta, ohne allerdings Angaben zu deren Standort zu machen.

Lukaschenko spricht von „inoffiziellen Kanälen“

Der Ukraine warf er vor, einen Angriff auf Belarus vorzubereiten, weshalb diese Entscheidung nun getroffen worden sei. Über „inoffizielle Kanäle“ sei Minsk vor „Vorbereitungen auf einen Angriff von ukrainischem Gebiet aus gegen Belarus“ gewarnt worden. Woher diese angeblichen Informationen kommen sollen, führte Lukaschenko nicht näher aus.

Die Ukraine wolle „eine zweite Krim-Brücke“ schaffen, fügte er mit Blick auf die Explosion und Beschädigung der Brücke zur von Russland annektierten Halbinsel Krim hinzu.

Eine Grafik zeigt die derzeitige Lage in der Ukraine (Eroberungen und Rückeroberungen)
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: ISW/liveuamap.com/Ukrainische Armee

Lukaschenko beschimpft Selenskyj

Lukaschenko sagte laut Belta weiter, er habe Selenskyj die Nachricht zukommen lassen, er solle „seine dreckigen Hände von jedem Meter belarussischen Gebiets“ lassen. „Wenn du Frieden willst, bereite den Krieg vor“, wurde Lukaschenko aus einem Treffen mit Vertretern des belarussischen Sicherheitsbereichs weiter zitiert. Auf belarussischem Gebiet dürfe es aber keinen Krieg geben.

Später warf Lukaschenko der Ukraine, Litauen und Polen vor, belarussische „Radikale“ zur Ausführung von Terroranschlägen auszubilden. Die USA und die EU beschuldigte er, aus Belarus Geflüchteten Unterschlupf zu gewähren, um sie zu einer „politischen Kraft“ zu machen.

Enger Verbündeter Putins

Belarus ist ein enger Verbündeter Russlands. Bereits zu Beginn der russischen Offensive in der Ukraine Ende Februar hatte das Nachbarland sein Gebiet zum Aufmarsch russischer Truppen zur Verfügung gestellt. Diese fielen dann bei der Invasion vom Norden her in die Ukraine ein. Bisher sind belarussische Soldaten aber nicht direkt im Ukraine-Krieg im Einsatz.

Die belarussische Armee hat etwa 60.000 Mann. Bereits zu Kriegsbeginn zog Lukaschenko mehrere Bataillone, insgesamt Tausende Soldaten, an der Grenze zusammen. Am Sonntag warf die belarussische Grenzwache der Ukraine Provokationen an der Grenze vor.