Neu errichtete Flüchtlingszelte im Erstaufnahmezentrum Thalham
APA/Daniel Scharinger
„Totalversagen“

Weiter Aufregung über Zelte für Asylwerber

Die Aufregung über die von Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) geplante Unterbringung von Geflüchteten in Zelten reißt nicht ab. Mehrere Bundesländer erteilten dem Vorstoß am Wochenende eine klare Absage. Im SPÖ-regierten Burgenland war vom „Totalversagen“ der Bundesregierung die Rede. Der Geschäftsführer der Bundesbetreuungsagentur (BBU), Andreas Achrainer, bat indes um Solidarität.

Ob Vorarlberg, Tirol, Oberösterreich, Kärnten oder Wien – den Plänen Karners stieß zuletzt wenig Wohlwollen entgegen. Am Sonntag sprach sich auch der burgenländische Landesgeschäftsführer Roland Fürst klar gegen Zelte für Asylwerber aus. „Große Quartiere, Lager oder Zelte wird es im Burgenland mit Sicherheit nicht geben“, betonte er. Die Regierung in Wien solle „möglichst rasch zurücktreten“.

Die SPÖ Burgenland und Landeshauptmann Hans Peter Doskozil würden seit Monaten auf die schwierige Situation an der burgenländischen Grenze hinweisen, wo pro Woche 3.000 bis 4.000 Menschen illegal ins Land kämen, so Fürst. Die Zahlen erinnerten an die Rekordjahre 2015 und 2016. An die ÖVP gerichtet sagte Fürst, diese versuche „mit dieser perfiden und menschenunwürdigen Zeltaktion parteipolitisches Kapital im Vorfeld der niederösterreichischen Landtagswahl zu schlagen“. Die Grünen würden relativieren und dieses Thema ignorieren – mehr dazu in burgenland.ORF.at.

Waldhäusl: Keine Asylzelte in Niederösterreich

Ein Nein kam indes auch aus Niederösterreich. Geflüchtete in Zelten unterzubringen komme in Niederösterreich „nicht infrage“, hieß es laut ORF-Landesstudio am Sonntag aus dem Büro von Asyllandesrat Gottfried Waldhäusl (FPÖ). Diese seien im Moment auch nicht geplant, man erfülle die vom Bund vorgegebene Quote zur Aufnahme von Flüchtlingen „sowieso fast“ durch die Unterbringung vieler Vertriebener aus der Ukraine, hieß es – mehr dazu in noe.ORF.at.

Länder wehren sich gegen mehr Migranten

Bis zu 600 Migranten kommen derzeit täglich über die Grenze nach Österreich, vor allem im Burgenland. Der Bund fordert von den Bundesländern, mehr Quartiere für den Massenzustrom bereitzustellen. Diese wehren sich aber gegen die Aufnahme von noch mehr Migranten.

Aus Oberösterreich meldete sich Integrationslandesrat Wolfgang Hattmannsdorfer (ÖVP) zu Wort. In einer Aussendung vom Sonntagmittag unterstrich er, Zelte seien „ultima ratio und verdeutlichen, dass Österreich im Stich gelassen wird“.

Zelte „direkt angrenzend an Wohnhäuser“ aufzubauen sei „unzumutbar“, diese seien „an derartigen Orten unverzüglich“ zu entfernen. Außerdem werde die Polizeipräsenz in der Umgebung der Unterkunft erhöht, versicherte Hattmannsdorfer mit Blick auf das oberösterreichische St. Georgen im Attergau, wo am Samstag Zelte auf dem Grund des Bundes beim bestehenden Erstaufnahmezentrum aufgestellt werden sollten. „Zur Not sperren wir halt die Autobahn“, hatte zuvor Bürgermeister Ferdinand Aigner (ÖVP) gesagt. Er will sich – wie 2015 – gegen die Zelte wehren – mehr dazu in ooe.ORF.at.

Zelte in Thalham
APA/Neumayr/MMV
Bereits 2015 wurden im Erstaufnahmezentrum Thalham bei St. Georgen Zelte aufgebaut (Archivbild)

Steigende Asylwerberzahlen

Der Bund drängt wegen der Zunahme von Flüchtlingen in den Bundesbetreuungseinrichtungen dringend darauf, dass die Länder verstärkt Asylwerbende und Vertriebene (insbesondere aus der Ukraine) in ihre Grundversorgung aufnehmen und für entsprechende Unterbringungsmöglichkeiten sorgen. Die BBU kündigte wegen der Engpässe bei den Betreuungsplätzen an, wie schon 2015 wieder Asylwerber in Zelten unterzubringen.

Die Empörung in den Ländern ist groß: „Wir werden in Vorarlberg keine Zelte aufstellen. Nach dem Gespräch mit dem Innenminister werden zum jetzigen Zeitpunkt auch bundesseits keine Zelte in Vorarlberg aufgestellt“, teilte Vorarlbergs Landesrat Christian Gantner (ÖVP) am Samstag mit – mehr dazu in vorarlberg.ORF.at.

Auch Tirol will keine Zelte. Die zuständige Landesrätin Gabriele Fischer (Grüne) sagte gegenüber ORF Tirol, dass das Land in den kommenden Tagen Unterkünfte für 400 bis 500 geflüchtete Menschen zur Verfügung stellen könne – mehr dazu in tirol.ORF.at . Gegen Zelte ist man auch in Wien – mehr dazu in wien.ORF.at. In Kärnten hat man ebenfalls gegen die Pläne protestiert – mehr dazu in kaernten.ORF.at. 2015 dürfe „sich nicht wiederholen“, es brauche „eine Flüchtlingspolitik“, die „gleichermaßen menschlich und realistisch ist“, so der Salzburger SPÖ-Chef David Egger.

Trotz Ablehnung: Pläne bleiben bestehen

Das Innenministerium wollte sich von dem Widerstand nicht beirren lassen. Die Vorbereitungen würden „nach derzeitigem Stand“ wie vom Innenministerium beauftragt zu Beginn der kommenden Woche aufgenommen werden, hieß es am Samstag gegenüber der APA. In Kärnten wurden bereits am Samstag in Villach und Klagenfurt laut BBU je fünf beheizte Zelte für jeweils acht Personen aufgestellt. Gedacht sind die Zelte für mehrere hundert allein reisende junge Männer ohne Bleibewahrscheinlichkeit. Frauen, Kinder und Familien kommen in feste Unterkünfte.

BBU-Geschäftsführer Andreas Achrainer appellierte am Samstag in der ZIB erneut an die Solidarität der Bundesländer. Die Zeltlösung sei notwendig, weil der Bund am Ende seiner Kapazitäten sei und die Länder Flüchtlinge nicht übernehmen. Die BBU würde gerne auf feste Unterkünfte zurückgreifen und sei hier auch schon im Gespräch, insbesondere mit Tirol und Vorarlberg. „Im Vordergrund steht, dass wir keine Obdachlosigkeit produzieren“, so Achrainer.

Bund rechtfertigt Zeltlager

Der Geschäftsführer der Bundesbetreuungsagentur, Andreas Achrainer, sah angesichts des immer größer werdenden Zustroms von Migranten keine andere Möglichkeit, als – wie schon 2015 – Zelte auf Bundesgrundstücken aufzustellen.

Opposition übt Kritik

Auch die Opposition hat mit den Zelten aus unterschiedlichen Gründen keine Freude. „Diese Zelte sind ‚Monumente des Totalversagens‘ dieser Bundesregierung und von Innenminister Karner. Sie haben unser Land sehenden Auges in dieselben Zustände geführt, wie wir sie aus dem Katastrophenjahr 2015 kennen und die sich noch verschärfen werden“, so FPÖ-Chef Herbert Kickl. Er tritt per Aussendung für ein sofortiges Aussetzen des Asylrechts und echten Grenzschutz samt Legalisierung von Zurückweisungen ein. Illegal eingereiste Migranten und Migrantinnen müssten in Ausreisezentren untergebracht werden.

NEOS-Asylsprecherin Stephanie Krisper forderte Karner wiederum auf, er solle „endlich von seinem Durchgriffsrecht Gebrauch machen und dieser Managementkrise ein Ende setzen“. Er solle nicht länger hinnehmen, dass sich vor allem die ÖVP-geführten Bundesländer weiter weigern, bereits zugelassene Asylwerbende aufzunehmen, und nun trotz leerstehender Quartiere Zelte aufgestellt werden sollen. „Der Föderalismus darf nicht dazu führen, dass Menschen in Österreich kein echtes Dach über dem Kopf haben und der Innenminister genauso tatenlos zuschaut wie der ÖVP-Parteichef Bundeskanzler Nehammer.“

Empörung bei UNHCR Österreich und Caritas

Kritik an der Zeltunterbringung gab es auch vom UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) und der Caritas. Christoph Pinter von UNHCR Österreich nannte es auf dem Kurznachrichtendienst Twitter „unverständlich“, dass Zelte für Asylwerber gebraucht werden. „Die Grundversorgungszahlen sind kaum gestiegen, aber die Bundesländer stellen zu wenig Unterkünfte bereit“, sagte er und nahm die Länder in die Pflicht.

„Wir haben eine föderale Solidaritätskrise und keine Flüchtlingskrise“, so Klaus Schwertner, geschäftsführender Caritas-Direktor der Erzdiözese Wien, auf Twitter. Die Bevölkerung leiste Großartiges gerade bei der Unterbringung und Integration ukrainischer Familien. „Darauf darf sich die Politik nicht ausruhen.“

Appell an Länder und Kritik an EU

Am Donnerstag hatte Karner bei der Landesflüchtlingsreferentenkonferenz wegen der steigenden Zahlen bei Asylwerbern und Vertriebenen zusätzliche Maßnahmen in allen Bundesländern angekündigt, „möglicherweise müssen auch Zelte aufgestellt werden“, sagte er. Am Sonntag tauschte er sich am Rande des EU-Innenministerrates in Luxemburg mit seiner deutschen Amtskollegin Nancy Faeser (SPD) aus. „Grenzüberschreitende Kriminalität braucht grenzüberschreitende Zusammenarbeit“, so Karner laut Aussendung.

Protest gegen neue Zeltlager für Migranten

In Oberösterreich und Kärnten werden wie schon 2015 wieder Zeltlager für Migranten aufgebaut – wegen des bereits seit Längerem ansteigenden Zustroms werden die Quartiere knapp.

In der „Welt“ hatte Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) den starken Anstieg der Migration in Österreich beklagt und zugleich die EU scharf kritisiert. Nach den Worten des Kanzlers verzeichnete Österreich zwischen Anfang Jänner und Ende August nahezu 57.000 Asylanträge – ein Plus von 195 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Laut der Statistik des Innenministeriums waren es 56.150 Anträge, im Vorjahr 19.058. Im Jahr 2015 lag die Zahl bei 88.340 Anträgen. In Sachen Grundversorgung muss auch berücksichtigt werden, dass dieses Jahr der Ukraine-Krieg mitspielt. Denn von den knapp 90.000 Personen, die in die Grundversorgung von Bund und Länder aufgenommen wurden, stammen deutlich mehr als die Hälfte aus der Ukraine. Sie erhalten außerhalb des Asylsystems Schutz.

Migrationsforscherin zur aktuellen Lage

Die Migrationsforscherin Judith Kohlenberger analysierte die aktuelle Situation auf Twitter und nannte mehrere Faktoren für die Zunahme des Migrationsgeschehens. Sie spricht angesichts des bevorstehenden Winters etwa von einem „typisch saisonalen Effekt“ und dem „Abbau eines gewissen Rückstaus“ während der Pandemie. „Viele der Aufgegriffenen sind schon lange (manchmal Monate!) auf der Balkanroute unterwegs, jeder versuchte Grenzübertritt wird gesondert gezählt. Das führt zu statistischer Verzerrung“, schreibt sie weiter.

Auch die geopolitische Lage spiele eine Rolle, so Kohlenberger mit Verweis auf Naturkatastrophen und die angekündigte Änderung der serbischen Visapolitik. Ukrainerinnen und Ukrainer, die sich seit Längerem im Land aufhalten, würden nun außerdem vermehrt von Privatunterkünften in die Grundversorgung „drängen“. Und auch vermehrte Ankünfte russischer Staatsbürger seien künftig nicht auszuschließen, schrieb sie über mögliche weitere Entwicklungen.