neu errichtete Zelte zur Unterbringung von Flüchtlingen in St. Georgen im Attergau
APA/Daniel Scharinger
Asylwerber und Vertriebene

Viele Baustellen und 25 Zelte

Der Streit zwischen Bund und Ländern über den Aufbau von Zelten für Asylwerbende und Vertriebene geht in eine weitere Runde. Die Länder weigern sich, zusätzliche Quartiere bereitzustellen, eine Gemeinde in Oberösterreich plant bereits einen Protestmarsch. Dass die Lage in Sachen Asyl angespannt ist, liege nicht ausschließlich an der steigenden Zahl der Ankommenden, sagen Fachleute.

Wegen einer Quartierkrise hatte vergangene Woche der Bund – in der Rolle des Innenministeriums – angekündigt, Zelte auf Flächen, die sich im Eigentum des Bundes befinden, aufzustellen. Bis Montagnachmittag standen bereits 25 Zelte. Jeweils fünf der Achtpersonenzelte stehen in Villach und Klagenfurt, 15 in der Bundesbetreuungsstelle Thalham in Oberösterreich. Nach weiteren Standorten wird nach Angaben aus dem Ressort noch gesucht – Tirol und Vorarlberg kommen infrage.

In den Ländern geht der Widerstand allerdings weiter. Tirol und Vorarlberg hatten schon am Wochenende versichert, statt der Zelte umgehend nach anderen Unterbringungsmöglichkeiten zu suchen – mehr dazu in tirol.ORF.at. In Niederösterreich lehnte Asyllandesrat Gottfried Waldhäusl (FPÖ) „zusätzliche Quartiere“ strikt ab – mehr dazu in noe.ORF.at. Und in Kärnten zeigte man sich von der raschen Aufstellung überrascht. Das sei „mit keiner Silbe“ erwähnt worden, sagte Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) am Montag.

neu errichtete Zelte zur Unterbringung von Flüchtlingen in St. Georgen im Attergau
APA/Daniel Scharinger
Der Bund hat in Oberösterreich und Kärnten bereits Zelte aufgestellt

Karner verteidigt Zelte

Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) verteidigte die Zelte gegenüber Ö1: „Unsere Aufgabe ist es, zu verhindern, dass junge Männer, die praktisch keine Chance auf Asyl haben, vor Schulen, vor Kindergärten, auf unseren Hauptplätzen, auf den Dorfplätzen, auf Bahnhöfen herumsitzen. Sondern da ist es doch viel besser, die sind zum Teil, in wenigen Bereichen, in Zelten auf Gründen der Landespolizeidirektion untergebracht.“ Für Bürgermeisterinnen und -meister sei die Situation nicht einfach, räumte Karner ein: „Da hab’ ich großes Verständnis für manchen Ärger“, aber man müsse Dinge eben anpacken.

Insbesondere in Oberösterreich gehen die Wogen hoch. Nachdem in Thalham bereits Zelte aufgebaut wurden, kündigte der Bürgermeister der Gemeinde St. Georgen im Attergau, Ferdinand Aigner (ÖVP), einen Protestmarsch am Nationalfeiertag an. Bei der Autobahnabfahrt seien „Abschlussprotestmaßnahmen geplant“ – ob es zu einer Blockade der Autobahn komme, „lassen wir offen“, so Aigner. Er wisse, dass Thalham als Druckmittel gegen die Länder verwendet werde.

Appelle an Länder

Dass es überhaupt so weit gekommen ist, dass Österreich im Herbst Zelte für Asylwerbende und Vertriebene aufstellt, hat dann doch viele überrascht – wenn nicht sogar schockiert. Doch schon seit Wochen warnt der Bund, dass die Auslastung in den Betreuungseinrichtungen des Bundes kontinuierlich steigt. In mehreren Gesprächen wurde an die Länder appelliert, zugelassene Asylwerberinnen und -werber zu übernehmen.

Schon Ende August habe der Bund seine Kapazitäten ausgeschöpft, sagt Lukas Gahleitner-Gertz von der Asylkoordination im Gespräch mit ORF.at. Damals seien 6.800 Schutzsuchende in Erstaufnahmezentren des Bundes aufgenommen worden, 4.500 von ihnen waren bereits zum Asylverfahren zugelassen. Diese hätten von den Ländern zur Versorgung übernommen werden müssen, betont der Asylexperte. Mittlerweile gehe es um knapp 5.700 Asylwerbende, die verteilt werden müssen.

Oft weisen die Länder darauf hin, dass man die Betreuungsquote ohnehin schon erfülle. Allerdings stimmt das nur zum Teil. Denn der Großteil der Bundesländer hinkt den vorgegebenen Quoten hinterher. Lediglich das Burgenland und Wien erfüllen die Pflicht – mehr dazu in wien.ORF.at.

Kärnten, Tirol und Vorarlberg bilden die Schlusslichter, auch Oberösterreich und Salzburg liegen weit unter der vorgegebenen Quote – mehr dazu in salzburg.ORF.at. Lediglich die Steiermark und Niederösterreich überschreiten zumindest die 80-Prozent-Grenze. Traiskirchens Bürgermeister Andreas Babler (SPÖ) wirft der Bundesregierung Versagen vor – mehr dazu in noe.ORF.at. Aus der Steiermark kommt Ablehnung – mehr dazu in steiermark.orf.at.

Grundversorgung und Unterbringung

Derzeit befinden sich rund 90.000 Personen in der Grundversorgung. Mit 56.000 Personen stammt der größte Teil aber aus der Ukraine. Sie gelten nicht als Asylwerbende, sondern laut einer EU-Richtlinie als Vertriebene mit befristetem Bleiberecht. Die Überlastung des Grundversorgungssystems ist laut Gahleitner-Gerz daher nicht primär auf die Zahl der Antragsteller im Asylsystem zurückzuführen, sondern vor allem darauf, dass die bisher großteils privat untergebrachten Vertriebenen aus der Ukraine nun verstärkt auf organisierte Quartiere zurückgreifen müssten, weil Privatquartiere Mangelware werden.

Laut einer Anfragebeantwortung von Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) von September befanden sich von den rund 57.500 Ukrainern und Ukrainerinnen mit Stand Juli 45.000 in Privatunterkünften und 12.500 in organisierten Quartieren. Letztere gehören in die Verwaltung der Länder und werden über die Länder finanziert. In der Regeln werden die Unterkünfte von NGOs, privaten Quartiergebern, landeseigenen Gesellschaften oder Gemeinden betrieben.

Wegen der anhaltenden Teuerung gebe es bei vielen Organisationen Schwierigkeiten, für eine kostendeckende Organisation zu sorgen, sagt Gahleitner-Gerz. Zwar hatte der Nationalrat vor der Sommerpause die Tagessätze pro Kopf von 21 auf 25 Euro erhöht. Laut der Asylkoordination wird der erhöhte Satz bisher aber nur in Wien und Tirol ausgezahlt. In den anderen Bundesländer fehlen die angekündigten Beschlüsse der Landtage. Ob auch rückwirkend ausgezahlt wird, steht in Schwebe. „Um organisierte Unterkünfte zu gewährleisten, braucht es eine finanzielle Absicherung durch den Bund“, sagt Gahleitner-Gerz.

Wegen Krieges könnten wieder mehr Ukrainer kommen

Fakt ist aber auch, dass die Zahl der Ankommenden weiter steigt. Österreichweit gab es dieses Jahr laut Innenministerium 472 Festnahmen von Schleppern. Das sei ein „Allzeithoch“, es seien bereits 30 Festnahmen mehr als im gesamten vergangenen Jahr. Bundesweit wurden außerdem seit Jahresbeginn 86.959 Fremde aufgegriffen – dabei handelt es sich nicht um die Zahl der Asylanträge. Hotspots sind dabei die Bezirke Oberpullendorf und Neusiedl am See.

Suche nach Lösung für Flüchtlingsheime

Weil die Asylheime aus allen Nähten platzen, wurden seit dem Wochenende die ersten Zelte für Asylsuchende aufgestellt. Seitdem gehen die Wogen hoch.

Laut der Migrationsforscherin Judith Kohlenberger hat man es derzeit mit einer „gemischten Migration“ zu tun. Unter den jetzt Ankommenden seien einerseits Personen aus Syrien und Afghanistan, die seit Jahren nach Europa kommen. Andererseits gebe es auch Arbeitsmigranten, die mangels legaler Einreisemöglichkeiten auch auf die Asylschiene ausweichen. Das belaste und koste, weil die Asylschiene die „teuerste Einreisemöglichkeit“ sei, so die Expertin im Ö1-Mittagsjournal.

Hinter der aktuellen Situation stecke aber eine „Managementkrise“, die man bei der Verteilung der Schutzsuchenden sehe, sagt sie. Auch Gahleitner-Gerz ist dieser Meinung und zeigt sich insbesondere wegen des kommenden Winters und der Lage in der Ukraine besorgt. „Wenn Kiew unter Beschuss steht, werden mehr Ukrainer nach Mitteleuropa flüchten“, sagt der Sprecher der Asylkoordination. Man müsse nun jene finanziell unterstützen, die bereit sind, Privatquartiere aufzustellen.

Flüchtlingskoordinator nicht mehr beim Kanzler

Eine Rolle wird dabei Andreas Achrainer spielen. Dieser ist nämlich nicht nur Chef der Bundesbetreuungsagentur (BBU), die für geflüchtete Menschen in der Bundesbetreuung zuständig ist, sondern auch seit 1. Juli Flüchtlingskoordinator für Vertriebene aus der Ukraine. Seit 1. Oktober berät die Stabsstelle aber nicht mehr das Bundeskanzleramt, sondern das Innenministerium. Dorthin wechselte die Einheit nämlich.

Das Innenministerium teilte mit, dass der Fokus der Tätigkeit des Flüchtlingskoordinators weiterhin auf Zusammenarbeit zwischen Bund, Bundesländern und der Zivilgesellschaft zur Sicherstellung notwendiger Unterkunftskapazitäten liege. Zudem kümmere er sich um die Koordinierung von Maßnahmen im Bereich der Arbeitsmarktintegration und die Verbreiterung der Kommunikationswege an ukrainische Vertriebene zur Bereitstellung von Informationen betreffend ihre Rechte, Pflichten und Möglichkeiten in Österreich.