Jeremy Hunt
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Finanzchaos in London

Neuer Minister kassiert Truss’ Steuerpläne

Die Turbulenzen in der Londoner Downing Street 10 gehen unvermindert weiter: Der neue britische Finanzminister Jeremy Hunt nimmt nun fast alle Steuermaßnahmen, die Premierministerin Liz Truss erst vor drei Wochen angekündigt hat, zurück. Ob Truss damit Gerüchte über ihre baldige Ablöse beenden kann, bleibt abzuwarten.

Proteste, ein Ministerrücktritt und das Pfund auf Talfahrt: Truss’ erste sechs Wochen als Regierungschefin waren gekennzeichnet durch Chaos. Nun will der neue Schatzkanzler Hunt das Ruder herumreißen – er habe dazu freie Hand von Truss erhalten, wie er kürzlich betonte. Hunt, der sich nach dem Abgang von Boris Johnson selbst erfolglos um die Spitze der Konservativen Partei beworben hatte, macht den größten Teil des angekündigten Wirtschaftspakets rückgängig, wie er am Montag bekanntgab.

Um die turbulenten Finanzmärkte zu beruhigen, würden „fast alle“ Steuersenkungen, die im letzten Monat angekündigt wurden, gestrichen, so Hunt. Er bezog sich damit auf das Steuerpaket, das Truss zusammen mit ihrem kürzlich zurückgetretenen Finanzminister Kwasi Kwarteng geplant hatte. Es sah Steuersenkungen vor allem für Wohlhabende vor, deren Finanzierung aber unklar war.

GB: Finanzminister kassiert Steuerpläne ein

Der neue britische Finanzminister Jeremy Hunt nimmt nun fast alle Steuermaßnahmen, die Premierministerin Liz Truss erst vor drei Wochen angekündigt hat, zurück.

Truss’ Canossagang

Die Folge waren Proteste der Bevölkerung angesichts der hohen Lebenshaltungskosten im Land sowie ein heftiger Einbruch des britischen Pfunds. Die Bank of England musste mehrmals intervenieren und Staatsanleihen kaufen. Steigende Zinsen für Immobilienkredite verschärften für viele Hausbesitzer die Krise der Lebenshaltungskosten.

Kwarteng musste nach nicht einmal sechs Wochen im Amt gehen, Beobachter sprachen von einem Bauernopfer. Truss schloss einen Rücktritt aus, kündigte aber schon an, dass die Steuerpläne nicht in Stein gemeißelt seien.

Hunt will nun mit seiner Kehrtwende die Finanzmärkte beruhigen. Es werde darauf verzichtet, neue Schulden aufzunehmen, um Steuersenkungen zu finanzieren, sagte er. Der Grundsteuersatz von 20 Prozent bleibe bestehen. Hunt kündigte zudem Steueränderungen an, mit denen der Staat zusätzlich 32 Milliarden Pfund (rund 37 Mrd. Euro) pro Jahr einnehmen soll. Wichtigstes Ziel der Regierung sei die wirtschaftliche Stabilität.

Hunt sieht Fehler

In seiner Ansprache sagte Hunt auch, sein Ministerium wolle überprüfen, ob ein Einfrieren der Gas- und Strompreise über diesen Winter hinaus beibehalten werden könne. Es solle festgelegt werden, wie die gestiegenen Rechnungen für Strom und Gas „über April kommenden Jahres hinaus“ subventionieren werden könnten.

Liz Truss
APA/AFP/Daniel Leal
Premierministerin Liz Truss

„Es ist ein tief verwurzelter konservativer Wert – ein Wert, den ich teile –, dass die Menschen mehr von dem Geld behalten sollten, das sie verdienen“, sagte Hunt. „Aber in einer Zeit, in der die Märkte zu Recht Verpflichtungen zu nachhaltigen öffentlichen Finanzen fordern, ist es nicht richtig, Kredite aufzunehmen, um diese Steuersenkung zu finanzieren.“

Bereits am Freitag hatte Hunt von Fehlern in der Steuerpolitik gesprochen. „Es war ein Fehler, wenn wir schwierige Entscheidungen über Steuern und Ausgaben auf breiter Front fordern, um den Steuersatz für die Reichsten zu senken.“ Es sei auch ein Fehler gewesen, diese Prognosen im Blindflug zu erstellen, ohne den Menschen das Vertrauen zu geben, dass die zuständige Stelle sagt, dass die Summen stimmen. Die Premierministerin habe das erkannt, deshalb sei er hier. Hunts endgültiger Budgetentwurf soll Ende des Monats stehen.

Truss muss weiter kämpfen

Ob sich Truss damit eine Verschnaufpause verschafft hat, bleibt abzuwarten. Besonders die Deckelung der Energiepreise für Haushalte und Unternehmen galt als ihr wichtigstes politisches Projekt. Dass sie nun auch noch bei diesem Thema zurückrudern muss, gilt als Eingeständnis eines Versagens.

Britische Medien setzten bereits darauf, dass sich Truss nicht werde halten können. Die Londoner „Times“ schrieb von wachsendem Widerstand in den eigenen Reihen, führende Torys würden eine Ablöse diskutieren. Die Boulevardzeitung „Daily Star“ richtete eine Liveübertragung auf YouTube ein, auf der ein Foto der Premierministerin neben einem Salatkopf mit aufgeklebten Augen zu sehen ist. Die Frage dazu lautet: „Hält sich Liz Truss länger als dieser Salat?“ Der „Economist“ hatte Truss angesichts der sich rasch entwickelnden Regierungskrise kürzlich bescheinigt, die Haltbarkeitsdauer eines Salats zu haben.