Arbeiter im Lusail Stadion
Reuters/Hamad I Mohammed
Katar ortet „Doppelmoral“

Kritik an Ausbeutung vor WM reißt nicht ab

Kaum einen Monat ist es noch bis zur Fußballweltmeisterschaft in Katar. Der Golfstaat will sich dabei spektakulär in Szene setzen, den Preis dafür zahlen laut Menschenrechtsorganisationen Unterdrückte und Minderheiten. Für die WM seien Tausende Arbeiter in sklavenähnlichen Zuständen ausgebeutet worden. Das Emirat wehrt sich und sieht eine „beispiellose Kampagne“ voller „Verleumdungen und Doppelmoral“.

Acht neue Stadien, endlose Unterhaltungsmöglichkeiten samt Wasserspektakel und Feuerwerk, eine sechs Kilometer lange Fanmeile und Auftritte weltberühmter Stars. Zudem begrüßt das Qatar Philharmonic Orchestra die Fans aus aller Welt. Themenparks, „Fan-Villages“, Beach-Clubs und mehr als 6.000 kulturelle Veranstaltungen sollen die Zeit zwischen den Matches füllen. Sogar eigene Zonen für stark alkoholisierte Fans sind vorgesehen, die dort in Ruhe ausnüchtern sollen. Das reiche Emirat bietet für das Spektakel der Sonderklasse alles auf, was Geld bieten kann.

Für die 64 Spiele wurden bisher rund drei Millionen Karten verkauft. Am 20. November ist Anpfiff im Al-Bait-Stadion in der Küstenstadt al-Chaur. Doch die Kritik im Vorfeld der WM will nicht abreißen, seitdem das sportliche Großereignis 2010 vergeben wurde. Regelmäßig werden immer noch Vorwürfe laut über sklavenartige Ausbeutung der Hunderttausenden Migrantinnen und Migranten, die die WM vorbereiten.

Auch Vorwürfe zu Menschenrechtsverstößen gegen Frauen und Angehörige der LGBTQ-Community gab es von NGOs wie Amnesty International und Human Rights Watch (HRW) wiederholt. Zuletzt warf HRW Katar etwa die Festnahme und Misshandlung Homosexueller sowie „Konversionstherapien“ unter Zwang vor.

Al Bayt Stadion, 2021
AP/Darko Bandic
Al-Bait: Im Stadion der Superlative, das an traditionelle Nomadenzelte erinnern soll, findet das Eröffnungsspiel statt

Opferzahlen zwischen 6.000 und drei

Auch westliche Medien berichteten von unhaltbaren Zuständen und schweren Menschenrechtsverletzungen. Vorigen Monat veröffentlichte der britische „Guardian“ Enthüllungen über den Bau des Al-Bait-Stadions: Von schweren, ungeschützten Arbeiten bei 50 Grad Celsius, Unterbringung in Baracken auf engstem Raum, Knebelverträgen und unerlaubten Gebühren war die Rede, und das bei einem Stundenlohn von rund 1,15 Euro, so die Zeitung.

In einem Bericht im Vorjahr meldete der „Guardian“ zudem, es seien in den Jahren seit Vergabe der WM mehr als 6.000 Arbeitsmigranten aus Indien, Bangladesch, Nepal und Sri Lanka gestorben, viele davon auf den Stadionbaustellen. Dabei berief sich das Blatt auf Analysen von Regierungsdaten der verschiedenen Länder.

Katar widersprach solchen Darstellungen wiederholt. Sie seien undifferenziert und unfair, so der Tenor, zudem seien zahlreiche Reformen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen umgesetzt worden. Am Dienstag ließ das katarische Organisationskomitee wissen, es habe im Laufe der Jahre insgesamt drei Todesfälle bei den Stadionbauarbeiten gegeben. 37 weitere Arbeiter seien gestorben, allerdings nicht während ihrer Tätigkeit auf den Baustellen.

Emir: „Wahre Hintergründe dieser Kampagne“

Bisher beteuerte man, die Kritik werde ernst genommen, so etwa Emir Tamim bin Hamad Al Thani kürzlich gegenüber der französischen Zeitung „Le Point“. „Zum Beispiel wurde uns klar, dass wir ein Problem mit der Arbeit auf Baustellen haben, woraufhin wir in Rekordzeit starke Maßnahmen ergriffen“, sagte er. „Wir haben das Gesetz geändert und bestrafen jeden, der einen Mitarbeiter schlecht behandelt.“

Countdown zum WM-Start

In einem Monat wird die Fußball-WM in Katar eröffnet. Die Vorfreude auf die Spiele ist groß, doch es gibt auch viel Kritik, vor allem wegen der Ausbeutung der Arbeiter.

Am Dienstag waren anderen Töne von Tamim bin Hamad zu vernehmen. Die anhaltende Kritik sei eine „beispiellose Kampagne“, Vergleichbares habe noch kein Gastgeberland erlebt. Anfangs habe sich Katar mit der Kritik in gutem Glauben befasst. Sein Land sei der Meinung gewesen, dass manche Kritikpunkte nützlich waren und dabei halfen, Aspekte zu entwickeln, die entwickelt werden müssen, sagte der Emir.

„Aber uns wurde bald klar, dass die Kampagne weitergeht, sich ausdehnt, Verleumdungen und Doppelmoral einschließt – bis sie einen Grad an Heftigkeit erreichte, der viele leider über die wahren Gründe und Motive hinter dieser Kampagne nachdenken lässt“, sagte er in einer Rede.

Reformen in Theorie und Praxis

Tatsächlich gab es einige Verbesserungen der Arbeitsbedingungen im Emirat, zumindest auf dem Papier. Auch die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) konstatierte Reformen, so könnten etwa die Arbeiter inzwischen das Land verlassen oder den Arbeitsplatz wechseln, ohne dass der Arbeitgeber das verbieten kann. Darüber hinaus habe es bedeutende Entwicklungen in den Bereichen „Mindestlohn, Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz sowie des sozialen Dialogs auf Unternehmensebene“ gegeben, so die ILO.

„Qatar 2022“-Logo in Doha
AP/Darko Bandic
„Katar ist bereit“, so Infantino. Das Emirat bietet auf, was man für Geld kaufen kann.

Die NGOs lassen diese Argumente nicht gelten. Die Reformen gälten in der Theorie, in der Praxis böten Schlupflöcher weiterhin die Möglichkeit, Menschen systematisch auszubeuten. Menschenrechtsorganisationen fordern zudem die Einrichtung von Entschädigungsfonds für die Hinterbliebenen der gestorbenen Arbeiter.

„Beste Weltmeisterschaft aller Zeiten“

Der Weltfußballverband (FIFA) zeigte sich zu Beginn der Debatten „besorgt“, verwies aber auf die Zuständigkeit Katars. Für Todesfälle und Arbeitsbedingungen sei man nicht verantwortlich.

Für den Verband gilt der Erfolg der WM: „Wenn man sich im Land umschaut, die hochmodernen Stadien, die Trainingsplätze, die U-Bahn und die gesamte Infrastruktur, dann ist alles bereit, und jeder ist willkommen“, so FIFA-Präsident Gianni Infantino vor zwei Wochen. „Die Welt ist begeistert. Katar ist bereit. Die Bühne ist bereitet. Gemeinsam werden wir auf und neben dem Spielfeld die beste Weltmeisterschaft aller Zeiten abliefern.“