Europagebäude in Brüssel
IMAGO/Werner Lerooy
EU-Gipfel

Grundlegende Einigung in Energiestreit

Auf dem Gipfel der EU-Staats- und -Regierungschefs in Brüssel ist in der Nacht auf Freitag eine grundlegende Einigung in der Debatte über hohe Energiepreise verkündet worden. Die EU-Staaten wollen den Energieverbrauch reduzieren, die Versorgungssicherheit garantieren und die Preise für Haushalte und Unternehmen senken, heißt es in der Abschlusserklärung. Ein Gaspreisdeckel soll entwickelt werden, Details müssen aber erst erarbeitet werden.

Ratspräsident Charles Michel verkündete in der Nacht auf Twitter die Einigung beim Energiethema. „Einigkeit und Solidarität setzen sich durch“, schrieb Michel auf Twitter. „Es wurde vereinbart, an Maßnahmen zur Eindämmung der Energiepreise für Haushalte und Unternehmen zu arbeiten.“

Michel sagte bei einer anschließenden Pressekonferenz, es sei „eine Liste von Maßnahmen erarbeitet worden, an denen weitergearbeitet werden" solle“. Einig sei man beim gemeinsamen Einkauf von Gas und dem Teilen von Gasbeständen. Zwei verschiedene Arten von Preisobergrenzen sollen unterdessen geprüft werden.

„Dynamischer Preiskorridor“

„Wir werden einen Marktkorrekturmechanismus einführen, um Episoden überhöhter Gaspreise zu begrenzen“, so Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. In der Abschlusserklärung des Gipfels ist konkret von einem „vorübergehenden dynamischen Preiskorridor“ für den Handel mit Gas die Rede. Dieser dürfe allerdings nicht die Versorgungssicherheit gefährden.

Die EU verfüge nun über einen „sehr guten und soliden Fahrplan“ in der Energiekrise, so die Kommissionspräsidentin. „Die Staats- und Regierungschefs haben die von uns gewünschte strategische Orientierung gegeben“, sagte sie.

Nehammer: „Rat mit guten Nachrichten“

„Es ist tatsächlich ein Rat mit guten Nachrichten“, so Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) nach dem Treffen. Ein Gaspreisdeckel nach iberischem Vorbild, also eine Preisobergrenze für Gas, das zur Erzeugung von Strom genutzt wird, soll von der EU-Kommission weiterentwickelt werden, so Nehammer. Dieses Modell wird auch von Österreich bevorzugt. Die EU erwähnt in ihrer Abschlusserklärung eine Kosten-Nutzen-Analyse, die durchgeführt werden soll.

Ebenso „erfreulich“ sei die Einigung auf einen gemeinsamen Gaseinkauf. Dieser solle nun „tatsächlich umgesetzt werden“, so Nehammer. Darüber hinaus soll zur Unterstützung finanzschwacher Länder in der Energiekrise auf bestehende Fonds zurückgegriffen und keine neuen Geldtöpfe gefüllt werden.

EU einigt sich auf Energieplan

Die EU-Staats- und -Regierungschefinnen und -chefs haben sich auf Strategien verständigt, um die hohen Energiepreise einzubremsen. Gas soll für die Stromerzeugung gedeckelt werden, damit auch Strom generell günstiger wird.

Scholz: Eventuell neuer Gipfel nötig

„Wichtig ist, dass wir geklärt haben, dass wir hier Prinzipien verfolgen für das, was uns wichtig ist“, fasste Deutschlands Kanzler Olaf Scholz den ersten Gipfeltag zusammen. Er hoffe auf eine „einvernehmliche Entscheidung“ der Energieministerinnen und -minister bei ihrem Treffen kommende Woche – sonst könnte das Thema erneut bei den Staats- und -Regierungschefs landen, so Scholz.

Deutschlands Olaf Scholz in Brüssel
Reuters/Piroschka Van De Wouw
Deutschlands Kanzler Scholz zeigte sich mit der Einigung zufrieden

Der französische Präsident Emmanuel Macron äußerte sich ebenfalls zufrieden über die Einigung: „In meinen Augen sind die Ziele dieses Gipfels erreicht“, sagte er nach den mehr als elfstündigen Beratungen. Frankreich hatte sich zusammen mit der Mehrheit der Länder für einen europäischen Gaspreisdeckel gegen die stark gestiegenen Preise eingesetzt. Nach Macrons Einschätzung könnte die EU bereits „Ende Oktober oder Anfang November Mechanismen haben, die umgesetzt werden können“.

Schon im Vorfeld des Gipfels waren viele Augen auf Deutschland und Frankreich gerichtet – das Verhältnis zwischen den beiden Ländern galt als angespannt. Doch unmittelbar vor dem Treffen der EU-Staaten gab es ein bilaterales Gespräch zwischen Scholz und Macron. Erst diese Woche wurde ein Treffen der Ministerinnen und Minister der beiden Länder abgesagt – nun reist aber immerhin Scholz nächste Woche zu Macron. Auch hier wird wohl über das Energiethema diskutiert werden.

„Hauptsache, wir haben eine Einigung“

Der belgische Ministerpräsident Alexander De Croo nannte die nächtliche Entscheidung „einen großen Schritt nach vorn“. Es habe keine Blockaden gegeben, sondern lediglich berechtigte Bedenken, sagte De Croo mit Blick auf die Deckelung der Gaspreise. „Hauptsache, wir haben eine Einigung“, sagte der luxemburgische Ministerpräsident Xavier Bettel. Jetzt liege es in der Hand der Energieminister, die technischen Lösungen zu finden.

Orban: Ausnahme für Ungarn

Einmal mehr dürfte es eine Ausnahme für Ungarn geben. Von einer solchen sprach Ministerpräsident Viktor Orban am Tag danach – sein Land soll eine eigene Regelung für einen etwaigen Gaspreisdeckel ausgehandelt haben. Ein solcher Deckel würde bei langfristigen Vereinbarungen wie dem Liefervertrag Ungarns mit dem russischen Versorger Gasprom über 15 Jahre nicht greifen.

„Wir haben eine Ausnahme bei dem Gaspreisdeckel, sodass die Versorgung Ungarns nicht gefährdet ist“, so Orban auf Facebook. Selbst wenn es eine gemeinsame Gasbeschaffung in der EU geben sollte, sei Ungarn nicht verpflichtet, sich daran zu beteiligen.

Einigung bei „Midcat“-Pipeline

Unmittelbar vor Gipfelbeginn gab es unterdessen neue Entwicklungen bei einem anderen Thema, das West- und Mitteleuropa beschäftigt – und auch das Verhältnis zwischen Paris und Berlin belastet: Spanien, Frankreich und Portugal einigten sich auf einen Ersatz für die „Midcat“-Pipeline. Es solle einen „grünen Korridor“ zwischen Barcelona und Marseille geben, sagte Spaniens Ministerpräsident Pedro Sanchez vor der Presse. Die Verbindung werde unter Wasser sein – und nicht wie „Midcat“ über die Pyrenäen verlaufen.

Zahlreiche Gipfelthemen am Freitag

Nach dem großen Themenkomplex Energie warteten am Freitag weitere Schwerpunkte wie der Ukraine-Krieg und die Lage im Iran. Der Gipfel will die wahllosen russischen Raketen- und Drohnenangriffe auf Zivilisten, zivile Objekte und Infrastruktur in Kiew und in der Ukraine verurteilen. Eine strategische Diskussion zu China ist auch vorgesehen.

Für Rätsel sorgte unterdessen ein „Politico“-Bericht, wonach während des Gipfels der ungarische EU-Botschafter entlassen wurde. Es soll sich um Gabor Baranyai handeln, der sich mit Energie- und Umweltfragen befasst. „Politico“ beruft sich auf ungarische und EU-Diplomaten. Der Zeitpunkt der Entlassung gilt als äußerst ungewöhnlich.