Bundespräsident Van der Bellen hält Rede
APA/HBF/Carina Karlovits
ÖVP-Affäre

„Das darf doch alles nicht wahr sein“

„Das darf doch alles nicht wahr sein“: Mit diesen Worten hat Bundespräsident Alexander Van der Bellen am Donnerstagnachmittag deutlich gemacht, was er vom Politbeben hält, das die am Dienstag bekanntgewordenen Vernehmungsprotokolle des ehemaligen Generalsekretärs im Finanzministerium, Thomas Schmid, ausgelöst haben.

An sich habe er gehofft, dass sein erstes Statement einen anderen Inhalt hat, wie Van der Bellen zu Beginn seines kurzfristig anberaumten Pressetermins „zu den aktuellen innenpolitischen Entwicklungen“ sagte – nun gehe es aber nicht um seine Wiederwahl, sondern um das in diesen Tagen erneut erschütterte Vertrauen in die Demokratie.

„Viele Menschen wenden sich mit Schaudern von der Politik ab“, so Van der Bellen. Die seit dem Vorjahr an die Öffentlichkeit getropften Chats „haben sich zu einem sichtbaren Wasserschaden entwickelt“, und dieser habe nach den Worten von Van der Bellen „die Substanz des ganzen Gebäudes erreicht“. Das, was zuletzt zum Korruptionsthema wieder an die Öffenlichkeit gelangte, „ist kein kleiner Wasserfleck. Es ist ein massiver Schaden, der an die Substanz unserer Demokratie geht.“

Statement von Alexander Van der Bellen

Bundespräsident Alexander Van der Bellen fordert angesichts der im Raum stehenden Korruptionsvorwürfe eine „transparente, nachvollziehbare und vor allem für alle wahrnehmbare Generalsanierung des Vertrauens“.

„Lähmendes Gift“

Er wolle und werde das nicht hinnehmen, so Van der Bellen – notwendig sei nun eine „Generalsanierung“, und es sei seine Pflicht, dafür zu sorgen, „dass das auch passiert“. In Österreich dürfe es keine Platz für Korruption geben, so Van der Bellen.

Korruption sei ein lähmendes Gift, das „uns blockiert und unserer Zukunftschancen beraubt“, Korruption verhindere, dass Menschen das Beste geben können und dass nicht die Besten, sondern jene, die es sich richten können, bevorzugt würden. Und auch wenn nur der Eindruck entstehe, dass man es sich richten kann, dann müsse es im Interesse des Bundeskanzlers und der verantwortlichen Regierungsmitglieder sein, diesen Eindruck zu entkräften.

„Geht nicht nur um das Rechtliche“

Außer Frage stellte Van der Bellen in diesem Zusammenhang, dass es hier nicht nur um das Rechtliche allein gehe. „Unser Rechtsstaat funktioniert, wir sehen dem Rechtsstaat bei der Arbeit und beim Funktionieren zu, das ist beruhigend“, so Van der Bellen. Hier gehe es aber auch um das Vertrauen, und es sei „zu wenig, sich auf die Unschuldsvermutung und den Ausgang von Verfahren zurückzuziehen“. Notwendig sei nun eine „transparente, nachvollziehbare und für alle sichtbare Generalsanierung“.

„Diese gesamte unschöne Thematik“ erfordere in den nächsten Wochen und Monaten Maßnahmen, um wieder die volle Handlungsfähigkeit aller politisch Verantwortlichen in diesem Land sicherzustellen. „Es geht dabei eindeutig auch darum, die eigene Rolle, die Rolle der eigenen Partei, die bisherigen Aktivitäten kritisch zu hinterfragen und die notwendigen Konsequenzen und Maßnahmen zu ziehen.“

„Nicht meine Aufgabe“

Was die weitere Vorgangsweise betrifft, werde er nun zügig weitere Gespräche mit den politisch Verantwortlichen führen. Danach befragt, stellte Van der Bellen die Möglichkeit einer Neuwahl infrage – eine Entscheidung darüber sein zudem nicht seine, sondern Aufgabe des Parlaments. Gefordert sieht Van der Bellen die jetzige Regierung. Diese müsse sich bei der Aufarbeitung überlegen, mit welchen Maßnahmen die im Raum stehenden Vorwürfe von Haus aus verhindert werden können.

Van der Bellen fordert hier Tempo ein, „denn die großen Herausforderungen unserer Zeit – Sie wissen es – mit dem fürchterlichen Krieg in der Ukraine, der notwendigen raschen Umstellung unserer Energieversorgung und der Abfederung der Teuerung“ würden die volle Aufmerksamkeit der Regierenden erfordern. Hier brauche es „die Zusammenarbeit aller Ebenen und – das ist sicher die größte Herausforderung – und eben das Vertrauen der Bevölkerung“.

Nehammer will Mahnung ernst nehmen

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) sagte in der Nacht auf Freitag am Rande des EU-Gipfels in Brüssel, dass er Van der Bellens Worte „sehr ernst“ nehme, bezeichnete aber zugleich Teuerung und Inflation als „die echten Probleme der Menschen“. Transparenz sei der ÖVP wichtig, versicherte er.

„Ja, ich nehme die Worte des Bundespräsidenten sehr ernst“, sagte der ÖVP-Chef vor österreichischen Journalisten auf entsprechende Fragen. „Volle Aufklärung und Transparenz sind wichtig“, betonte er mit Blick auf die Korruptionsaffäre um führende ehemalige und jetzige ÖVP-Politiker.

Innerhalb der ÖVP habe man „schon vor längerer Zeit“ damit begonnen, „dafür zu sorgen, dass wir schneller und leichter Transparenz walten lassen können“, sagte Nehammer. Er verwies zugleich auf die Schaffung gesetzlicher Rahmenbedingungen für mehr Transparenz und nannte konkret Medien- und Parteienfinanzierung.

Politbeben nach Schmid-Protokollen

Wie am Dienstag bekanntwurde, hat der ehemalige Chef der Österreichischen Beteiligungs AG (ÖBAG) und Generalsekretär im Finanzministerium, Thomas Schmid, Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP), zahlreiche weitere Weggefährten aus Politik und Wirtschaft und sich selbst in mehreren Punkten schwer belastet. Die Vorwürfe beziehen sich auf bereits bekannte, aber auch auf neue Verdachtsmomente.

Nach bisherigem Kenntnisstand hat Schmid in 15 Einvernahmetagen gegenüber der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) ein umfassendes Geständnis abgelegt, er möchte Kronzeugenstatus erlangen.

Ex-Kanzler Kurz kündigte in Reaktion auf die von Schmid gegen ihn erhobenen Vorwürfe juristische Schritte an. Auch Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) – gegen den es unter anderen auch belastende Schmid-Aussagen gibt – wies die Vorwürfe zurück, er lehnt einen von der Opposition geforderten Rücktritt weiter ab. Für alle Genannten gilt die Unschuldsvermutung.