der neue britische Premierminister Rishi Sunak
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Neuer Premier Sunak

Kahlschlag in Truss-Kabinett

Der neue britische Premierminister Rishi Sunak hat am Dienstag in seiner ersten Rede angekündigt, er wolle die Fehler aus der Amtszeit seiner Vorgängerin Liz Truss korrigieren. Anfangen will der 42-Jährige wohl beim Kabinett: Dort ging am Dienstag ein großer Umbau vonstatten, gehen mussten mehrere Truss- und Boris-Johnson-Unterstützer.

Direkt nach Sunaks Amtsübernahme verloren am Dienstag fast ein Dutzend Minister, Ministerinnen und weitere hochrangige Politiker die Ämter. So reichte etwa der Energieminister und Johnson-Loyalist Jacob Rees-Mogg vor Beginn der Umbildung seinen Rücktritt ein. Als Johnson-Verbündete galten auch Bildungsminister Kit Malthouse und der bisherige konservative Generalsekretär Jake Berry. Auch sie müssen gehen.

Mit Dominic Raab holt Sunak hingegen Johnsons damaligen Stellvertreter zurück in die Regierung. Raab wird erneut Vizepremier und Justizminister. Wie erwartet darf der frisch berufene Finanzminister Jeremy Hunt im Amt bleiben. Hunt werde seine mit Spannung erwartete Finanzstrategie nun erst am 17. November bekanntgeben und nicht am kommenden Montag (31. Oktober), teilte Downing Street am Mittwoch mit. Darauf habe sich Hunt mit dem neuen Premierminister Sunak geeinigt.

Bravermann erste bestätigte Frau im Kabinett

Auch Verteidigungsminister Ben Wallace und Außenminister James Cleverly behalten ihre Posten, ebenso wie Suella Bravermann. Die wegen Regelbruchs geschasste britische Innenministerin ist weniger als eine Woche nach ihrem Rücktritt schon wieder im Amt. Sunak ernannte die rechtskonservative Politikerin am Dienstagnachmittag nach zahlreichen männlichen Kollegen als erste bestätigte Frau im Kabinett.

Braverman aus dem rechten Flügel der Partei steht für einen extrem harten Kurs in der Einwanderungspolitik. Sie war einen Tag vor dem Rücktritt von Sunaks Vorgängerin Truss aus deren Kabinett ausgeschieden, nachdem sie entgegen der ministeriellen Regeln ein offizielles Dokument mit ihrer privaten E-Mail-Adresse weitergeleitet hatte. Die Politikerin verband den wohl erzwungenen Rücktritt mit scharfer Kritik am Kurs der Truss-Regierung.

Penny Mordaunt bleibt als Ministerin für Parlamentsfragen. Beide Frauen hatten sich ebenfalls um das Amt der Premierministerin beworben. Neuer Generalsekretär von Sunaks Konservativer Partei wird Nadhim Zahawi, der sich zuletzt für eine Rückkehr Johnsons in die Downing Street starkgemacht hatte. Die Ernennung gilt als Versuch, das Lager um Johnson einzubinden, dessen Verhältnis zu Sunak als schwer belastet gilt.

„Es wurden Fehler gemacht“

Sunak war am Montag von den Torys zum neuen Vorsitzenden gekürt und am Dienstag von Charles III. mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt worden. Er ist nach dem Rücktritt seiner Vorgängerin Truss nach nur wenigen Wochen im Amt der dritte Premierminister innerhalb von zwei Monaten.

König Charles III begrüßt Rishi Sunak im Buckingham Palace in London
AP/Aaron Chown
König Charles III. beauftragte Sunak am Dienstag offiziell mit der Bildung einer neuen Regierung

„Es wurden Fehler gemacht“, sagte der gerade ernannte Regierungschef in der Downing Street in seiner ersten Ansprache an die Nation mit Blick auf die kurze Amtszeit von Truss. Diese war mit ihrer radikalen Wirtschaftspolitik schnell gescheitert. Er wolle den Schaden beheben, sagte Sunak.

Er versprach seinem Land mehr Stabilität in einer „ernsten Wirtschaftskrise“. Dafür müssten jedoch auch „schwierige Entscheidungen“ getroffen werden, sagte er. Seine Regierung werde Integrität, Professionalität und Verantwortung zeigen, kündigte Sunak nach Monaten des Regierungschaos an.

Bei ihrem letzten Statement als Premierministerin wünschte Truss Sunak Dienstagvormittag viel Erfolg für das Amt. Ihre Steuerpolitik, die zu ihrem Rücktritt geführt hatte, verteidigte Truss: Sie glaube noch immer an Wirtschaftswachstum durch niedrige Steuern. Das Land müsse seine „Brexit-Freiheiten“ ausnutzen, um Dinge anders anzugehen.

Liz Truss und ihre Familie vor der Downing Street Number 10 in London
Reuters/Henry Nicholls
Truss hielt am Dienstag ihre letzte Rede als Premierministerin

Opposition fordert Neuwahl

Sunak ist bereits der dritte Premier innerhalb weniger Monate – angesichts der fehlenden Abstimmung bezweifelt die Opposition sein demokratisches Mandat und fordert eine Neuwahl. Labour-Vizechefin Angela Rayner kritisierte: „Die Torys haben Rishi Sunak zum Premierminister gekrönt, ohne dass er ein einziges Wort darüber gesagt hat, wie er das Land regieren würde, und ohne dass irgendjemand die Möglichkeit hatte abzustimmen.“

Ähnliche Töne kamen von den Liberaldemokraten und der Schottischen Nationalpartei (SNP). Weil die Torys in Umfragen weit abgeschlagen hinter der größten Oppositionspartei Labour liegen, fürchten sie eine vorgezogene Abstimmung.

Johnson gratuliert Sunak

Allerdings gilt Sunak an der Parteibasis als umstritten. Viele Mitglieder werfen ihm vor, mit seinem Rücktritt als Finanzminister Anfang Juli das Aus des skandalumwitterten, aber an der Basis noch immer sehr beliebten Ex-Premiers Johnson ausgelöst zu haben. Johnson selbst gratulierte Sunak am Dienstag zum Amtsantritt.

Analyse: Herausforderungen für Sunak

Der neue britische Premierminister Rishi Sunak wurde am Dienstag von König Charles offiziell mit der Regierungsbildung beauftragt. Die Journalistin Tessa Syszkowitz sprach über die großen Herausforderungen des neuen Premiers.

Auch sein Wohlstand sorgt für Zweifel, ob Sunak wirklich die Alltagsprobleme kennt. Der einstige Investmentbanker gilt als reichster Abgeordneter. Das liegt auch an seiner Ehefrau, die einen Hunderte Millionen Pfund schweren Anteil am indischen IT-Giganten Infosys hält.

Jüngster Premier seit über 200 Jahren

Als Sohn indischer Eingewanderter ist der in Southampton geborene Sunak der erste Premierminister, der einer ethnischen Minderheit in Großbritannien angehört. Vertreter der großen indischstämmigen Gemeinschaft sprachen angesichts der Wahl Sunaks von einem historischen Moment. Insbesondere der Vedic Society Hindu Temple in Southampton feiert seinen Erfolg – mehr dazu in religion.ORF.at .

Der designierte Premierminister Großbritanniens, Rishi Sunak
Reuters/Henry Nicholls
Der frühere Banker wird der erste nicht weiße Premier und der erste gläubige Hindu in der Downing Street 10

Sunak wird auch der jüngste Premierminister seit mehr als 200 Jahren. Zudem wird er bereits sieben Jahre nach seinem Einzug ins Parlament 2015 Premier – so schnell wie kein anderer Politiker der jüngeren britischen Geschichte. Wirtschaftsfachleute bezweifeln, dass Sunak die Finanzen des Landes in den Griff bekommen und gleichzeitig die zahlreichen zerstrittenen Fraktionen der Partei zusammenhalten kann.