Autoradiogramm in einer Petrischale
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Bericht

„Neue Gentechnik“ als trojanisches Pferd

Unterliegt die „neue Gentechnik“ den gleichen Regeln wie die klassische Gentechnik? Geht es nach der EU, lautet die Antwort ja. Doch das könnte sich kommendes Jahr ändern. Ein aktueller Bericht verschiedener Umweltorganisationen warnt eindrücklich vor den Folgen einer Lockerung der Regeln: Wenn „neue Gentechnik“ („NGT“) als trojanisches Pferd durch die Hintertür einfalle, würden vor allem große Biotech-Unternehmen davon profitieren und durch Patente „unsere zukünftige Ernährung kontrollieren“. Befürworter verweisen indes auf die positiven Effekte von Gentechnik – gerade hinsichtlich der Klimakrise.

„Aufgedeckt: Wie zwei Biotech-Giganten Patente und neue Gentechnik nutzen, um unsere zukünftige Ernährung zu kontrollieren.“ So lautet der, nicht wenig reißerische, Titel des am Donnerstag erschienen Reports. Konkret handelt es sich bei den Unternehmen um Corteva und Bayer, ein US-amerikanischer Agrarchemie- und Saatgutkonzern sowie der deutsche Chemie- und Pharmariese mit dem Tochterunternehmen Monsanto.

Weltweit habe Corteva bereits 1.430 Patente, Bayer 119 Patente auf „Neue Gentechnik“-Pflanzen angemeldet, also Pflanzen, deren Eigenschaften durch bestimmte neue gentechnische Verfahren so verändert wurden, dass sie etwa gegen Unkraut und Schädlinge resistent sind. Zusammen hätten die beiden Konzerne laut Bericht bereits jetzt die Kontrolle über 40 Prozent des globalen industriellen Saatgutmarkts und weitreichende Lizenzabkommen mit „NGT“-Forschungsinstituten abgeschlossen.

Patentanträge wie jene von Corteva und Bayer würden den Konzernen die Kontrolle über Nutzpflanzen und Saatgut geben, den Zugang zur genetischen Vielfalt einschränken und die zukünftige Ernährungssicherheit bedrohen, so die Kritik im Bericht. Patente würden sich in der Folge also nicht nur negativ auf kleinere Landwirte und Landwirtinnen auswirken, sondern auch auf Konsumenten und Konsumentinnen – etwa durch höhere Preise und weniger Auswahl.

Maiskolben
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Gentechnisch veränderte Pflanzen sind etwa gegen Pestizide oder Schädlinge resistent

Gentechnik: Neu und natürlich?

Doch worum handelt es sich bei „neuer Gentechnik“ überhaupt? Während bei der klassischen Gentechnik bei der DNA einer Pflanze Gene eines anderen Organismus von außen eingeschleust werden, wird bei der „neuen Gentechnik“ die bereits vorhandene Genstruktur verändert – ohne dass fremdes Erbgut eingebracht wird. Das geschieht etwa mit Hilfe der Genschere CRISPR. Befürworter dieser Technologie argumentieren, man solle sie nicht zu den gentechnisch veränderten Organismen zählen, da die erzeugten Pflanzen keine Fremd-DNA enthalten und so auch auf natürliche Weise hätten wachsen können.

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Infografik „neue Gentechnik“
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Infografik klassische Gentechnik
Global2000/ORF.at

Umweltschutzorganisationen fordern klare Regulierung

Für die Gegner stellen diese Methoden aber nur einen weiteren Versuch dar, den Europäern die Gentechnik durch die Hintertür zu verkaufen. So wird im Bericht seitens der Organisationen kritisiert, dass die Biotech-Konzerne „neue Gentechnik“ als natürliche Prozesse anpreisen würden und somit von den Sicherheitskontrollen und Kennzeichnungsvorschriften der EU für gentechnisch veränderte Lebensmittel ausgenommen werden wollten. Gleichzeitig werde mit „NGT“-Patentanträgen versucht, die technischen Innovationen abzusichern.

Bericht

Der Bericht basiert auf einer kollektiven Recherche der Umweltschutzorganisationen Global 2000, Friends of the Earth Europe, Corporate Europe Observatory, Arche Noah, IG Saatgut und der AK Wien.

„Konzerne wie Corteva und Bayer wollen für ihre NGT-Pflanzen und NGT-Saatgut vereinfachten Zugang zum EU-Markt erhalten und so eine größere Kontrolle über Bauern und Bäuerinnen, Pflanzenzucht und dem Ernährungssystem erlangen“, heißt es in dem Bericht weiter.

Dem gelte es einen Riegel vorzuschieben: „Neue Gentechnik“ in der Landwirtschaft müsse weiterhin klar reguliert werden, „mit einer Zulassung vor der Markteinführung, einer Kennzeichnung und Sicherheitskontrollen zum Schutz der menschlichen Gesundheit und Umwelt“, so die Forderung. Zudem müssten Schlupflöcher im europäischen Patentrecht geschlossen werden.

Abstrakte Zahnrad-Statue
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2023 könnte „neue Gentechnik“ schon nicht mehr den strengen Regeln des EU-Gentechnikrechts unterliegen

Generell unterliegen Lebensmittel, die mit Methoden der „neuen Gentechnik“ hergestellt wurden, noch den strengen Regeln des EU-Gentechnikrechts. So sieht es ein Urteil des Europäischen Gerichtshof (EuGH) aus dem Jahr 2018 vor. Die EU-Kommission kündigte jedoch einen neuen Gesetzesvorschlag für eine mögliche Deregulierung des EU-Genteschnikrechts an. Dieser Entwurf wird für das zweite Quartal 2023 erwartet.

Österreich gegen Gentechnik

In Österreich ist die öffentliche Meinung zu Gentechnik recht einhellig: Gesundheitsminister Johannes Rauch und Umweltministerin Leonore Gewessler (beide Grüne) sprachen sich im Juni unisono gegen eine Lockerung der Regeln für „neue Gentechnik“ aus. In einer Aussendung ist zu lesen: Die österreichische Haltung sei klar. „Neue Verfahren zur Gentechnik durch die Hintertür sind für uns nicht akzeptabel. Die Konsumenten und Konsumentinnen haben das Recht zu wissen, was auf ihren Tellern landet.“

In einer im August veröffentlichten Umfrage im Auftrag von Global 2000 und dem Handelsverband sprachen sich tatsächlich 92 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher für die Beibehaltung der Kennzeichnungspflicht von genetisch veränderten Lebensmitteln aus. Und: Gegen eine Deregulierung ist auch der heimische Lebensmitteleinzelhandel.

Die Sonne scheint auf Feld mit jungem Karfiol
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Die Kluft zwischen Pro- und Anti-Gentechnik-Lobby ist groß – ebenso jene zwischen öffentlicher Meinung und Wissenschaft

Forschung: Potenziale überwiegen

Aus Sicht der Forschung überwiegen indes die Potenziale, nicht die Risiken. Gentechnisch veränderte Pflanzen stellen laut Studien keine besonderen Gefahren dar – weder für die Gesundheit noch für die Umwelt. Im Gegenteil: Gentechnisch veränderte, ertragreichere und widerstandsfähigere Sorten können zu mehr Ertrag auf kleineren Flächen führen, so das Argument der Befürworter.

Mit Hilfe von Gentechnik könnte laut einer Studie in Europa eine Ertragssteigerung von sieben bis zehn Prozent erreicht werden sowie eine Reduktion der jährlichen Treibhausgasemissionen der EU-Landwirtschaft um mehr als sieben Prozent – mehr dazu in science.ORF.at. Auch hinsichtlich der Klimakrise mit immer stärkeren Extremwetterereignissen wie Dürre und Hitze könnten resistentere Pflanzen vielversprechend sein.

EU-Studie sieht Notwendigkeit von Gesetzesänderung

Der Wiener Molekularbiologin Ortrun Mittelsten Scheid zufolge würden strenge Regulierungen aber bewirken, dass die Forschung in diesem Bereich hinterherhinke – nicht nur in der Anwendung, sondern auch in der Grundlagenforschung – mehr dazu in science.ORF.at.

Auch in einer EU-Studie ist zu lesen, dass „neue Gentechnik“ zu nachhaltigen Lebensmittelsystemen beitrage und „für viele Bereiche unserer Gesellschaften von Nutzen“ sein könne. Die Studie komme zu dem Schluss, dass es deutliche Hinweise darauf gebe, dass die geltenden Rechtsvorschriften für einige Arten der „neuen Gentechnik“ und ihre Erzeugnisse nicht zweckmäßig sind „und an den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt angepasst werden müssen“. Wie stark bei einer Deregulierung dann auch das Patentrecht betroffen sein wird, bleibt abzuwarten.