Teile von zerstörten Drohnen
Reuters/Vitalii Hnidyi
Russland

Drohnenangriffe als Offenbarungseid

Seit der Explosion auf der Krim-Brücke vor rund zwei Wochen hat Russland wieder Städte in der ganzen Ukraine – allen voran die Hauptstadt Kiew – unter Beschuss genommen. Zuletzt erfolgten die Angriffe vor allem durch Drohnen, die – auch wenn Teheran dementiert – aus dem Iran stammen. Auch wenn die Attacken Angst und Schrecken verbreiten, gelten sie dennoch als russischer Offenbarungseid.

Wie schon an mehreren Tagen davor wurde auch am Montag in Kiew von russischer Seite angegriffen. Zudem standen die Gebiete Sumy, Dnipropetrowsk und Odessa unter Beschuss. Im Visier ist vor allem die kritische Infrastruktur, allen voran die Energieversorgung. Am Montag wurde aber auch ein Wohnhaus in Kiew getroffen.

Ein Großteil der Angriffe erfolgte über Drohnen, allen verfügbaren Informationen nach handelt es sich dabei um die iranische Schahed-136, die ein zuvor programmiertes Ziel anfliegt und beim Einschlag mit bis 50 Kilo Sprengstoff an Bord detoniert. Auch einige Exemplare des Vorgängermodells Schahed-119 wurden offenbar verwendet.

Drohne über Kyiv
APA/AFP/Sergei Supinsky
Drohne über Kiew

Iran dementiert Lieferung

Schon im August hatten westliche Geheimdienste berichtet, Russland kaufe entsprechende Drohnen aus dem Iran. Mitte September wurden die ersten beim Einsatz gesichtet – in der südlichen Hafenstadt Odessa wurden zwei abgeschossen. Seit Oktober kommen die Drohnen, die Russland unter dem Namen Geran-2 führt, verstärkt zum Einsatz.

Dabei bestreitet die iranische Regierung die Lieferung. Derartige Nachrichten seien politisch motiviert und würden vom Westen verbreitet, sagte der Sprecher des Außenministeriums in Teheran, Nasser Kanaani, am Montag vor Journalisten. „Wir haben keines der im Krieg befindlichen Länder mit Waffen versorgt.“ Glaubwürdig ist das Dementi aber nicht. Aus der Ukraine hieß es sogar, iranische Revolutionsgarden hätten die russische Armee unter anderem auf der Krim im Umgang mit Drohnen eingeschult. Bestätigt werden konnte das nicht.

Teile von zerstörten Drohnen
Reuters/Vyacheslav Madiyevskyy
Teile von zerstörten Drohnen werden untersucht

Vergleichsweise billig

Für Russland bieten die Drohnen einige Vorteile: Mit einer Reichweite von geschätzten 2.500 Kilometern können sie aus sicherer Entfernung gestartet werden. Vermutet wird, dass die Angriffe auf Kiew aus Belarus erfolgen. Im Vergleich zu Präzisionsraketen sind die Drohnen vergleichsweise billig: Zwischen 20.000 und 30.000 Euro soll ein Stück kosten. Werden sie im „Schwarm“ geschickt, dann überfordert das die – ohnehin lückenhafte – ukrainische Luftabwehr.

In welcher Stückzahl Russland die Drohnen erworben hat, ist unklar. Die Ukraine sprach offiziell unter Berufung auf Geheimdienstinformationen von 2.400 Stück. Diese Zahl könnte aber auch übertrieben sein, um vom Westen schneller bessere Luftabwehrsysteme zu erhalten. Ein paar hundert Stück dürfte Russland aber in seinem Arsenal haben.

Ersatz für Raketen?

Dass die russischen Truppen nun so stark auf die Drohnen setzen, erhärtet aber auch die Vermutung, dass Moskau bei Boden-Boden-Raketen, insbesondere bei Präzisionswaffen, Nachschubprobleme hat. Zuletzt vermutete der britische Militärgeheimdienst, dass der russischen Armee die Waffen langsam ausgehen.

Und dass Russland neuere Militärtechnologie einkaufen muss, zeigt auch, dass die Rüstungsindustrie im Land schwächer aufgestellt ist, als früher immer postuliert. Der russische Sicherheitsberater und Militärexperte Ruslan Puchow hatte in einem viel beachteten Interview bereits im August gesagt, sein Land habe die militärische „Revolution“ mit dem Einsatz von Drohnen verpasst.

Kamikazedrohnen schießen auf zivile Ziele

Seit der Explosion auf der Krim-Brücke vor rund zwei Wochen hat Russland wieder Städte in der ganzen Ukraine – allen voran die Hauptstadt Kiew – unter Beschuss genommen. Zuletzt erfolgten die Angriffe vor allem durch sogenannte Kamikazedrohnen, die – auch wenn Teheran dementiert – aus dem Iran stammen sollen.

Kein Einfluss auf Frontverläufe

Für die Ukraine bedeuten die Angriffe vor allem, dass auch die Zivilbevölkerung in den großen Städten den Krieg wieder live miterleben muss. Mit Luftalarm und Einschlägen werde Angst und Panik geschürt. Militärexperten gehen davon aus, dass das auch das Ziel des Beschusses ist. Denn an der derzeitigen Dynamik des Kriegs mit der Ukraine, die derzeit mit ihren Rückeroberungen und Offensiven im Nordosten und Süden das Heft in der Hand hat, würde sich kaum etwas ändern. Gegen militärische Ziele an der Front seien die Drohnen auch gar nicht geeignet.

Teile von zerstörten Drohnen
Reuters/Gleb Garanich
Gebäude in Kiew stehen nach der Detonation einer Drohne in Flammen

Laut und langsam

Gefährlich sind die Drohnen auch nur, wenn sie im Schwarm Ziele anfliegen. Denn sie sind sehr laut, im Vergleich zu Raketen recht langsam und sie fliegen recht tief, sind also eigentlich leichte Beute für jede Art der Flugabwehr.

Das ukrainische Militär gab an, seit Sonntagabend rund 85 bis 86 Prozent der Drohnen, die bei den jüngsten Angriffen eingesetzt worden seien, abgeschossen zu haben. Damit war man, wenn die Zahlen stimmen, erfolgreicher als zuletzt: Anfang Oktober hieß es, rund 60 Prozent der Drohnen würden durchschnittlich abgefangen.

Russische Drohnen über Kiew

Ukrainische Polizeibeamte eröffnen das Feuer auf Kamikaze-Drohnen, die im Tiefflug über Kiew schweben. Videoaufnahmen zeigen außerdem eine von einer Drohne verursachte Explosion im zentralen Kiewer Stadtteil Schewtschenkiwskyj in der Nähe des Hauptbahnhofs vor Sonnenaufgang. Nach ukrainischen Angaben setzt Russland Drohnen ein, die im Iran hergestellt wurden. Der Iran dementiert, Russland mit Drohnen versorgt zu haben.

Dem Vernehmen nach wissen die russischen Angreifer auch kaum, ob eine Drohne ihr Ziel erreicht. Der ukrainische Blogger Pavlo Kaschchuk riet der Bevölkerung, keine Drohnenteile zu fotografieren und in sozialen Netzwerken zu teilen. Denn wenn die Serienummer erkennbar sei, könnte die russische Armee erfahren, was mit den Drohnen passiert ist, und Rückschlüsse für weitere Angriffe daraus ziehen.

Spekulationen über weitere Waffendeals mit dem Iran

Während die Schahed-136 zwar zermürbend, aber nicht kriegsentscheidend sein dürfte, kursieren indes Spekulationen über weitere Waffendeals zwischen Russland und dem Iran. So wurde vermutet, dass Moskau auch Drohnen vom Typ Arasch-2 kaufen könnte. Über diese neu entwickelte Waffengattung ist noch wenig bekannt, sie gelten aber als leistungsstärker und gefährlicher. Und auch von Raketenlieferungen war zuletzt die Rede. Fraglich ist, wie sich die derzeitige Protestbewegung auf die Frage der Waffenlieferungen auswirken könnten. Das Regime in Teheran hat damit eigentlich eigene Probleme zu lösen – zudem nimmt auch einmal mehr der internationale Druck zu.