Frankfurt

Buchmesse für die „Generation Krise“

Frankfurt steht bis Sonntag erneut im Zeichen der Literatur. Als Gastland hat heuer Spanien seinen großen Auftritt auf der Buchmesse – mit Autorinnen und Autoren, die tief in die Krisen des Landes blicken lassen. Auch die Ukraine erhält ein öffentliches Forum – und Autor Serhij Schadan (Zhadan) eine wichtige Auszeichnung. Ihm wird am Sonntag der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verliehen.

Dienstagnachmittag wurde die 74. Frankfurter Buchmesse in Anwesenheit des spanischen Königspaares Felipe VI. und Letizia sowie des deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier eröffnet. Zum zweiten Mal in Folge findet die weltgrößte Buchmesse damit wieder in Präsenz statt – und gleich mit doppelt so vielen Ausstellerinnen und Ausstellern wie im vergangenen Jahr: 4.000 aus rund 95 Ländern.

Mit einem Programmschwerpunkt wurde die Übersetzungstätigkeit bedacht („Translate, Transfer, Transform“), die Aufmerksamkeit liegt aber vor allem auf dem Gastland Spanien und seinen Autoren und Autorinnen Kiko Amat, Elena Medel, Montero, Cristina Morales, Sara Mesa und Fernando Aramburu, die in Frankfurt ihre Bücher präsentieren.

„Lesen ist essenziell für die Demokratie. Bücher vermitteln unterschiedliche Ideen, durch Bücher können wir uns in andere hineinversetzen, die Welt mit anderen Augen sehen, andere Leben ausprobieren und an dem großen Dialog und dieser Polyphonie teilhaben, die Demokratie ausmachen“, sagte die heurige Festrednerin Irene Vallejo im ORF-Videointerview.

Schriftstellerin Irene Vallejo
ORF
Irene Vallejo ist nicht nur Frankfurt-Festrederin, sondern stellt auch ihre vielgelobte Buchkulturgeschichte „Papyrus“ (Diogenes) vor

Bewegtes Spanien

1991 war Spanien bereits Ehrengast der Buchmesse, zu einer Zeit, in der – bedingt durch das Wirtschaftswachstum – durchaus Optimismus im Land herrschte. Francos Schreckensherrschaft wirkte jedoch innenpolitisch sowie literarisch stark nach. Heute, 31 Jahre später, sind es andere Themen, die vor allem junge Spanier und Spanierinnen beschäftigen. Kaum ein Land wurde von der Finanzkrise 2008 so hart getroffen wie Spanien. Die Jugendarbeitslosigkeit zählt zu den höchsten Europas.

Hinzu kommen die katalanische Unabhängigkeitsbewegung, die Landflucht und der Leerstand in den ländlichen Regionen zwischen den Metropolen Madrid und Barcelona. Diese das Land spaltenden Themen finden auch in der spanischen Literatur Niederschlag.

Vielversprechende junge Stimme Simon

Die prekäre Lage der jungen Generation greift etwa Isaac Rosa in seinem im August auf Deutsch erschienen Roman „Im dunklen Zimmer“ auf. Der Autor aus Sevilla macht einen Darkroom zum zentralen Ort seines Buches, den seine Protagonisten und Protagonistinnen zur Zerstreuung aufsuchen.

Die Hoffnungslosigkeit ihrer Generation ist auch Thema der 1991 geborenen Ana Iris Simon. In ihrem autobiografisch geprägten und antikapitalistischen, melancholischen gefärbten Debüt „Mitten im Sommer“ schreibt die Autorin, sie beneide ihre Eltern um deren Jugend. Simon gilt als eine der vielversprechendsten Jungautorinnen Spaniens, auch wenn ihr Roman mit der Kritik der Beschönigung von Spaniens Vergangenheit konfrontiert wurde.

Der ukrainische Schriftsteller Serhij Zhadan
IMAGO/Panama Picture/Christoph Hardt
Schadan, diesjähriger Friedenspreisträger, versucht in seinem neuen Buch eine Sprache für den Kriegsalltag zu finden

Schwerpunkt auf ukrainischer Literatur

Neben Spanien setzt die Buchmesse heuer ihren Fokus auf die Ukraine. Denn unter dem Überfall Russlands leidet auch die ukrainische Buchbranche, die Aufmerksamkeit im Rahmen der Buchmesse soll ihr zugutekommen. Ukrainische Verlage werden, organisiert vom Ukrainischen Buchinstitut, an einem hundert Quadratmeter großen Gemeinschaftsstand mit eigener Bühne ausstellen.

Zudem werden renommierte ukrainische Autoren und Autorinnen über den Krieg, ihre Fluchterfahrung und ihre Literatur sprechen. Anwesend sein werden etwa Jurij Andruchowytsch, einer der bekanntesten ukrainischen Schriftsteller, der kürzlich den vielgelobten Schelmen- und Musikroman „Radio Nacht“ vorlegte, und die Autorin und Essayistin Oksana Sabuschko.

Russische Nationalstände sind auf der diesjährigen Buchmesse nicht vertreten, einzelne russische Exilautoren und -autorinnen hingegen schon, darunter etwa die regimekritischen Autoren Leonid Wolkow und Dmitri Gluchowski (Dmitry Glukhovsky).

Wolkow schildert in seinem neuen Buch „Putinland“ das System Putin und erklärt, wie es seit Jahrzehnten jede Form des Protests unterdrückt. Bestsellerautor Gluchowski, mit seinen politischen „Geschichten aus der Heimat“ in Frankfurt zugegen, musste Russland im März dieses Jahres verlassen, er wird dort per Haftbefehl gesucht.

Friedenspreis für Schadan

Den Abschluss der Bücherschau bildet die Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels in der Frankfurter Paulskirche. Den mit 25.000 Euro dotierten Preis erhält der ukrainische Autor und Musiker Schadan für „sein herausragendes künstlerisches Werk sowie für seine humanitäre Haltung, mit der er sich den Menschen im Krieg zuwendet“, heißt es in der Begründung des Stiftungsrates.

Schriftsteller Kim de l’Horizon rasiert sich die Haare ab
APA/dpa/Arne Dedert
Öffentliche Rasur statt Dankesrede: Kim de l’Horizon bei der Verleihung des Deutschen Buchpreises.

Von dem 1974 geborenen Autor, der mit „Himmel über Charkiw“ kürzlich eine berührende Chronik aus dem Kriegsalltag verfasst hat, liegen bereits zahlreiche Übersetzungen ins Deutsche vor.

Verhaltenskodex für Messeteilnehmer

Ein Thema, das die Gemüter vieler Messeteilnehmenden, Literatur- und Medienschaffenden seit etlichen Jahren erhitzt, ist die Teilnahme neurechter Verlage an der Buchmesse, etwa des Jungeuropa-Verlags. Deren Anwesenheit wurde seitens des Börsenvereins mit Verweis auf die Meinungsfreiheit und auch mit der Monopolstellung der Buchmesse als Geschäftsmesse deutscher Verlag verteidigt: Die Messe könne Marktteilnehmer nicht ausschließen.

Die öffentliche Debatte im Umgang mit der Teilnahme neurechter Verlage mündete im vergangenen Jahr in einen vieldiskutierten Twitter-Aufruf zum Messeboykott durch die deutsche Autorin und Anti-Rassismus-Aktivistin Jasmina Kuhnke.

Eine derartige Eskalation möchte man heuer vermeiden. Ein „Awareness-Team“ des Berliner Bundes für Antidiskriminierungs- und Bildungsarbeit ist dafür auf der Messe anwesend. Zudem wurde ein neuer Verhaltenskodex erlassen, der vorsieht, dass übergriffige Personen des Messegeländes verwiesen werden.

Prominente Gäste

Auch auf dieser Buchmesse gibt es ein Staraufgebot. Angekündigt haben sich Diane Kruger, die mit "Dein Name“ ihr erstes Kinderbuch geschrieben hat; zudem der tansanische Schriftsteller und Nobelpreisträger Abdulrazak Gurnah und der Historiker Ian Kershaw. Virtuell zugeschaltet wird Olena Selenska, Ehefrau des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, der in einer Videobotschaft zu den teilnehmenden Verlegern und Verlegerinnen sprechen wird.

Deutscher Buchpreis für Kim de l’Horizon

Ein wichtiger Programmpunkt der Buchmesse ging schon am Montagabend über die Bühne. Kim de l’Horizon erhielt den Deutschen Buchpreis 2022 für den deutschsprachigen Roman des Jahres – und wurde daraufhin auf Social Media bereits heftig angefeindet, wobei die Aufmerksamkeit nur bedingt der Literatur selbst galt: L’Horizon ist non-binär, sieht sich also weder als Mann noch als Frau – wie auch die erzählende Figur im nun preisgekrönten Roman „Blutbuch“.

L’Horizon wurde 1992 in der Schweiz geboren, „Blutbuch“ ist der Debütroman. In der Jurybegründung hieß es, die Erzählerfigur würde mit „enorm kreativer Energie nach einer eigenen Sprache suchen“. Bei der Dankesrede rasierte sich l’Horizon den Kopf als Zeichen für Solidarität mit den Frauen im Iran.