„Russland bereitet eine menschengemachte Katastrophe vor“, sagte Selenskyjs Berater Mychailo Podoljak. Russland vermine den Damm und Transformatoren des Kraftwerks, um einen Dammbruch und eine Flutwelle zu verursachen. Das Ziel sei, den ukrainischen Vormarsch zu stoppen.
In einer Videoansprache sagte Selenskyj, eine Unterbrechung der Wasserversorgung in der Südukraine würde auch das Kühlsystem des Atomkraftwerks Saporischschja beeinträchtigen. Im Falle einer Zerstörung des Staudamms würde zudem „der Nord-Krim-Kanal einfach verschwinden“, der die 2014 von Russland annektierte Schwarzmeer-Halbinsel Krim mit Wasser versorgt.
Kiew fordert internationale Beobachtermission
Die Ukraine forderte eine internationale Beobachtermission am Staudamm des Wasserkraftwerks: „Wir rufen die UNO, die EU und andere Organisationen auf, eine internationale Beobachtungsmission für Kachowka zu organisieren“, hieß es am Freitag vom ukrainischen Regierungschef Denys Schmyhal. Internationale Experten sowie ukrainisches Personal müssten sich umgehend an Ort und Stelle begeben.
15.000 Menschen aus Cherson gebracht
Der Staudamm des Wasserkraftwerks Kachowka liegt am Fluss Dnipro in der Region Cherson, die derzeit teilweise von russischen Truppen kontrolliert wird und von Moskau annektiert wurde. Angesichts der vorrückenden ukrainischen Truppen hatte die Besatzungsverwaltung am Mittwoch mit ihrem Rückzug aus der Stadt Cherson und der „Evakuierung“ begonnen. Inzwischen seien 15.000 Menschen ans linke Ufer des Dnipro gebracht worden, sagte der Verwaltungsvertreter Kirill Stremousow. Kiew verurteilt das Vorgehen als „Deportation“ von Zivilisten nach Russland.
Nach zahlreichen russischen Angriffen auf die Strominfrastruktur im Land sind die Ukrainer seit Donnerstag zum Stromsparen aufgerufen. Kiews Bürgermeister Witali Klitschko bat die Bewohner der Hauptstadt, zwischen 7.00 und 23.00 Uhr keine größeren Elektrogeräte zu nutzen. Selbst eine kleine Energieeinsparung in jedem Haushalt werde helfen, den Betrieb des ukrainischen Energiesystems zu stabilisieren, sagte er.
Energieinfrastruktur laut Selenskyj ein „Schlachtfeld“
In einer Videoansprache auf dem EU-Gipfel in Brüssel warf Selenskyj Russland vor, die Energieinfrastruktur seines Landes in ein „Schlachtfeld“ verwandelt zu haben. Russland löse dadurch eine neue Flüchtlingswelle in die EU-Länder aus. Moskau verfolge die Absicht, der Ukraine im Herbst und Winter Strom- und Heizprobleme zu bescheren und „so viele Ukrainer wie möglich in Ihre Länder zu schicken“, sagte Selenskyj an die EU-Staaten gerichtet.
Der ukrainische Staatschef forderte die EU-Länder auf, Kiew mit mehr und ausgefeilteren Luftabwehrsystemen auszustatten und Moskau mit weiteren wirtschaftlichen Sanktionen zu belegen. „Wir haben von Deutschland bereits ein sehr effektives IRIS-T-System erhalten“, sagte Selenskyj. „Ich danke dem Herrn Bundeskanzler (Olaf Scholz, Anm.) dafür.“ Die Ukraine brauche aber noch mehr Luftverteidigungs- und Raketenabwehrsysteme, „um einen wirklich zuverlässigen Luftschutzschild zu schaffen“.
USA mit weiteren Vorwürfen an Iran
Die USA warfen unterdessen dem iranischen Militär vor, Russland von der Krim aus bei Drohneneinsätzen gegen die Ukraine unterstützt zu haben. „Unserer Einschätzung nach waren iranische Militärs auf der Krim und haben Russland bei diesen Operationen unterstützt“, sagte der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates der USA, John Kirby, vor Journalisten. Die Iraner würden die Russen ausbilden und technisch unterstützen, während Russen die Drohnen steuerten.
Ukraine: Wichtige Infrastruktur zerstört
Laut ukrainischer Regierung sind durch russische Raketen wichtige Infrastruktureinrichtungen getroffen worden, es gibt immer wieder Stromausfälle. Die Menschen wurden zum Energiesparen aufgerufen.
„Teheran ist jetzt direkt an Ort und Stelle involviert“, sagte Kirby weiter. Teheran liefere Russland zudem Waffen, die „Zivilisten und zivile Infrastruktur in der Ukraine“ träfen. Die USA würden daher weiterhin alle Sanktionen gegen den Waffenhandel Russlands und des Iran durchsetzen.
Wegen der Lieferung iranischer Drohnen an Russland hatte zuletzt auch die EU ihre Sanktionen gegen Teheran verschärft. Die Ukraine hat im vergangenen Monat nach eigenen Angaben mehr als 230 iranische Drohnen über dem Land abgeschossen. Der Kreml bestreitet den Einsatz iranischer Drohnen in der Ukraine.