Liz Truss hält Rede vor Eingang zu Downing Street 10
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Anhaltende Kritik

Britische Premierministerin Truss tritt zurück

Die britische Premierministerin und Chefin der konservativen Torys, Liz Truss, ist am Donnerstag nach nur rund sechs Wochen im Amt zurückgetreten. Sie werde noch bis zur Ernennung eines Nachfolgers oder einer Nachfolgerin im Amt bleiben, so Truss in einer kurzfristig angesetzten Pressekonferenz. Sie habe bereits mit König Charles III. darüber gesprochen. Truss geht als Premierminister mit der kürzesten Amtszeit in die Geschichte des Königreichs ein.

„Ich erkenne an, dass ich in dieser Situation das Mandat, mit dem ich von der Konservativen Partei gewählt wurde, nicht erfüllen kann“, sagte Truss. „Ich habe daher mit Seiner Majestät dem König gesprochen, um ihm mitzuteilen, dass ich als Vorsitzende der Konservativen Partei zurücktrete.“ Da die Torys die Mehrheit im Parlament haben, stellen sie auch automatisch die Premierministerin bzw. den Premierminister.

In der nächsten Woche solle bereits die Wahl der neuen Parteiführung erfolgen. „Das wird sicherstellen, dass wir auf dem Weg bleiben, unsere finanzpolitischen Pläne umzusetzen und die wirtschaftliche Stabilität und die nationale Sicherheit unseres Landes zu erhalten“, sagte Truss. Das britische Pfund wertete nach der Ankündigung auf: Der Kurs legte um knapp ein Prozent zum Dollar zu. Der britische Aktienmarkt legte ebenfalls um etwa ein Prozent zu.

Premierministerin Truss gibt Rücktritt bekannt

Die britische Premierministerin und Chefin der konservativen Torys, Liz Truss, hat ihren Rücktritt bekanntgegeben. Sie werde noch bis zur Ernennung der Nachfolge im Amt bleiben, so Truss in einer kurzfristig angesetzten Pressekonferenz.

Sturgeon fordert Neuwahl

Wie der Amtssitz der Regierungschefin, Downing Street 10, bestätigte, hatte sich die konservative Politikerin Donnerstagmittag mit Graham Brady, dem Vorsitzenden des mächtigen 1922-Komitees der Konservativen Fraktion getroffen. Das Gremium ist für die Wahl und Abwahl der Parteivorsitzenden zuständig. Nach Angaben der Regierung kam das Treffen auf Wunsch von Truss zustande.

Parlamentarier bei heftiger Debatte in London
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Liz Truss vor dem britischen Parlament am Mittwoch

Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon forderte eine Neuwahl. „Eine Neuwahl ist nun ein demokratischer Imperativ“, schrieb Sturgeon von der linksliberalen Scottish National Party am Donnerstag auf Twitter, nachdem Truss ihren Rücktritt verkündet hatte. „Es gibt gar keine Worte, um diesen Scherbenhaufen angemessen zu beschreiben“, so Sturgeon. Normale Bürgerinnen und Bürger müssten dafür den Preis zahlen. Die Interessen der konservativen Tory-Partei, die innerhalb einer Woche eine Nachfolge für Truss finden will, dürften nun keine Rolle spielen.

Seit Mitte September um politisches Überleben gekämpft

Truss hatte erst vor etwa sechs Wochen die Nachfolge von Boris Johnson angetreten, der nach mehreren Skandalen und Eklats auf Druck der eigenen Partei zurückgetreten war. Doch bereits seit Mitte September kämpfte Truss um ihr politisches Überleben im Amt, nachdem sie mit ihren Steuersenkungsplänen ein Fiasko an den Finanzmärkten ausgelöst hatte und sich zu einer Kehrtwende gezwungen sah.

Finanzminister Jeremy Hunt
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Der neue britische Finanzminister Jeremy Hunt

Erst am Freitag hatte Truss ihren Finanzminister Kwasi Kwarteng entlassen und durch den früheren Außenminister Jeremy Hunt ersetzt. Hunt machte am Montag fast alle Bestandteile ihrer erst Ende September verkündeten Steuerpolitik rückgängig. Er kündigte an, die eigentlich für zwei Jahre vorgesehene Energiepreisdeckelung auf sechs Monate zu beschränken.

Unbeliebtestes Regierungsoberhaupt

Umfragen zufolge liegen die Konservativen etwa 30 Prozentpunkte hinter der oppositionellen Labour Party. Bei dem Forschungsinstitut YouGov ist Truss die unbeliebteste Regierungschefin seit Beginn der Erhebungen. Truss war in einem parteiinternen Votum mit 57,4 Prozent der Stimmen gewählt worden, ihr Rivale Rishi Sunak kam auf 42,6 Prozent.

Truss wird dem rechten Parteiflügel zugeordnet, sie konnte in dem internen Wahlkampf für die Nachfolge an der Parteispitze mit ihren Steuervorschlägen punkten. Außerdem sammelte sie bei der Parteibasis – die deutlich älter, männlicher und wohlhabender ist als der Durchschnitt der britischen Bevölkerung – Punkte mit einer konfrontativen Linie gegenüber der EU und populistischen Äußerungen zu Flüchtlingen, Linken, Umweltaktivisten und gesellschaftlichen Minderheiten. Truss galt einst als entschiedene Brexit-Gegnerin.

Chaotische Szenen und Rangeleien

Die Regierung hatte am Donnerstag mitgeteilt, dass die Fraktionsführung mit den Tory-Abgeordneten sprechen werde, die die Regierung bei der Abstimmung am Mittwoch nicht unterstützt hatten. Diejenigen, die keine vernünftige Entschuldigung dafür hätten, müssten mit angemessenen Disziplinarmaßnahmen rechnen. Das hatte zu einem Aufschrei geführt.

Die von der oppositionellen Labour-Partei anberaumte Abstimmung Mittwochabend geriet völlig aus den Fugen. Bei der Abstimmung über Fracking, bei der nicht klar war, ob sie auch eine Vertrauensfrage war, war es zu chaotischen Szenen und Rangeleien unter den Abgeordneten gekommen.

Der Labour-Antrag wurde zwar mit großer Mehrheit abgelehnt, doch viele konservative Abgeordnete sollen nur äußerst widerwillig gegen den Vorstoß gestimmt haben, der ein Gesetzgebungsvorhaben zum Fracking-Verbot einleiten sollte. Es gab auch eine ganze Reihe von Enthaltungen.

Downing Street: Whips noch im Amt

Zwischenzeitlich sorgten aber auch noch Berichte über Rücktritte in der Fraktionsspitze der Torys für Wirbel. In britischen Medienberichten hieß es, die zuständige Chief Whip (etwa: Chef-Einpeitscherin) Wendy Morton und ihr Stellvertreter Craig Whittaker seien aus Protest gegen eine abrupte Abkehr vom zunächst von der Regierung eingeforderten einheitlichen Abstimmungsverhalten der Tory-Abgeordneten zurückgetreten.

Chief Whip Wendy Morton
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Chief Whip Wendy Morton

Whips sind im britischen Parlament für die Fraktionsdisziplin zuständig ähnlich einer Klubobfrau bzw. einem Klubobmann im österreichischen Parlament. Downing Street 10 sah sich am späten Abend schließlich zu dem ungewöhnlichen Schritt gezwungen, mit einer Erklärung klarzustellen, dass die beiden Whips weiter „im Amt“ seien.

Tory-Abgeordneter: „Eine absolute Schande“

Der konservative Abgeordnete Charles Walker hat in einem BBC-Interview seinen Ärger über seine eigene Partei geäußert. „Das ist ein Scherbenhaufen und eine absolute Schande. Ich bin unfassbar entsetzt, ich bin wütend.“

Das Chaos werfe „in jeder Hinsicht ein erbärmliches Licht auf die Konservative Partei und die aktuelle Regierung“, sagte der Abgeordnete Charles Walker der BBC. Aus dieser Situation gebe es kein Zurück mehr, in seinen 17 Jahren im Parlament habe er noch nie etwas Vergleichbares gesehen. „Das ist ein Scherbenhaufen und eine Schande. Ich bin unfassbar entsetzt, ich bin wütend“, sagte Walker. „Ihre Position ist unhaltbar geworden“, twitterte die Abgeordnete Sheryll Murray.

Truss am Mittwoch: Ich bin eine Kämpferin

Der Labour-Abgeordnete Chris Bryant forderte nach der Abstimmung eine offizielle Untersuchung. Er habe vor der Abstimmung gesehen, dass Tory-Abgeordnete im Parlament schwer bedrängt und unter Druck gesetzt worden seien, sagte Bryant.

Tory-Verkehrsministerin Anne-Marie Trevelyan sagte der BBC, sie sei schockiert über Berichte, wonach Tory-Abgeordnete drangsaliert worden seien, um sie zu zwingen, mit der Regierung zu stimmen. Am Mittwoch hatte Innenministerin Suella Braverman ihren Rücktritt erklärt und dabei auch Kritik an Truss geübt. „Ich bin eine Kämpferin und keine Drückebergerin“, hatte Truss Mittwochmittag im Parlament noch gerufen, als sie wegen des Finanzchaos von der Opposition erheblich unter Druck gesetzt und zum Rücktritt aufgerufen wurde. Sie erntete heftigen Spott und Häme von den Oppositionsbänken.

Britische Innenministerin Suella Braverman
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Die zurückgetretene britische Innenministerin Suella Braverman

Braverman: Wahlversprechen gebrochen

Mehr Kritik kam später im Rücktrittsschreiben von Braverman. Wichtige Versprechen an die Wähler seien gebrochen worden, und sie habe auch „große Bedenken hinsichtlich des Bekenntnisses dieser Regierung zu unserem Wahlprogramm, wie die Gesamtzahl der Einwanderer zu begrenzen und illegale Migration zu stoppen, besonders die gefährlichen Bootsüberquerungen“, schrieb Braverman am Mittwoch.

Die nunmehrige Ex-Innenministerin gehört zum extrem rechten Flügel der Partei. Sie machte immer wieder mit Äußerungen zu ihren Plänen für ein härteres Vorgehen bei Abschiebungen von sich reden. Kürzlich wetterte sie im Parlament gegen „Tofu essende“ Linke.