Szene aus dem Film „Triangle of Sadness“ zeigt junge Frau und Mann auf Liegestühlen
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„Triangle of Sadness“

Kaviar, Marxismus und Fäkalhumor

Kapitalismuskritik mit Kotzefontänen: Mit der feinen Klinge argumentiert Ruben Östlund selten, und auch in seinem neuen Film findet er drastische Bilder dafür, wer die wahre Hölle ist. Überraschende Erkenntnis: Es sind die anderen. In Cannes gab es dafür die Goldene Palme.

Nein, du! Ach nein, du! Wer hinter diesen Worten zärtliche Höflichkeiten vermutet, liegt falsch. Carl (Harris Dickinson) ist es zwar ein bisschen peinlich, dass er das gemeinsame Abendessen mit seiner Freundin Yaya (gespielt von Charlbi Dean, die diesen September unerwartet mit nur 32 Jahren starb) nicht einfach zahlt, aber es geht schon auch um Gerechtigkeit. Traditionelle Rollenaufteilung hin oder her, erstens ist es das Jahr 2022, zweitens, sie verdient mehr als er, und drittens, sie ist schließlich emanzipiert, oder nicht?

Die Diskussion, die ziemlich am Beginn von „Triangle of Sadness“ zwischen dem männlichen Model Carl und seiner Influencer-Freundin Yaya ausufert, macht schon einige grundsätzliche Sollbruchstellen im Gefüge deutlich: Rollenbilder, Neid, Männlichkeit, Eitelkeit.

Szene aus dem Film „Triangle of Sadness“ zeigt alten dicken Mann auf einer Sonnenliege eine junge Frau im Bikini fotografierend
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„Schöne“, „heile“ Luxusyachtwelt: Östlund schickt seine Protagonistinnen und Protagonisten auf hohe See

Instagram-Boyfriend in der Identitätskrise

Die Modebranche war für Östlund ein Anlass für diesen Film, wie er im Gespräch mit ORF.at sagt. „Ein männliches Model zu sein, ist kein statusträchtiger Beruf – überall sonst wird das Männliche als Standard gesehen, hier ist es das Weibliche. Es ist wie ein spiegelverkehrtes Bild unserer Gesellschaft, mit einer umgedrehten Hierarchie, wenn es um Gender geht“, so Östlund. „Männliche Models müssen auch damit umgehen, dass mächtige Männer mit ihnen Sex wollen. Ich wollte mir ansehen, was es mit Schönheit als Währung auf sich hat, aus dieser Perspektive.“

Als Model hat Carl seine Eitelkeit in sein Erscheinungsbild zu investieren, sonstige maskuline Empfindlichkeiten kann er sich nicht leisten. Also begleitet er Yaya auch auf den bezahlten Yachturlaub, als Instagram-Boyfriend, der mit seinen Hipster-Tattoos eine gute Hintergrunddeko abgibt. Zu mehr ist er hier nicht zu gebrauchen, und angesichts der mit nacktem Oberkörper das Schiff schrubbenden Crew und ihren durch ehrliche Arbeit erworbenen sehnigen Muskeln fühlt er das deutlich. Aber da hat die Katastrophe noch nicht halb begonnen.

„Triangle of Sadness“ ist der dritte Film, mit dem der schwedische Regisseur und Drehbuchautor Östlund international Furore macht. Zuerst war da das hinterfotzige „Höhere Gewalt“ (2014) um den Zusammenbruch eines männlichen Egos. Angesichts einer Lawine rettet da ein Familienvater im Skiurlaub nur sich selbst und sein Smartphone, überlässt Frau und Kinder aber dem vermeintlichen Tod – ein Verhalten, das die Harmonie der verbleibenden Urlaubstage empfindlich schmälert.

Mehr ist mehr

Auch im Nachfolgefilm „The Square“, einer grellen Gesellschaftssatire im wohltemperierten Rahmen eines Museums Moderner Kunst, für die Östlund in Cannes 2017 seine erste Goldene Palme errang, gerät fragile Männlichkeit an ihre Grenzen. Ein Kurator scheitert da an seiner Eitelkeit, seinem unreflektierten Umgang mit Privilegien und mit den gesellschaftlichen Konventionen, die seine Position mit sich bringt. Östlund versetzt seinen Protagonisten in immer wieder neue unangenehme Situationen, bis der dünne Lack der Zivilisiertheit zersplittert.

Szene aus dem Film „Triangle of Sadness“ zeigt zwei Offizieren mit Sektgläsern
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Windschiefer Kapitän mit besoffenem erstem Offizier

Eine der denkwürdigsten Szenen ist jene, in der ein Mann im Affenkostüm in einer eleganten Tischgesellschaft außer Rand und Band gerät, die Anwesenden sexuell brüskiert und schließlich mit Gewalt bedroht. Dabei macht sich Östlund nicht nur lustig über verschiedene Kategorien moralischer und sozialer Regelübertretungen, sondern auch über Konzeptkunst, gewissermaßen als Gipfel künstlicher Kultiviertheit. Ans Ende setzt Östlund eine plakative Katharsis.

Im Vergleich zu „Triangle“ ist „The Square“ allerdings geradezu zurückhaltend. Das „Dreieck“ im Titel bezieht sich übrigens auf eine bestimmte Zone im Gesicht von Models, die zur Maximierung der Schönheit möglichst unbewegt bleiben soll. „Triangle of Sadness“ begleitet das junge Modelpaar in drei Kapiteln durch eine Welt, in der Schönheit bares Geld wert ist. In seiner Kritik gesellschaftlicher Normen ist der Film dabei etwa so subtil wie ein Dreijähriger, der aus Protest gegen das Bravseinmüssen sein Essen überall hinschmiert.

Szene aus dem Film „Triangle of Sadness“ zeigt eine ältere Frau im Badeanzug am Beckenrand mit einer jungen Frau daneben hockend
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„Entspannen Sie sich!“ Sunnyi Melles wird als Luxuspassagierin vehement

Kaviar und Klohumor

Die entsprechende Szene im Film entspinnt sich in einem aufkommenden Sturm, während die Luxusyachtpassagiere ihre Seekrankheit angesichts blattgoldgarnierten Kaviars und anderer dekadenter Köstlichkeiten niederzukämpfen versuchen. Die meisten, besonders spektakulär eine von Sunnyi Melles gespielte Passagierin, müssen schließlich resignieren und ergießen sich aus sämtlichen Körperöffnungen hilflos auf die Auslegware. Die Sanitäranlagen des Schiffes haben sich unterdessen längst den Naturgewalten unterworfen.

Damit noch die Letzte im Publikum versteht, dass es sich bei dieser Szene nicht um reinen Zirkus, sondern um Brachialgesellschaftskritik handelt, ist die ganze Sequenz unterlegt mit einem verbalen In-Fight des kommunistisch orientierten Kapitäns (Woody Harrelsson) mit einem postsowjetischen Unternehmer, der seinen Reichtum mit Dünger, also mit Scheiße, gemacht hat. Während die Besatzung putzt und die anderen Passagiere sich in den eigenen Ausscheidungen krümmen, werfen die beiden Männer einander via Bordkommunikation marxistische und wirtschaftsliberale Zitate an den Kopf.

Kapitalismuskritik brutal

Östlund rechtfertigt diesen Kniff mit seiner eigenen Familie: „Meine Mutter ist seit den 60ern eine Sozialistin und Kommunistin, und mein Bruder hat sich als rechtsgerichteter Konservativer entpuppt. Bei jedem Familienessen wird unweigerlich lautstark politisiert.“ Es sind die dualen Kategorien von Ost und West, von Kommunismus und Sozialismus auf der einen und Liberalismus und Kapitalismus auf anderen Seite, die auch im Film aufeinandertreffen. Den theoretisch-philosophischen Unterbau für sein Spektakel liefert Östlund damit freundlicherweise gleich mit.

Im dritten Kapitel, bei dem eine Gruppe von Überlebenden vom Schiff auf einer einsamen Insel strandet, gelangt er dann allerdings wenig überraschend zu einer zynischen Erkenntnis. In dieser „Herr-der-Fliegen“-Konstellation zählt nun plötzlich nicht mehr Geld, sondern Geschicklichkeit, Körperkraft – wiederum sexuelle Attraktivität. Plötzlich avanciert die Klofrau der Yacht als kompetente Fischerin zur neuen Chefin der Überlebenden.

„Dass jede Beziehung auch eine ökonomische Transaktion bedeutet, ist viel mehr ein Faktum, als wir uns eingestehen wollen“, so Östlund. Im Film zieht er ein harsches Fazit: Echte Solidarität gibt es keine, nur unterschiedliche Machtbündnisse und je nach Bedarf verschiedene Zahlungsmittel und Hierarchien. Diese Bitterkeit wird am Ende überdeckt durch eine letzte Pointe. Wer zuletzt lacht, geht immerhin mit guter Laune aus dem Kino.