Interview mit Helmut Berger (Chef des Budgetdienstes)
ORF.at/Lukas Krummholz
Budgetdienst

Wegweiser aus dem Zahlenlabyrinth

Das Budget, so heißt es, sei die in Zahlen gegossene Politik. Die Höhe der Mittel, die einem bestimmten Bereich zugewiesen wird, entscheidet darüber, ob und wie politische Projekte umgesetzt werden können. Den Beschluss für das Budget 2023 trifft der Nationalrat Mitte November. Doch bevor die Abgeordneten an der Reihe sind, wandern die Zahlen aus dem Finanzministerium durch eine kleine Einheit des Parlaments.

Für den Budgetdienst gehört der Herbst zu den eher stressigen Zeiten. Zwischen Budgetrede des Finanzministers und endgültigem Beschluss im Nationalrat vergehen nur vier Wochen. In der Zwischenzeit wird der elf Kilogramm schwere „Budgetziegel“, wie der ausgedruckte Stapel im Politjargon genannt wird, im Budgetausschuss von den einzelnen Fraktionen beraten. Dem Budgetdienst kommt dabei eine besondere Rolle zu: Dieser bereitet das 3.600 Seiten dicke Budget 2023 nämlich so auf, dass die Abgeordneten vor dem Votum auch wissen, wohin die budgetäre Reise der Republik hingeht.

„Wir stehen allen Abgeordneten und Klubs, wenn sie Fragen haben oder Einschätzungen brauchen, zur Verfügung“, betont Helmut Berger im Gespräch mit ORF.at. Berger leitet den Budgetdienst seit 2012, jenem Jahr, in dem die Einheit errichtet wurde. Heute sind dort insgesamt acht Personen tätig, sechs davon als Fachreferenten mit bestimmten Schwerpunkten – dazu gehört auch Berger, der zuvor 24 Jahre im Rechnungshof gearbeitet hat. Zwei Fachassistenten, die den Budgetdienst organisatorisch betreuen, ergänzen das Team.

70 Seiten Lesehilfe für „Ziegel“

Wie in den Jahren zuvor stattet der Fachdienst die Parlamentarier mit Analysen und Einschätzungen über das von der Regierung geplante Budget 2023 aus. „Zunächst gibt es eine Gesamtanalyse, in der wir die Schwerpunkte des Budgets herausstreichen und versuchen, die Ziele zu klären“, sagt Berger. Danach widmen sich die Fachleute den 35 Untergliederungen wie Inneres, Justiz und Rechnungshof. In all diesen Analysen würden auch die derzeitigen Krisen einbezogen werden, sagt Berger und verweist etwa auf die Green-Budgeting-Landkarte, mit der die Folgen der Budgetpolitik auf die Umwelt bewertet werden.

Interview mit Helmut Berger (Chef des Budgetdienstes)
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Berger ist seit 2012 Leiter des Budgetdienstes und hat seitdem schon mehrere Papierstapel von Punkt A nach B geschleppt

Ein Herzstück ist neben den Analysen freilich die Lesehilfe des Budgets. Dieses könne für Abgeordnete, die sich erstmals mit dem „Ziegel“ näher beschäftigen, schon mal zum „Labyrinth“ werden, sagt der Leiter. Deshalb stellen die Experten und Expertinnen eine Anleitung, quasi ein „How To Budget“, zur Verfügung. Die Lesehilfe für das Budget 2023 umfasst 69 Seiten und beantwortet Fragen wie „Was wird mit dem Bundesfinanzgesetz beschlossen?“, „Welche Fiskalregeln müssen bei der Budgeterstellung beachtet werden?“ und „Wie kann ich die Informationsflut effizient bewältigen?“.

Insbesondere die Frage nach der Effizienz scheint in den Beratungen des Budgetdienstes viel Raum einzunehmen. „Wir sprechen nicht von Schulungen, denn Abgeordnete schult man nicht“, sagt Berger. Aber man informiere die Mandatare und Mandatarinnen schon darüber, dass es wichtig ist, Prioritäten zu setzen. "Die Regierung schickt insgesamt 3.600 Seiten an das Parlament, die Abgeordneten müssen sich vor dem Beschluss auskennen, und wir versuchen sie dabei, mit Analysen und Veranstaltungen zu unterstützen, so der Jurist.

Gegenstück zu Regierungsinformation

Tatsache ist allerdings auch, dass der Budgetdienst neben seiner Rolle als Berater auch Teil eines historisch gewachsenen Phänomens ist, das das Parlament schwächt. Denn die Vielzahl der Gesetzesentwürfe wird in den Ministerien geschrieben und zwischen den Regierungspartnern verhandelt. Das hat zur Folge, dass Abgeordnete auf Informationen aus den Ministerien angewiesen sind – das betrifft eben beispielsweise auch Details, die mit dem Budget mitgeliefert werden. Budgetdienst-Leiter Berger bezeichnet dieses Ungleichgewicht als „Informationsasymmetrie“.

In der Entstehungsgeschichte des Budgetdienstes scheint der Gedanke eine Rolle gespielt zu haben. Die Wurzeln der Einheit liegen nämlich in einer weitgehenden Reform des Bundeshaushaltsrechts. Im Jahr 2009 räumte der Nationalrat der Verwaltung einen größeren Spielraum bei der Budgetgestaltung ein. Doch weil es sich bei der Budgethoheit um ein „Königsrecht des Parlaments“ handelt, wurden im Gegenzug zum einen die Berichtspflichten der Regierung erweitert. Zum anderen wurde eine politische Vereinbarung getroffen, den Budgetdienst als eine Art Gegengewicht einzurichten.

Bundesministerium für Finanzen
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Aus dem Finanzministerium kommt der Budgetvorschlag, über den die Abgeordneten beraten

Dieser soll unabhängig Analysen zu Regierungsvorlagen abgeben und Anfragen von Abgeordneten, die sich etwa auf finanzielle Folgen von Maßnahmen beziehen, beantworten. 2011 wurden die Aufgaben des Budgetdienstes konkretisiert, 2012 nahm die Einheit ihre Tätigkeit auf. Seither kam es vereinzelt zu gesetzlichen Verankerungen. Eine davon führte zum Beispiel dazu, dass der Budgetdienst als wissenschaftliche Einrichtung Zugang zum Datenzentrum der Statistik Austria erhielt. Die Mikrodaten können für Analysen und Berichte herangezogen werden.

Was dem Budgetdienst allerdings fehlt: eine gesetzliche Grundlage. So stellen Ministerien ihre Informationen bis heute quasi freiwillig zur Verfügung. 2011 gingen die Parlamentsklubs einstimmig davon aus, dass öffentliche Stellen dem Budgetdienst „nach Maßgabe des Artikels 22 B-VG (Amtshilfe, Anm.) alle relevanten Informationen bereitstellen“. Das US-Pedant zur österreichischen Einheit hat es hier etwas leichter: Das Congressional Budget Office ist mit seinen 265 Beschäftigten nicht nur deutlich größer als der Budgetdienst, dessen Leitung ist auch gesetzlich befugt, die nötigen Daten aus der Verwaltung einzuholen.

Als „starker Akteur“ wahrgenommen

„Die Ressourcen natürlich könnten anders verteilt sein“, sagt der Leiter des Budgetdienstes. Gleichzeitig zeigt sich Berger auch stolz, dass die Arbeit seines kleinen Teams von den Abgeordneten, Klubs und ihren Fachreferenten durchwegs goutiert wird. „Wir werden mittlerweile als starker Akteur wahrgenommen“, betont Berger. Das liege auch daran, dass man unmittelbar mit den Abgeordneten kommunizieren kann und keiner Genehmigungspflicht unterliegt. „Wir wahren die Äquidistanz und fühlen uns ausschließlich der Objektivität verpflichtet.“

Dass die Analysen aber nicht immer zu dem passen, was Politikerinnen und Politiker eigentlich erwarten, versinnbildlicht eine Episode, die sich laut Berger vor einiger Zeit zugetragen hat: Ein Abgeordneter habe einmal mitten in der Nacht angerufen, um seinen Unmut über eine Auswertung kundzutun. „Er war mit dem Ergebnis nicht zufrieden. Wir haben zwei Stunden lang ausführlich diskutiert“, sagt Berger, „am Ende konnte er meine Argumentation zum Teil nachvollziehen. Dass er mit der Analyse noch immer unzufrieden war, stört uns weniger.“

Die sachliche Auswertung und Beantwortung von Fragen durch den Budgetdienst ist das eine, die politische Verwertung der Zahlen freilich das andere. „Die Abgeordneten ziehen ihre Schlussfolgerungen“, sagt ein früherer Referent eines Parlamentsklubs. Das sei legitim und wegen des „vertiefenden Know-how des Budgetdienstes“ würden die Parteien auf „seriöse“ Quellen zurückgreifen. „Dass man im Parlament Analysen erzeugt, die so objektiv und fachlich sind, ist auf vielen Ebenen sehr wertvoll“, lobt der frühere Referent den Budgetdienst.

Politische Zuspitzung gehört zum Alltag

Erst kürzlich hatte der Budgetdienst Daten geliefert, die insbesondere für die Opposition Gold wert sind: Im Zuge der hohen Inflation hatte die Regierung bei einer Maßnahme eine Entlastung in Höhe von einer Milliarde Euro versprochen. Der Budgetdienst hielt in einer Analyse aber fest, dass seine Berechnungen „ein bedeutend geringeres Entlastungsvolumen“ ergeben würden. Eine konkrete Zahl wurde nicht genannt, aber das Finanzministerium widersprach und blieb bei den eigenen Berechnungen. Der Budgetdienst schoss mit einer Analyse nach und bezifferte das Volumen auf maximal 770 Millionen Euro.

„Mich hat es überrascht, dass der Punkt von einigen Medien überhaupt aufgegriffen wurde. Es war ein Nebensatz“, sagt Berger. Doch dass die Fraktionen im Parlament – insbesondere die Opposition – die Analysen seines Teams heranziehen, sei ihm durchaus klar. „Natürlich spitzen die Abgeordneten in der Öffentlichkeit einiges zu, aber in den Ausschüssen werden die Debatten sachlich geführt“, so Berger. Der Ex-Referent, der mit dem Budgetdienst zu tun hatte, sagt: „Manchmal bist du kurz davor, Skandal zu rufen, aber dann kommt der Budgetdienst mit Zahlen und kontextualisiert.“

Abseits der Politik genießt der Budgetdienst ebenfalls ein äußerst positives Image. „Als Ökonom kann ich die Institution nur begrüßen“, sagt Harald Oberhofer von der Wirtschaftsuniversität Wien zu ORF.at. Die Fachleute seien sehr gut ausgebildet und würden mit zeitnahen Analysen und Einschätzungen eine „unabhängige Grundlage“ für die Abgeordneten und auch für weitergehende Auswertungen liefern. Laut Oberhofer wäre es allerdings besser, wenn der Dienst personell weiter aufgestockt wird.

Interview mit Helmut Berger (Chef des Budgetdienstes)
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Viel Papier und wenig Zeit: Im Herbst läuft der Budgetdienst auf Hochtouren

Wohl keine Aufstockung, aber ein Abschied

Ob das in naher Zukunft der Fall sein wird, ist eher unwahrscheinlich. Seit Jahren ist die Zahl des übergeordneten Rechts-, Legislativ- und Wissenschaftlichen Dienstes nahezu gleich, auch wenn der Aufwand in den vergangenen Jahren nicht geringer geworden ist. Denn neben den einzelnen Analysen, die das wissenschaftliche Personal auf Anfrage der Abgeordneten erstellt, nimmt auch die Öffentlichkeit die Dienste wahr. Berger verweist allerdings darauf, dass man als Budgetdienst lieber im Hintergrund werkelt.

Der Leiter des Budgetdienstes dürfte aber ohnehin bald Abschied von der Expertengruppe nehmen. Denn er nähert sich dem gesetzlichen Pensionsalter. Gegenüber ORF.at will sich Berger auf keinen genauen Zeitpunkt festlegen. Sollte der Fall kommendes Jahr eintreten, könne der Nachfolger bzw. die Nachfolgerin auf ein „Team versierte Fachleute“ und auf eine „erfolgreiche Geschichte zurückgreifen“, so Berger. „Als ich 2012 anfing, gab es Wünsche und ein einsames Büro.“