Person liest auf einem Smartphone ein Facebook-Posting des ehemaligen Bundeskanzlers Sebastian Kurz (ÖVP)
ORF.at/Christian Öser
Reaktion auf Schmid

Kurz sieht „falsche Anschuldigungen“

Vieles ist noch offen in der ÖVP-Affäre – klar ist aber bereits jetzt: Der ehemalige ÖBAG-Chef und Generalsekretär im Finanzministerium, Thomas Schmid, dürfte mit seinen am Dienstag bekanntgewordenen Aussagen eine Reihe von Personen schwer belasten, allen voran Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP). Dieser sprach am Mittwoch von falschen Anschuldigungen. Auch Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) wies die Vorwürfe zurück. Unterdessen sahen sich die Grünen bestätigt, SPÖ und FPÖ forderten Rücktritte.

Kurz zeigte sich von den ihn belastenden Aussagen Schmids unbeeindruckt. „Er (Schmid, Anm.) versucht den Kronzeugenstatus zu erlangen, indem er Anschuldigungen gegen andere, unter anderem gegen mich, erhebt, um selber straffrei auszugehen“, schrieb Kurz auf Facebook. Schmids Aussagen seien daher „keine Überraschung“. Der Ex-Kanzler meinte, er wolle weiterhin beweisen, dass die Aussagen falsch seien. Schmid hatte Kurz schwer belastet und unter anderem angegeben, die Idee zum „Beinschab-Tool“ sei von Kurz gekommen.

Auch die Glaubwürdigkeit Schmids stellte Kurz auf Facebook infrage. In Wahrheit seien die Aussagen kein echtes Schuldeingeständnis, sondern hätten lediglich das Ziel, „für das eigene Fehlverhalten nicht bestraft zu werden, indem man andere beschuldigt“. Schmid sage in seinen jetzigen Aussagen zudem selbst, dass er in seinen Chats Menschen wiederholt belogen habe „und er jedem oft das erzählt hat, was er hören wollte“, so Kurz. „Am Ende wird sich herausstellen, dass das auch in diesem Fall zutrifft.“

Kurz-Anwalt Werner Suppan gab am Mittwochnachmittag in einer schriftlichen Mitteilung an die APA bekannt, den Behörden eine Tonbandaufzeichnung übermittelt zu haben, die Schmids Aussagen „widerlegen“. Nähere Informationen dazu gab es vorerst nicht.

Kurz kritisiert WKStA

Einmal mehr kritisierte Kurz die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA): „Diese Aussagen sind für die WKStA sehr willkommen, da es nach einem Jahr Ermittlungsverfahren rein gar nichts gab, das die Vorwürfe gegen mich bestätigt hätte.“ Obwohl jeder Lebensbereich Schmids in Chatnachrichten bekanntlich voll dokumentiert sei, sei interessanterweise genau zu den jüngst erhobenen Anschuldigungen keine einzige zu finden.

Zum Vorwurf, er habe auf das Budget des Finanzministeriums zugegriffen, da er keine anderen finanziellen Mittel für Meinungsforschung gehabt habe, meinte Kurz: Er habe im Jahr 2017 nicht nur als Außenminister ein Budget von über 500 Mio. Euro verantwortet, sondern auch als Obmann der Jungen ÖVP Hunderttausende Euro und als Präsident der Politischen Akademie über zwei Mio. Euro.

Als ÖVP-Obmann sei ihm ab Mitte Mai 2017 zudem eine Parteienförderung von mehr als sieben Mio. Euro zur Verfügung gestanden. „Was hätte es daher für mich für einen Sinn gemacht, einige zehntausend Euro pro Jahr im Finanzministerium zu veruntreuen?“ Wie politische Beobachter an dieser Stelle festhalten, kann ein Minister über Budgetmittel allerdings nicht frei verfügen.

Kurz und Mediengruppe Österreich: Keine Geschäfte

Hinsichtlich des „Beinschab-Tools“ meinte er: „Der Vorwurf, dass ich mit einer mir unbekannten Meinungsforscherin, die ich noch nie im Leben getroffen habe und die selbst angegeben hat, mich persönlich nicht zu kennen, eine Straftat begangen haben soll, ist aus vielen Gründen absurd.“ Auf weitere von Schmid erhobene Vorwürfe ging Kurz in seinem Posting nicht ein.

Schmids Aussagen deuten darauf hin, dass die Geschäftsführer der Mediengruppe Österreich, Wolfgang und Helmuth Fellner, für Inserate gefällig berichten und manipulierte Umfragen publizieren ließen. In einer Aussendung wies die Mediengruppe diese Vorwürfe zurück und verwies auf ihre redaktionelle Unabhängigkeit. Derartige Geschäfte habe es „niemals“ gegeben. Auch sei das „Beinschab-Österreich-Tool“ nicht bekannt gewesen.

Wolfgang Sobotka
APA/Roland Schlager
Sobotka wehrte sich gegen die Vorwürfe, doch die Rufe nach seinem Rücktritt werden lauter

Sobotka: Vorwürfe „vollkommen haltlos“

Ebenso wehrte sich Sobotka gegen belastende Aussagen Schmids. Schmid hatte in seiner Einvernahme angegeben, Sobotka habe wegen Steuerprüfungen bei der „Alois-Mock-Stiftung oder beim Alois-Mock-Institut“ sowie bei der „Erwin-Pröll-Stiftung“ erfolgreich interveniert. Sobotka sprach in einer Stellungnahme gegenüber der APA von „Anschwärzen“, um den Kronzeugenstatus zu erlangen.

TV-Hinweis

Der ORF ändert aufgrund der aktuellen Entwicklungen sein Programm und sendet am Mittwoch um 22.25 in ORF2 einen „Runden Tisch“ zur Causa. In ORF III ist bereits um 20.15 Uhr ein „Politik live Spezial“ zu sehen. Am Donnerstag diskutiert die „Runde der Chefredakteurinnen“ um 20.15 Uhr in ORF III die neuen Facetten der ÖVP-Affäre – mehr dazu in tv:ORF.at.

„Wenn jemand anscheinend seit Monaten krampfhaft versucht, den Kronzeugenstatus zu erlangen, dann ist ihm jedes Mittel recht, um mildernde Umstände bei der Strafbemessung zu erreichen. Mit dem Anschwärzen politischer Entscheidungsträger ist maximale mediale Aufmerksamkeit garantiert. Die Vorwürfe gegen mich sind vollkommen haltlos, und ich weise diese strikt zurück“, so Sobotka. Für alle Genannten gilt die Unschuldsvermutung.

Opposition will Rücktritt Sobotkas

Die Opposition forderte indes den Rücktritt Sobotkas. SPÖ-Vizeklubchef Jörg Leichtfried bezeichnete Sobotka in einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz am Mittwoch als „untragbar im zweithöchsten Amt der Republik“.

Leichtfried attestierte der Regierung, „nicht handlungsfähig“ und „am Ende“ zu sein. Die Aussagen von Schmid gegen Sobotka würden „Anstiftung zum Amtsmissbrauch“ bedeuten, „das ist ein Strafdelikt“.

Auch FPÖ-Chef Herbert Kickl forderte den Nationalratspräsidenten zum sofortigen Rücktritt auf. „Schon als Vorsitzender des ÖVP-Untersuchungsausschusses hat Sobotka sich durch seine parteiische Vorsitzführung ganz im Sinne der ÖVP disqualifiziert.“ Der Nationalratspräsident sei „durch all diese Vorwürfe schon längst selbst zur größten Belastung für die Würde des Hohen Hauses geworden“.

Vizekanzler Werner Kogler
IMAGO/SEPA.Media/Martin Juen
Kogler fühlt sich durch Schmids Aussagen bestätigt

Grüne sehen Koalition belastet

Die Grünen erinnerte Leichtfried an deren Wahlslogan „der Anstand würde die Grünen wählen“ und fragte Parteichef und Vizekanzler Werner Kogler (Grüne), „ob es anständig ist, weiter für eine ÖVP in der Bundesregierung die Mauer zu machen“. Die Regierung sei nicht mehr handlungsfähig und am Ende, bekräftigte Leichtfried die SPÖ-Forderung nach einer vorgezogenen Wahl.

Kogler sagte, er fühle sich nach den Aussagen von Schmid in seinem Vorgehen im vergangenen Jahr bestätigt. Mit dem Ultimatum an Kurz zum Rückzug habe man die richtigen Konsequenzen gezogen, so Kogler vor dem Ministerrat am Mittwoch. Fragen nach der Bedeutung der Aussagen Schmids für die aktuelle Koalition beantwortete er nicht.

Kogler fühlt sich durch Schmid-Aussagen bestätigt

Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) fühlt sich nach den Aussagen von Ex-Finanzministerium-Generalsekretär Thomas Schmid vor der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) in seinem Vorgehen im vergangenen Jahr bestätigt.

Die grüne Fraktionsführerin im ÖVP-Korruptions-U-Ausschuss, Nina Tomaselli, sieht die Koalition allerdings belastet. Gleichzeitig schränkte Tomaselli aber ein, dass sich die Aussagen Schmids auf Personen „aus der Vergangenheit“ beziehen würden. Gegen die aktuellen Personen im Kanzleramt gebe es dagegen keine neuen Vorwürfe.

Thomas Schmid
APA/Hans Punz
Schmid erhob vor der WKStA weitreichende Vorwürfe

Nehammer für „volle Aufklärung“

ÖVP-Chef Kanzler Karl Nehammer forderte in einer Stellungnahme gegenüber der APA „volle Aufklärung“ durch die Justiz. „Die Justiz soll diese Ermittlungen sorgfältig führen, ich habe das Land durch eine Krise zu führen.“ Aktuellen Handlungsbedarf sieht Nehammer offenbar nicht: Die Vorwürfe gegen Kurz und andere würden „die Vergangenheit betreffen“, so Nehammer in einer knappen schriftlichen Stellungnahme. „Wenn diese Vorwürfe stimmen, dann ist das nicht in Ordnung.“

Kein Kommentar von Karner und Edtstadler

Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) sagte nach dem Ministerrat, er äußere sich zu laufenden Ermittlungsverfahren nicht. Außerdem könne er den Wahrheitsgehalt der Aussagen Schmids nicht überprüfen. Am Fortbestehen der Koalition zweifle er nicht.

Karoline Edtstadler (ÖVP) äußerte sich ähnlich: „Ich bin zu sehr Juristin, als dass ich ein laufendes Strafverfahren hier kommentieren möchte.“ Sie verwies allerdings daraufhin, dass ein Beschuldigter (wie Schmid, Anm.) nicht unter Wahrheitspflicht aussage: „In seinem Fall kommt dazu: Er möchte auch den Kronzeugenstatus bekommen und damit straffrei ausgehen.“

Der ÖVP-Fraktionsführer im U-Ausschuss, Andreas Hanger ,kündigte an, dass die ÖVP Schmid am 3. November vorladen wolle, „damit er unter Wahrheitspflicht aussagt“. Kritik übte er in diesem Zusammenhang an der WKStA: „Wir verstehen nicht, dass er 15 Tage für die WKStA Zeit hat, für den U-Ausschuss aber nicht.“ Bei Sobotka, der die Vorwürfe zurückweise, ortete Hanger ein „offensichtliches Anpatzen“ und daher keinen Grund für Konsequenzen.

NEOS: Keine Verlängerung von ÖVP-U-Ausschuss

Kogler appellierte an die Nationalratsabgeordneten und speziell NEOS, den ÖVP-U-Aausschuss zu verlängern. Dort könnten noch Aspekte geklärt werden, welche die Strafjustiz eventuell nicht im Auge habe.

Für NEOS hätten sich unterdessen keine neuen Sachverhalte, keine „neuen Spielarten der Korruption“ gezeigt, so U-Ausschuss-Fraktionsführerin Stephanie Krisper. „Das Bild ist klar, die ÖVP hat ein Korruptionsproblem.“ Es gebe aber keinen Verlängerungsbedarf für den U-Ausschuss, weil alle Schlupflöcher klar identifiziert seien und damit auch, welche Reformen es braucht.