Studenten in einer Vorlesung
ORF.at/Roland Winkler
Neue IHS-Studie

Viele Gründe für „inaktive“ Studierende

Dass ein Großteil der Studierenden kaum Prüfungen absolviert bzw. Abschlussarbeiten abgibt, ist eine Herausforderung, mit der sowohl Politik als auch Universitäten seit Jahren konfrontiert sind. Insbesondere seit das Unibudget zum Großteil von den erbrachten Studienleistungen abhängt, ist das Thema noch präsenter. Eine neue Studie hat sich nun mit den Gründen der Prüfungsinaktivität beschäftigt.

Auf über 200 Seiten hat das Forschungsteam rund um Bianca Thaler vom Institut für höhere Studien (IHS) aufgeschlüsselt, woran es liegen kann, dass ein Großteil der Studierenden an heimischen Universitäten ihre Studien inaktiv betreiben. An der Studie waren insgesamt 13 Unis beteiligt. Untersucht wurden Bachelor- und Diplomstudiengänge. Im Studienjahr 2019/2020 waren an diesen 13 untersuchten Universitäten 52 Prozent der belegten Studien aktiv, 48 Prozent waren inaktiv.

Als prüfungsaktiv betrieben gilt ein Studium, wenn im Studienjahr Prüfungen im Ausmaß von 16 ECTS-Punkten abgelegt wurden. Wer darunter liegt, also die nötigen ECTS-Punkte nicht erreicht, betreibt das Studium inaktiv. Für das Studienjahr 2019/2020 wies das Wissenschaftsministerium für alle Universitäten des Landes 62 Prozent prüfungsaktive Studien aus. Der Anteil an den Unis schwankte dabei zwischen 54 Prozent (Universität Wien) und 96 Prozent (Mozarteum). Die Studienpläne sind so konzipiert, dass mit 60 absolvierten ECTS pro Studienjahr das Studium in Mindeststudienzeit abgeschlossen wird.

ECTS-Punkte

Das ECTS-Punktesystem (European Credit Transfer and Accumulation System) soll z. B. eine Vergleichbarkeit von erbrachten Studienleistungen ermöglichen. Ein ECTS-Punkt bedeutet umgerechnet einen Arbeitsaufwand in Höhe von 25 bis 30 Stunden.

Alter, Erwerbstätigkeit und Betreuungspflichten

Die Studie des IHS bestätigt im Wesentlichen bereits vorhandene Erkenntnisse zur Prüfungsaktivität von Studierenden. So werden etwa in prüfungsinaktiven Studien sehr häufig überhaupt keine ECTS erbracht („No-Shows“). Das bedeutet: Entweder sind die Studierenden lediglich inskribiert, studieren aber nicht, oder sie haben studiert, aber keine Prüfungen absolviert oder Arbeiten geschrieben.

In der Regel spielen das höhere Alter, die Erwerbstätigkeit und Betreuungspflichten eine große Rolle, ob jemand schnell bzw. langsam studiert. „Je älter die Studierenden sind, desto geringer sind die Abschlussquoten“, sagte Forscherin Thaler bei einem ausführlichen Hintergrundgespräch diese Woche. Ältere Studierende gehen vermehrt einer Erwerbstätigkeit nach und haben auch häufiger Betreuungspflichten, etwa Kinder.

Laut früheren Analysen haben beispielsweise Männer in technischen Studienrichtungen höhere Abschlussquoten. „Männer besuchen auch häufiger eine HTL – und jene mit HTL-Matura haben in technischen Studien höhere Abschlussquoten“, erklärte Thaler. Zudem werden Studien, die schon im ersten Studienjahr prüfungsinaktiv sind, häufiger abgebrochen als jene, die prüfungsaktiv sind.

Zugangsbeschränkungen als Lösung?

Auf der Ebene der Universitäten scheinen Zugangsregeln für den Studienerfolg besonders wirksam zu sein. In Studienfächern mit strengen Aufnahmeverfahren seien die Abschlussquoten wesentlich höher als in Studienfächern ohne solche Restriktionen, heißt es in der Studie. Doch die höheren Abschlussquoten bedeuten nicht gleich, dass die absolute Zahl der Abschlüsse steigt. Denn diese sei in vielen Fächern seit der Einführung von Aufnahmeverfahren gesunken.

Laut der IHS-Studie ist der Anteil prüfungsaktiver Studien in Philosophie, Statistik, Kunstgeschichte, Theologie und Wirtschaftsrecht (jeweils unter 40 Prozent) am niedrigsten. Das sind laut Thaler auch jene Studienrichtungen, die oft als Zweitstudien dienen. Am höchsten ist der Anteil prüfungsaktiver Studien in der Human- und Tiermedizin. Dort sind es nahezu 100 Prozent. In der Zahnmedizin und in der Psychologie sind es knapp 90 Prozent. Diese Studienrichtungen haben Aufnahmeverfahren und sind platzbeschränkt.

Wertvolle Studierende

Für die Universitäten sind prüfungsaktive Studierende freilich wertvoll. Das Budget der Unis wurde vor wenigen Jahren auf ein Säulensystem gesetzt: Lehre, Forschung und Infrastruktur/Entwicklung. In der Säule Lehre werden allein 94 Prozent der Mittel über prüfungsaktive Studien vergeben. Die Universitäten verpflichten sich in mit dem Ministerium beschlossenen Leistungsvereinbarungen, die Zahl der prüfungsaktiven Studien – in aller Regel – zu erhöhen, und erhalten im Gegenzug Geld, je nach Studienaufwand zwischen 10.700 und 53.500.

Zuletzt hatten die Unis das erklärte Ziel erreicht: Bis Jahresende 2021 mussten sie zusammengerechnet 185.164 prüfungsaktive Studien bzw. ein Plus von drei Prozent verzeichnen. Zurückzuführen sei das, so die Annahme des Wissenschaftsministeriums, zum einen auf das Modell der Universitätsfinanzierung, die mehr Verbindlichkeiten einfordert, zum anderen spielt wohl auch das coronavirusbedingte Distance-Learning eine Rolle. Das Ziel für die aktuelle Leistungsperiode 2022 bis 2024 heißt: Dieses Niveau muss jedenfalls gehalten werden.

Aufnahmetest für das Medizinstudium
APA/Martin Hörmandinger
Zugangsbeschränkungen können die Prüfungsaktivität erhöhen, heißt es in der IHS-Studie

Förderung und Beschränkungen

Die Mehrheit der für die IHS-Studie befragten Studierenden führte ihre geringe Studienaktivität auf unterschiedliche Schwierigkeiten mit den Leistungsanforderungen, ihrem Lernverhalten, aber auch mit der Qualität der Lehre unter Covid-19-Bedingungen zurück. Als Gründe wurden aber auch zeitliche Restriktionen aufgrund von Erwerbstätigkeit, Betreuungspflichten oder Erkrankungen genannt.

„Einige Studierende sehen die ‚Schuld‘ für die geringe Aktivität bei ihnen, einige Studierende bei anderen, also etwa die Studienbedingungen“, sagte Thaler. Es müsse aber nicht immer sein, dass die geringe Prüfungsaktivität negativ gesehen wird. So gebe es natürlich Studierende, die sich aufgrund unterschiedlicher Faktoren (z. B. Erwerbstätigkeit) bewusst sind, dass ihr Studium länger dauern könnte. Seit diesem Semester müssen Studierende übrigens eine Mindestleistung von 16 ECTS-Punkten in zwei Jahren erzielen.

Mögliche Auswege aus der Prüfungsinaktivität gibt es natürlich auch. So nannte Thaler im Gespräch mit den Journalisten und Journalistinnen zielgruppenspezifische Maßnahmen, die sich nach den jeweiligen Bedürfnissen der Studierenden richten. Es wäre auch möglich, die Rahmenbedingungen beim Studieneinstieg flexibler zu gestalten, oder auch strenger, um den Übergang von Schule zu Uni zu erleichtern. Für Personen, die „plötzlich“ keine Prüfungen mehr absolvieren (etwa wegen Schicksalsschlägen), könnte man die Beurlaubung erleichtern.

Mehr Effizienz gefordert

Oliver Vitouch, Rektor der Universität Klagenfurt und Vizepräsident der Universitätenkonferenz, machte schnell klar, dass die Rahmenbedingungen eine politische Entscheidung sind. Man habe in den vergangenen Jahren viel getan, um die Prüfungsaktivität zu steigern, sagte er im Hintergrundgespräch. Vitouch ist bekannt für seine Position, dass es im Studium mehr Verbindlichkeit benötigt. „Das größte Problem in Österreich ist, dass man suggeriert, es geht eh alles: Erwerbstätigkeit, Studium und Familie gleichzeitig.“

Die Prüfungsinaktivität sei ein Problem, das man angehen müsse, indem man zunächst nach den Aufträgen der Hochschullandschaft fragt. „Alle haben diese Wollmilchsau-Erwartung“, sagte Vitouch, der man nie gerecht werden könne. Als Rektoren und Rektorinnen wollte man beispielsweise Mindestleistungen für Studierende, weil diese Lösung die Verbindlichkeit erhöhe. Am Ende sei die Regel (16 ECTS binnen vier Semestern) „verwässert“ worden. Geplant waren eigentlich 16 ECTS in zwei Semestern.

Elmar Pichl, Sektionschef im Wissenschaftsministerium, wollte das freilich nicht so stehen lassen und sprach von wichtigen Schritten in den vergangenen Jahren. Dennoch stellt auch er sich die Frage, wie man das Gesamtsystem effizienter machen könne. Anhand der Ergebnisse der Studie könne man an einigen Schrauben drehen, sagte er. Welche genau das sein werden, blieb unbeantwortet. Derzeit sind keine Gesetzesänderungen geplant, und das Budget ist laut Vitouch ohnehin das größte Problem derzeit.