Ukrainischer Panzer im Osten des landes
APA/AFP/Juan Barreto
Ukraine-Krieg

Russen errichten Panzersperre hinter der Front

Aktuell spielen sich die Kämpfe vor allem im Süden der Ukraine ab. Nun sichern russische Streitkräfte aber auch im Osten die Gebiete und haben eine riesige Panzersperre hochgezogen. Vom aktuellen Frontverlauf ist diese jedoch weit entfernt. Mit neuen Raketenangriffen löste Russland am Samstag in der Ukraine erneut landesweit Luftalarm aus.

Wie neue Satellitenbilder von Maxar Technologies zeigen, haben russische Streitkräfte in der Näher der besetzten Stadt Hirske eine fast zwei Kilometer lange Befestigungsanlage errichtet. Die Festung besteht laut CNN aus vier Reihen von Betonpyramiden und einem dahinter liegenden großen Graben. Weitere Satellitenbilder der Europäischen Weltraumorganisation geben Aufschluss darüber, wie der Grabenaushub durchgeführt wurde.

Am 25. September wurde der erste Graben ausgehoben, der zweite Abschnitt zwischen dem 30. September und dem 5. Oktober. Das russische Medienunternehmen Zvedza TV nannte die Betonpyramidenlinie „Wagner-Linie“, in Anlehnung an die Söldnergruppe Wagner. Es sei eine „zweite Verteidigungslinie“, falls die ukrainischen Soldaten versuchen würden, in das Gebiet einzudringen.

Weit weg von Kampfgebiet

Vom aktuellen Frontverlauf ist diese Panzerabwehranlage jedoch weit entfernt. Hirske befindet sich etwa 25 Kilometer südlich von Lyssytschansk, das unter russischer Kontrolle steht und gut 50 Kilometer östlich von Bachmut, wo derzeit die Front verläuft und die Russen eigentlich angreifen, also in der Vorwärtsbewegung sind. Geht Russland von einem Gebietsverlust aus?

Bereits im September haben die Ukrainer in diesen Gebieten große Geländegewinne verbucht. Die Länge von 1,6 Kilometern der Linie könnte die Ukrainer jedoch dazu bringen, die Anlage einfach zu umfahren. CNN berichtete über eine russische Boulevardzeitung, die eine Karte veröffentlicht hatte, die zeigen soll, dass die Wagner-Gruppe diese „Linie“ weiter ausbauen wolle.

Und zwar so weit, dass sie sich von der russisch-ukrainischen Grenze nach Osten bis Kreminna und dann nach Süden bis Switlodarsk erstrecken soll. CNN schätzt, dass solch eine Linie dann rund 217 Kilometer lang sein werde. Bisher ist auf weiteren Satellitenbildern entlang der möglich geplanten Linie keine weitere Bebauung zu erkennen.

Wieder landesweiter Luftalarm

Am Samstag griff Russland nach ukrainischen Angaben erneut Infrastruktur der Energieversorgung im Westen der Ukraine an. Bei den Raketenangriffen seien mehrere Energieanlagen getroffen worden, meldete der Versorger Ukrenerho. Das Ausmaß der Schäden sei „mit den Folgen der Angriffe vom 10. bis 12. Oktober vergleichbar oder könnte diese sogar noch übertreffen“, so Ukrenerho. In mehreren Regionen wurde von Stromausfällen berichtet. Mit neuen Raketenangriffen wurde landesweit Luftalarm ausgelöst.

Ukrainische Behörden und Medien berichteten über Explosionen in Riwne im Nordwesten des Landes, im Gebiet Kiew, in Odessa und anderen Regionen. Die Luftabwehr sei aktiv, teilten die Behörden in Kiew mit. In sozialen Netzwerken teilten Staatsbeamte Videos, die etwa einen ukrainischen Kampfjet dabei zeigten, wie er eine russische Rakete abgeschossen haben soll.

Der Berater des ukrainischen Präsidentenbüros, Olexij Arestowytsch, sagte, dass fünf auf Kiew gerichtete Raketen abgefangen worden seien. In anderen Teilen des Landes gebe es teils Folgen der Angriffe und durch die abgeschossenen Raketen, sagte er. Details nannte Arestowytsch nicht. Den Abschuss der Raketen in Kiew bestätigte auch Bürgermeister Witali Klitschko. „Der Luftalarm geht weiter. Bleiben Sie in den Schutzbunkern und achten Sie auf Ihre Sicherheit“, sagte er.

Immer wieder kommt es zu größeren Stromausfällen. Die Menschen im ganzen Land sind zum Energiesparen aufgerufen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte gesagt, dass durch die russischen Angriffe inzwischen 40 Prozent der Energieinfrastruktur des Landes zerstört seien.

Russland: Offensive im Osten und Süden abgewehrt

In Russland meldeten staatsnahe Militärblogger den Beschuss der Ukraine durch Bomber vom Typ Tupolew Tu-160. Neun davon seien in der Früh in der Luft gewesen. Sie veröffentlichten auch Videos, die Einschläge russischer Raketen in der Ukraine zeigen sollen. Überprüfbar waren diese Aufnahmen von unabhängiger Seite zunächst nicht. Die kremlnahen Quellen listeten insgesamt zwölf Städte und Regionen auf, die beschossen worden seien, darunter auch das Gebiet Dnipropetrowsk und Lwiw.

In den Regionen Luhansk und Donezk im Osten sowie in Cherson im Süden der Ukraine wehrte Russland nach eigenen Angaben die ukrainische Offensive ab. Russische Streitkräfte hätten den Versuch ukrainischer Einheiten vereitelt, in Cherson die Verteidigungslinie bei den Ortschaften Piatychatky, Suhanowe, Sablukiwka und Beswodne zu durchbrechen.

Die von Russland eingesetzten Behörden forderten am Samstag alle Zivilistinnen und Zivilisten dazu auf, Cherson „sofort“ zu verlassen. Wegen der angespannten Lage an der Front, der erhöhten Gefahr von Bombardierungen der Stadt und der „Bedrohung durch terroristische Anschläge“ müssten alle Zivilisten die Stadt umgehend verlassen und zur linken Seite des Fluss Dnipro übersetzen, sagten die Behörden in Onlinenetzwerken. Die Evakuierungen über den an Cherson grenzenden Fluss sind seit Mittwoch in Gange.

Schwimmende Brücke der Russen über Dnipro

Nach Angaben der Briten hat Russland eine schwimmende Behelfsbrücke über den Dnipro fertiggestellt, um seine Truppen versorgen zu können. Die Brücke diene als Ersatz für die benachbarte zerstörte Antoniwskyj-Brücke, hieß es am Samstag im täglichen Bericht des britischen Verteidigungsministeriums unter Berufung auf Geheimdienstinformationen.

Die Flussüberquerung ist von zentraler Bedeutung für die Versorgung russischer Truppen in Cherson. Die Briten gehen davon aus, dass es das erste Mal seit Jahrzehnten ist, dass Moskau auf eine solche schwimmende Brücke aus Lastkähnen setzt. Solche provisorischen Lösungen seien höchstwahrscheinlich zu Sowjetzeiten für Operationen in Europa vorgesehen gewesen. Moskau nutze sie, um dringend benötigten Nachschub an Material und Logistik über den Fluss zu transportieren. Sollte die Brücke Schaden nehmen, würden die russischen Kräfte sie mutmaßlich zu reparieren versuchen.

Russische Grenzregion meldet Beschuss

Der Gouverneur der russischen Grenzregion Belgorod warf der Ukraine erneut schweren Beschuss des Gebiets vor. Zwei Menschen seien dabei am Samstag in der Grenzstadt Schebekino getötet worden, teilte Wjatscheslaw Gladkow mit. Elf Menschen seien verletzt worden, vier von ihnen schwer.

Gladkows Angaben zufolge wurde bei dem Beschuss auch Energieinfrastruktur getroffen. Details nannte er nicht. Rund 15.000 Menschen seien aber zeitweilig ohne Strom, Heizung und Wasser gewesen. Das Gebiet Belgorod beklagt mit anderen Grenzregionen wie etwa Kursk und Brjansk schon seit Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine immer Feuer von der Gegenseite.