Person ändert Temperatur bei Thermostat
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Kalter Kaffee

Wie kühl es bei der Arbeit werden darf

Sich warm anziehen heißt es für viele Menschen wohl bald in der Arbeit. Angesichts der Energiekrise und der hohen Strom- und Heizkosten dürften zahlreiche Betriebe in den kommenden Monaten das Thermostat runterdrehen. Beschäftigte sollten wissen: Für die Temperatur im Arbeitsraum gibt es Untergrenzen, so Experten für Arbeitsrecht und -medizin gegenüber ORF.at.

Welche Spielräume bei der Temperaturgestaltung in Arbeitsräumen erlaubt sind, legt bereits jetzt die Arbeitsstättenverordnung fest. Dabei kommt es auf die körperliche Belastung der Beschäftigten und die Luftgeschwindigkeit an.

Bei Tätigkeiten mit wenig Körperarbeit – etwa Bürojobs – und einer maximalen Luftgeschwindigkeit von 0,10 Meter pro Sekunde (m/s) muss es der Regelung zufolge zwischen 19 und 25 Grad Celsius haben. Bei normaler körperlicher Belastung und einer maximalen Luftgeschwindigkeit von 0,20 m/s sind Temperaturen zwischen 18 und 24 Grad erlaubt. Ein Beispiel hierfür sind stehende Tätigkeiten im Verkauf. Bei intensiver Körperarbeit und einer Luftgeschwindigkeit von 0,35 m/s gilt eine Mindesttemperatur von zwölf Grad. Das wäre etwa bei Lagerarbeit der Fall.

Grafik zum Raumklima in Arbeitsräumen
Grafik: ORF.at; Quelle: BMAW

„Arbeitgeber haben Fürsorgepflicht“

Heizen bis zu einem gesetzlich festgelegten Mindestmaß muss also sein. Denn: „Arbeitgeber haben eine Fürsorgepflicht gegenüber ihren Beschäftigten“, so der Rechtsanwalt Raphael Schanda von der auf Arbeitsrecht spezialisierten Kanzlei Körber-Risak gegenüber ORF.at. „Wenn man die Leute ins Büro holt, muss man ihnen Wärme bieten.“ Sollte es zu Konflikten mit dem Arbeitgeber kommen, sei ein etwaiger Betriebsrat die erste Anlaufstelle.

Konfliktpotenzial hat in den kommenden Monaten allerdings schon die Einhaltung der unteren erlaubten Grenzwerte. Denn bisher wurde in den Wintermonaten eher gut geheizt, im Bürobereich waren etwa „Wohlfühltemperaturen“ von 22 Grad Usus. Die wahre Herausforderung werde wohl sein, Bewusstsein für die Notwendigkeit des Energiesparens zu schaffen. Das könnte zum Balanceakt werden.

Bereits Beschwerden

Die Regierung ruft angesichts des Ukraine-Krieges und dessen Folgen für die Energieversorgung schon seit Monaten zum Energiesparen auf, Ministerin Leonore Gewessler (Grüne) plädierte etwa für 19 Grad in öffentlichen Gebäuden. Das wurde etwa im Linzer Magistrat auch praktiziert. Nach Beschwerden der Belegschaft – in manchen Büros hatte es nur 16 statt der angepeilten 19 Grad – ist man dort allerdings wieder zu 21 Grad zurückgekehrt – mehr dazu in ooe.ORF.at.

Unterschreitungen der gesetzlich reglementierten Temperatur machten auch in anderen Bereichen bereits Schlagzeilen. Anfang Oktober berichtete die Gewerkschaft GPA in Kärnten, dass Handelsbetriebe eine Senkung der Temperatur auf 16 Grad angekündigt hätten – was zu kühl wäre. Rund 2.000 Menschen seien betroffen. Die Betriebe setzten „die Gesundheit ihrer Angestellten für niedrigere Heizkosten aufs Spiel“, kritisierte Handelssekretär Günther Granegger.

Höheres Risiko für klassische Krankenstandsleiden

Auch der Mediziner Richard Crevenna, Vorstand der Universitätsklinik für Physikalische Medizin, Rehabilitation und Arbeitsmedizin an der Medizinischen Universität Wien, weist gegenüber ORF.at darauf hin, dass die Gesundheit von Beschäftigten in engem Zusammenhang mit den klimatischen Bedingungen am Arbeitsplatz steht. „Zu tiefe Temperaturen können die Leistungsfähigkeit mindern, zu Unbehagen, zu einer möglichen Gefährdung der Gesundheit und zu erhöhtem Unfallrisiko führen“, so Crevenna.

Verkühlungen bzw. Atemwegsinfekte und Beschwerden des Bewegungsapparats wie Rückenschmerzen, Gelenkschmerzen, Muskelschmerzen und rheumatische Erkrankungen können laut Crevenna von zu niedrigen Raumtemperaturen begünstigt werden. Derartige Leiden sind in unseren Breiten jetzt schon die häufigsten Ursachen für Krankenstände und Arbeitsausfälle.

Mann mit Jacke auf seinem Arbeitsplatz im Büro
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Mit Jacke und Schal im Büro: In den kommenden Monaten wohl ein durchaus plausibler Anblick

Weiters können laut dem Arbeitsmediziner auch Stress und stressassoziierte Erkrankungen, Bluthochdruck und Krankheiten wie das Raynaud-Syndrom („Weißfingerkrankheit“) verstärkt auftreten. Letzteres äußert sich in Farbveränderungen in kalten, klammen und schmerzenden Fingern und kann von Kälte und emotionalem Stress begünstigt werden. Frauen sind hiervon besonders häufig betroffen.

Eine dänische Studie aus dem Vorjahr kam auch zu dem Schluss, dass eine Raumtemperatur unter 18 Grad im Winter in Regionen mit gemäßigtem oder kaltem Klima das Risiko für Herz-Kreislauf-Krankheiten sowie (chronische) Atemwegserkrankungen erhöht. Ohnehin sei darauf zu achten, dass Personen, die bereits unter gesundheitlichen Einschränkungen leiden, in einer ausreichend beheizten Umgebung arbeiten können.

Leistung leidet – besonders bei Frauen

Nicht nur die Gesundheit, auch die Leistung kann unter zu niedrigen Temperaturen leiden. Die optimale Mindesttemperatur für Büroarbeit und feinmotorische Tätigkeiten liegt laut Crevenna etwa bei 20 Grad und damit ein Grad über dem erlaubten Minimum.

Sie hängt zudem offenbar stark vom Geschlecht ab. Was sich im Arbeitsalltag leicht beobachten lässt – nämlich, dass Frauen eine höhere Temperatur in Arbeitsräumen bevorzugen –, wird zunehmend auch von der Forschung anerkannt. Denn Frauen frieren durchschnittlich schneller, meist haben sie weniger Muskeln, um Körperwärme zu produzieren, auch Hautdicke und Durchblutung spielen eine Rolle.

Mit jedem Grad besser

Deswegen bevorzugen Frauen nicht nur in der Regel höhere Raumtemperaturen, sie bringen dann auch eine bessere Leistung. Das zeigte 2019 ein Experiment eines Forschungsteams aus Berlin und den USA, bei dem Mathematik- und Sprachaufgaben abgefragt wurden.

Während männliche Teilnehmer hier bei 20 Grad Raumtemperatur ihre Höchstleistung erreichten, schnitten weibliche Testpersonen mit jedem Grad messbar besser ab. In Topform waren sie zwischen 30 und 33 Grad. Die Leistungen der Männer wurden hingegen mit den steigenden Temperaturen schwächer.

Individuelle Bedürfnisse

Crevenna betont aber auch, dass die optimale Arbeitstemperatur eine höchst individuelle Angelegenheit ist und zudem von weiteren Faktoren des Raumklimas abhängt. Wohlig warm bedeutet zudem nicht unbedingt, dass man im höchsten Ausmaß aufmerksam und konzentriert ist.

Die richtige Arbeitstemperatur sei jedenfalls Teil einer ergonomischen Arbeitsplatzgestaltung, die wiederum langfristig zur Zufriedenheit, Gesundheit und dauerhaften Arbeitsfähigkeit der Beschäftigten beitragen kann.

Homeoffice als neue Frage

Arbeitsrechtlich würden sich bei dem Thema jedenfalls noch einige spannende Fragen auftun, so Schanda. Eine neue Problematik zeichnet sich etwa beim Thema Homeoffice hab. Hier stelle sich etwa die Frage, ob Beschäftigte im Homeoffice bei zu niedrigen Temperaturen und explodierenden Energiekosten entsprechende Vereinbarungen aufkündigen und in die Büros zurückkehren könnten. Das sei in gewissen Fallkonstellationen durchaus denkbar – am Ende zähle im Arbeitsrecht aber immer der Einzelfall. Das Thema werde jedenfalls auf der Tagesordnung bleiben.