Video von Donald Trump wird vor dem Ausschuss auf einer Leinwand gezeigt
Reuters/Elizabeth Franz
Kapitol-Sturm

Seltene Vorladung mit großer Symbolkraft

Wenige Wochen vor den Zwischenwahlen in den USA hat der Ausschuss des Repräsentantenhauses, der den Sturm auf das Kapitol vom 6. Jänner 2021 untersucht, einstimmig dafür gestimmt, Ex-Präsident Donald Trump vorzuladen. Die Vorgehensweise gilt als selten vorkommende Eskalation der Untersuchungen mit Symbolwirkung – und hat laut Medienberichten weniger mit dem Gesetz, sondern vielmehr mit der öffentlichen Meinung zu tun, die von den bisherigen Anhörungen überraschend gering beeinflusst wurde.

Hunderte radikale Trump-Anhänger hatten am 6. Jänner 2021 das Kapitol gestürmt, als dort Joe Bidens Sieg bei der Präsidentschaftswahl endgültig bestätigt werden sollte. Trump hatte in den Wochen zuvor die Falschbehauptung verbreitet, er habe die Wahl in Wirklichkeit gewonnen, und rief seine Anhänger unmittelbar vor der Kapitol-Erstürmung in einer Rede auf, „auf Teufel komm raus“ zu kämpfen. Die Kapitol-Erstürmung mit fünf Toten und rund 140 verletzten Polizisten sorgte weltweit für Entsetzen und gilt als schwarzer Tag in der Geschichte der US-Demokratie.

Bei der Ausschusssitzung am Donnerstag wurde unter anderem brisantes, bisher unveröffentlichtes Videomaterial gezeigt, auf dem zu sehen ist, wie Kongressmitglieder während der Kapitol-Erstürmung telefonisch um Hilfe bitten. „Sie schlagen gerade die Fenster ein (…) man sagt, dass auf jemanden geschossen wurde“, sagt die Vorsitzende des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, in einem aufgezeichneten Handytelefonat. „Es ist einfach schrecklich – und das alles auf Anstiftung des Präsidenten der Vereinigten Staaten.“

Die Entscheidung des Ausschusses, Trump vorzuladen, beruhe wohl zum Teil auch auf der Überzeugung, dass seine Verteidigungsversuche der enormen Beweislast nicht standhalten könnten, schreibt das US-Magazin „Politico“ mit Verweis auf Behauptungen Trumps, er habe die Wahlbetrugsvorwürfe zeitweise wirklich geglaubt und von der Gewalt im Kapitol nichts mitbekommen.

Demonstranten beim Sturm auf das Kapitol
Reuters/Shannon Stapleton
Trump wiegelte seine Anhänger am 6. Jänner 2021 mit falschen Behauptungen auf

Vorladung kein Novum, aber dennoch starker Schritt

„Wir sind verpflichtet, Antworten direkt von dem Mann einzufordern, der das alles in Gang gesetzt hat“, begründete die republikanische Abgeordnete Liz Cheney als Vizevorsitzende des Ausschusses die Vorladung, die eine Vorstufe zu den öffentlichen Anhörungen darstellt. Auch der Ausschussvorsitzende Bennie Thompson erklärte, Trump müsse für seine Taten „Rechenschaft vor dem amerikanischen Volk ablegen“.

Eine solche Entscheidung ist kein Novum – Trump ist der vierte ehemalige Präsident, der dazu aufgefordert wird. Es handle sich dabei aber dennoch um einen starken Versuch, eine einstige Führungsperson wie Trump dazu zu zwingen, seine Handlungen öffentlich zu rechtfertigen, so die Einschätzung der „New York Times“ („NYT“). Auch der Sender CNN sprach von einem „theatralischen und außergewöhnlichen Schritt“, der „einen guten Vorgeschmack auf das gibt, was noch kommen wird“.

Neue Videos zeigen Sturm auf das Kapitol

Das Komitee, welches sich mit dem Sturm auf das Kapitol am 6. Jänner 2021 beschäftigt, hat bisher nicht gezeigtes Videomaterial veröffentlicht. Es zeigt unter anderem, wie Abgeordnete in Sicherheit gebracht werden und sich die Demonstrierenden langsam Zugang zu dem Gebäude verschaffen.

„Geht darum, ein Zeichen zu setzen“

Die Beteiligten des Ausschusses machen sich laut „Politico“ wenig Illusionen darüber, dass sie Trump tatsächlich dazu bringen können auszusagen. Der Vorladung wird vor allem ein symbolischer Erfolg nachgesagt, da sie wohl zu spät erlassen wird, um die gewünschte Aussage tatsächlich zu erhalten. Sollte Trump sich weigern auszusagen, könnte sich der Rechtsstreit weit über die Midterms hinaus hinziehen – und eine neue republikanische Mehrheit könnte die Aufforderung nicht mehr unterstützen.

Sollte Trump sich tatsächlich weigern, könnte ihn jedoch das gesamte Repräsentantenhaus wegen Missachtung des Kongresses verklagen und das Justizministerium könnte, wie bei Trumps ehemaligem Berater Steve Bannon, Anklage erheben. Und wenn Trump für schuldig befunden wird, wie es bei Bannon der Fall war, drohen ihm gar mindestens 30 Tage Gefängnis.

Soweit die Theorie – in der Praxis scheinen all diese Optionen laut CNN unwahrscheinlich. „Nichts davon wird passieren“, erklärte der konservative Anwalt George Conway am Donnerstag bei einem Auftritt auf CNN. „Hier geht es darum, ein Zeichen zu setzen. Es geht darum, eine Reaktion (von Trump, Anm.) auszulösen.“

Trump: Parteiischer, lügnerischer Showprozess

Trump nannte den Ausschuss in seinem selbst kreierten Onlinenetzwerk Truth Social bereits eine „Lachnummer“ und beschuldigte die Mitglieder, das Land zu spalten. Zudem veröffentlichte er am Freitag ein 14-seitiges Schreiben an den Ausschuss, in dem er die Arbeit der Runde als parteiisch, lügnerisch und als reinen „Showprozess“ verunglimpfte.

Das Schreiben diene dazu, „unseren Ärger, unsere Enttäuschung und unsere Beschwerde darüber zum Ausdruck bringen“, dass Hunderte Millionen Dollar für eine Scharade und Hexenjagd ausgegeben worden seien, dass der „massive Wahlbetrug“ bei der Präsidentschaftswahl 2020 aber nicht untersucht worden sei. Trump nahm für sich in Anspruch, im Namen einer „Mehrheit der Bevölkerung“ zu schreiben, die seiner Meinung sei, und erneuerte seine Behauptungen, er sei durch Betrug bei der Präsidentschaftswahl 2020 um einen Sieg gebracht worden.

Der Republikaner spottete, der Ausschuss habe nur sehr schlechte Fernsehquoten erreicht. Das Gremium habe auch nicht thematisiert, wie groß die Menschenmenge gewesen sei, vor der er am 6. Jänner 2021 gesprochen habe, beklagte er – und hängte Fotos der Menschenmenge an. Wie er mit der Vorladung umgehen wolle, sagte er nicht.

Auszüge aus E-Mails werden vor dem Ausschuss auf einer Leinwand gezeigt
IMAGO/MediaPunch
Der Untersuchungsausschuss förderte belastendes Material gegen Trump zutage

Trumps Beliebtheitswerte trotz Anhörungen unverändert

Wenn es das Ziel gewesen ist, Trump vor das Gericht zu stellen, ist das dem Untersuchungsausschuss mit seiner Darlegung von belastenden Zeugenaussagen – unter anderen auch von Beratern, Verbündeten und Verwandten Trumps – laut „NYT“ gelungen. Ob das auch die Geschworenen überzeugt habe, sei jedoch eine andere Frage.

Denn obwohl die Anhörungen bereits im Juni starteten, stellt Trump für seine Anhänger weiterhin die schillerndste Figur der republikanischen Partei dar, wie eine Umfrage der Monmouth University zeigt. Trumps Beliebtheitswerte seien fast identisch mit jenen unmittelbar nach der Wahl 2020, und vier von zehn Amerikanerinnen und Amerikanern würden eine erneute Kandidatur im Jahr 2024 unterstützen, so die Bilanz der Studie.

Auf die Frage, wie der Vorfall im Kapitol zu beschreiben sei, gaben 64 Prozent der Befragten an, dass „Krawall“ angemessen sei. Gut ein Drittel bezeichnete den Sturm auf das Kapitol, der unter anderem fünf Tote forderte, als „legitimen Protest“. Die Ergebnisse würden sich nur um bis zu zwei Punkte von denen jener Umfrage unterscheiden, die vor sechs Wochen nach den ersten fünf öffentlichen Anhörungen durchgeführt wurde, so die Monmouth University.

Donald Trump
AP/Mary Altaffer
Wenige Minuten nach der Vorladung wetterte Trump, weshalb er „erst in den letzten Momenten der Sitzung“ vorgeladen wurde

Erfolg wohl nicht an praktischen Konsequenzen messbar

Wenn man den Untersuchungsausschuss daran messe, welche praktischen Konsequenzen seine Arbeit hat, wäre er ein „spektakulärer Misserfolg“, da Trump sich aller Voraussicht nach nicht öffentlich rechtfertigen werde, so die „Süddeutsche Zeitung“ („SZ“). Wenn man aber berücksichtige, dass die Involvierung Trumps in den Sturm aufs Kapitol faktisch belegt werden konnte, sehe es anders aus.

Zudem sei nicht ausgeschlossen, dass die dargelegten Fakten Bidens Justizminister nach der Kongresswahl tatsächlich dazu bewegen, Trump wegen versuchten Staatsstreichs vor Gericht zu bringen. Die Anklage würde die US-Gesellschaft vor eine Zerreißprobe stellen – wäre aber gleichzeitig ein wichtiger Dienst an der amerikanischen Demokratie, so die „SZ“. „Ohne Rechenschaftspflicht wird das alles zur Normalität, und es wird sich wiederholen“, betonte auch die republikanische Abgeordnete Cheney.