EZB-Präsidentin Christine Lagarde
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EZB beschließt Zinserhöhung

Lagarde mit düsterem Konjunkturausblick

Angesichts der Gaskrise und anhaltend hoher Preise zeichnet die Europäische Zentralbank (EZB) einen düsteren Konjunkturausblick. Die wirtschaftliche Aktivität habe sich im dritten Quartal wahrscheinlich klar verlangsamt, so EZB-Chefin Christine Lagarde am Donnerstag auf der Pressekonferenz nach dem Zinsbeschluss in Frankfurt. „Und wir erwarten eine weitere Abschwächung im weiteren Jahresverlauf und zu Beginn des nächsten Jahres.“

Die EZB beschloss am Donnerstag, die Leitzinsen wegen der Inflation erneut stark anzuheben. Sie erhöhte alle drei Sätze um jeweils 0,75 Punkte. Der wichtigste der drei Leitzinssätze, der Hauptrefinanzierungssatz, zu dem sich Banken bei der EZB Geld leihen können, liegt damit bei zwei Prozent.

Die Inflation im Euro-Raum war im September auf die neue Rekordmarke von 9,9 Prozent geklettert. Damit liegt die Teuerung im Währungsraum inzwischen fast fünfmal so hoch wie das Ziel der EZB von zwei Prozent. „Die Inflation ist nach wie vor deutlich zu hoch und wird für längere Zeit über dem Zielwert bleiben“, erklärte Lagarde.

Grafik zur Zinsentwicklung
Grafik: APA/ORF.at

Aus den jüngste Konjunkturdaten geht hervor, dass die Euro-Zone auch wegen der Schwäche ihrer größten Volkswirtschaft Deutschland auf eine Rezession zusteuert. So fiel der Einkaufsmanagerindex für die Privatwirtschaft im Oktober und liegt nun deutlich unter der Wachstumsschwelle von 50 Zählern. Zudem verzeichnete die Industrie den fünften Produktionsrückgang in Folge. Die Branchen Chemie und Kunststoffe sowie Grundstoffe verzeichneten die stärksten Rückgänge, was auf deren hohe Energieabhängigkeit zurückzuführen ist.

Zinserhöhung einstimmig entschieden

Die EZB-Führung beschloss Lagarde zufolge die Zinserhöhung mit großer Einigkeit. „Der EZB-Rat hat einstimmig entschieden, die drei Leitzinsen der EZB um 75 Basispunkte anzuheben“, sagte Lagarde am Donnerstag bei der Pressekonferenz. „Wir hatten unterschiedliche Ansichten auf dem Tisch, eine gründliche Diskussion, aber das Ergebnis unserer Diskussionen war eine einstimmige Entscheidung.“

Lagarde rief die Regierungen der Euro-Zone auf, sich auch weiterhin um einen Abbau ihrer Staatsschulden zu bemühen. Die Regierungen sollten eine Finanzpolitik verfolgen, „die zeigt, dass sie die hohen staatlichen Schulden schrittweise reduzieren wollen“, sagte Lagarde am Donnerstag nach der Sitzung des EZB-Rates in Frankfurt am Main. Sie plädierte gleichzeitig aber auch für Hilfen für die „Schwachen“ – wenn auch „befristet und gezielt“.

Zinswende seit Sommer

Die EZB hatte im Juli – für einige Beobachter und Beobachterinnen viel zu spät – im Kampf gegen die Inflation die Zinswende eingeleitet. Sie hob dabei die Schlüsselsätze – anders als vorher in Aussicht gestellt – um kräftige 0,50 Prozentpunkte an. Der Leitzins lag damit bei 0,50 Prozent. Es war die erste Zinsanhebung seit über elf Jahren.

Seitdem haben sich die Inflationsaussichten weiter verschlechtert. Nach Einschätzung vieler Volkswirte könnte die Inflation im Euro-Raum in den kommenden Monaten mit den unvermindert steigenden Nahrungsmittel- und Energiepreisen sogar auf über zehn Prozent steigen.

Der EZB-Rat werde den künftigen Leitzinspfad an der Entwicklung der Inflations- und Wirtschaftsaussichten ausrichten, kündigte die Notenbank weiter an. „Dabei folgt er dem Ansatz, Zinsschritte von Sitzung zu Sitzung festzulegen“, hieß es in der Mitteilung zum Zinsbeschluss.

Hoffen auf rechtzeitige Teuerungseindämmung

Die Währungshüter wollen unbedingt vermeiden, dass sich die hohe Inflation in den Köpfen der Menschen festsetzt. Das Kalkül: Wenn die Inflationserwartungen aus dem Ruder laufen, wird es für die EZB noch schwieriger, die Teuerung wieder einzudämmen und in Richtung ihrer Zielmarke zu bewegen. Im Vorfeld der Zinssitzung hatten sich bereits viele Währungshüter dafür ausgesprochen, erneut eine ungewöhnlich starke Zinserhöhung von 0,75 Prozentpunkten zu beschließen.

Die EZB kündigte zudem an, die risikolosen Extragewinne der Banken zu begrenzen, die ihnen aufgrund der Zinswende nun im Zusammenhang mit einer früheren Serie zielgerichteter langfristiger Kreditspritzen (TLTRO III) mit supergünstigen Konditionen zufließen.

Diese Extragewinne waren bei der Auflage des Programms so nicht geplant gewesen und waren den Währungshütern zuletzt ein Dorn im Auge – zumal sie dem Straffungskurs zuwiderlaufen und bei den nationalen Euro-Notenbanken für Belastung sorgen. Denn es geht um viele Milliarden Euro. Die EZB kündigte nun an, die Zinssätze für die TLTRO-III-Kreditspritzen mit Wirkung zum 23. November 2022 zu verändern. Zudem will die EZB den Banken zusätzliche Termine für eine freiwillige vorzeitige Rückzahlung der Gelder anbieten.

Ökonomen halten ein deutlich höheres Zinsniveau für notwendig, um die Inflation wirksam zu bekämpfen. Mit höheren Zinsen kann die Notenbank steigenden Teuerungsraten entgegenwirken. Es gibt allerdings auch Sorgen, mit einer zu schnellen Normalisierung der zuvor jahrelang ultralockeren Geldpolitik die Konjunktur zu bremsen, die ohnehin unter Lieferengpässen und den Folgen des Ukraine-Krieges etwa auf den Energiemarkt leidet.

Erste Reaktionen positiv

Die ersten Reaktionen aus der Wirtschaft fielen positiv aus. „Da das primäre Mandat der EZB Preisstabilität ist, war dies heute ein richtiger Schritt, dem vermutlich ein weiterer in diesem Jahr folgen wird“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), Jörg Asmussen.

Aus Sicht von Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer sollte die EZB die Zinsen in den kommenden Monaten weiter entschieden anheben und sich nicht von der anbahnenden Rezession irritieren lassen. „Der Euro-Raum braucht einen EZB-Einlagensatz in der Größenordnung von vier Prozent“, so Krämer. Andernfalls würden die zuletzt enorm gestiegenen Inflationserwartungen der Bürger weiter zulegen und die hohe Inflation sich dauerhaft festsetzen.

EZB hebt Leitzins weiter an

Der europäische Leitzins wird nochmals um 0,75 Prozentpunkte angehoben. Das soll helfen, der Teuerung entgegenzuwirken, macht aber vor allem Immobilienkredite zunehmend schwierig zu finanzieren, vor allem für jene Menschen, die variable Kreditraten gewählt haben. Zu den Auswirkungen der erneuten Zinsanhebung ist der Vorstandsvorsitzende der Raiffeisenlandesbank Oberösterreich, Heinrich Schaller, zu Gast.

Der Vorstandsvorsitzende der Raiffeisenlandesbank Oberösterreich, Heinrich Schaller, meinte in der ZIB2, dass es mit den Zinsschritten der EZB mit großer Wahrscheinlichkeit gelingen werde, die Inflation zu bremsen. „Es wird aber, glaube ich, noch lange dauern“, sagte er. „Man hat leider mit diesen Zinserhöhungen vonseiten der EZB viel zu spät begonnen. Man hat immer geglaubt, dass sich die Inflation nur kurzfristig erhöhen wird.“ Es habe sich aber gezeigt, dass das ein „langjähriger und langwieriger“ Prozess werde. „Jetzt ist man offensichtlich sehr nervös geworden, denn die Höhe dieser Zinsschritte ist schon beachtlich.“