Colleen Hoover
AP/LM Otero
Colleen Hoover

Megastar aus dem Trailerpark

Eine Story über Colleen Hoover ist eine Story der Superlative – und eines der wenigen Beispiele für den „amerikanischen Traum“ im 21. Jahrhundert. Vom Trailerpark aus startete sie ihre Karriere, heute finden sich – gleichzeitig – sechs ihrer Bücher unter den Top Ten der „New York Times“-Taschenbuch-Bestsellerliste. Das hat mit ihrem Status als unangefochtene „Queen of #BookTok“ auf TikTok zu tun.

Alleine heuer hat Hoover bisher 8,6 Millionen Bücher verkauft, wie die „New York Times“ berichtete, mehr als die berühmten Bestsellerautoren James Patterson und John Grisham zusammen. Nicht einmal von der Bibel gingen so viele Ausgaben über den Ladentisch. Damit bewegt sich Hoover auf den Spuren von „Fifty Shades“-Autorin E. L. James.

James’ Erfolg fußte auf der Fanfiction-Szene, Mundpropaganda und Literaturblogs. Hoover ist hingegen in erster Linie ein Social-Media-Phänomen. In die Wiege gelegt war ihr das nicht. Als Jugendliche wollte sie schon schreiben, wie sie in einem Videoporträt der Buchhandelskette Thalia erzählt. Aber das waren dann doch zu viele finanzielle Fragezeichen für jemanden, der aus einfachen Verhältnissen kommt.

Vom Neuneurojob zum Durchbruch

1979 geboren, ging sie als junge Erwachsene auf das, was in Österreich die Sozialakademie ist. Mit 21 heiratete sie ihren Partner, zog mit ihm in ein fahrendes Single-Haus in einem Trailerpark und arbeitete fortan als Sozialarbeiterin für neun Euro die Stunde. Inspiriert vom Song „Head Full of Doubt/Road Full of Promise“ der Avett Brothers schrieb sie ihren ersten Roman, „Slammed“, und gleich einen Monat später die Fortsetzung.

Die beiden Bücher wollte sie eigentlich gar nicht publizieren, sondern brachte sie im Jänner und Februar 2012 online im Selbstverlag nur heraus, damit ihre Mutter sie auf dem neu gekauften E-Book-Reader lesen konnte. Doch rasch bekam „Slammed“, ein Liebesroman rund um einen jungen Poetry-Slammer, gute Onlineratings. Durch die Decke ging das Buch, nachdem es von der Buchbloggerin Maryse Black empfohlen worden war.

Buchbranche auf den Kopf gestellt

Plötzlich fand sich Hoover mit ihren beiden Büchern im August auf den Plätzen acht und 18 der „New York Times“-Bestsellerliste wieder. Ein Schock, von dem sie sich bis heute nicht ganz erholt hat. Ihre Produktivität schmälerte das nicht. Schon im Dezember – immer noch 2012 – veröffentlichte sie „Hopeless“ und führte damit bereits im Jänner 2013 die Bestsellerliste an. Noch nie zuvor hatte das jemand mit einem Buch aus dem Selbstverlag geschafft.

Hoover stellt auch sonst alle Regeln des Buchbetriebes auf den Kopf. Sie ist bis heute keinem einzelnen Verlag verpflichtet und keinem Genre. Sie schreibt Liebesromane, Politthriller, Geisterstorys, Bücher über soziale Probleme – was auch immer ihr gerade einfällt. Dabei wechselt sie die Verlagshäuser, wie es ihr gerade passt. Mitunter bleibt sie beim Selbstverlag oder verkauft die Print-, aber nicht die Onlinerechte ihrer Bücher, wie die „New York Times“ berichtet.

Eingeschworene Fangemeinde

Quer durch alle Genres sind 2022 fünf der zehn meistverkauften Bücher in den USA von ihr verfasst worden. Fast schon ein Alleinstellungsmerkmal ist, dass es nicht wie bei Verlagshäusern die neuesten Titel sind, die auf den Verkaufslisten die Plätze hochklettern, sondern immer wieder ältere Bücher. Hoovers Erfolg hat nichts mit der Marketingmaschinerie der Buchbranche zu tun, die sich immer nur auf Neuerscheinungen konzentriert. Er basiert alleine auf den Fans, den „CoHos“, wie sie sich selbst nennen.

Auf Instagram starteten sie den Hype im Universum des Hashtags #bookstagram, vor allem aber geht Hoover auf TikTok unter #BookTok viral. Der aktuelle Trend: Kurz den Gesichtsausdruck von Lesenden zeigen, die gerade an bestimmten Stellen in Hoover-Büchern angekommen sind. Ihre Storys sind für spektakuläre U-Turns und überraschende, emotionale Höhepunkte bekannt. Selbst ein unscheinbares Video mit einem offensichtlich für die Aufnahme gemimten überraschten Gesichtsausdruck hat 2,4 Millionen Zugriffe.

„Guilty pleasure“ für Millionen

Alle sozialen Netzwerke, auch YouTube, sind voll von Liebeserklärungen an die Autorin und von begeisterten Rezensionen. Entscheidend, auch im Sinne von verkaufsentscheidend, ist jedoch besonders #BookTok. Unter dem Hashtag sind bisher 60 Mrd. Videos online, wie Buzzfeed schreibt. Vor allem junge Frauen sind die Zielgruppe. Durch sie schaffen es immer wieder Bücher in die Bestsellerlisten, die von den etablierten Medien nicht erwähnt werden.

Hoover gilt als Schnulzenautorin und wird erst nach und nach von der Literaturkritik mit Fingerspitzen angefasst. Eine Leserin, die sonst eher Literatur liest, mit der man in kulturaffinen Zirkeln reüssieren kann, sagt zu ihrem „guilty pleasure“: „Über den Inhalt brauchen wir nicht reden. Aber man kann ein Buch von ihr einfach nicht aus der Hand legen, wenn man einmal zu lesen begonnen hat.“ Fans lieben, dass man bei ihr an einem einzigen Leseabend manchmal lacht, manchmal weint und stets gefesselt ist.

Paralleluniversum der Lesenden

Hoover ist nicht die einzige Autorin, die von #BookTok profitiert. Taylor Jenkins etwa war durch den #BookTok-Hype um ihre Person 52 Wochen lang in der „New York Times“-Bestsellerliste vertreten. Auch Emily Henry, Ali Hazelwood, Elena Armas und Sarah J. Maas zählen durch #BookTok zu Superstars, wie Buzzfeed schreibt. Mit ihren Romanzen, Thrillern und Mystery-Storys richten auch sie sich vor allem an junge Frauen.

Hoover jedenfalls scheint recht egal zu sein, wie sie zu ihrer Leserschaft gelangt. Aber sie macht in Interviews klar, dass es ihr um nichts anderes geht, als ihren Fans eine Freude zu bereiten. Deshalb lässt sie den Social-Media-Hype nicht einfach über sich ergehen, sondern tauscht sich intensiv mit den „CoHos“ aus. Näher dran an der Zielgruppe als die Mutter von mittlerweile drei Kindern ist niemand.