Ephesos

1.400 Jahre alte „Shoppingmall“ entdeckt

In der antiken Metropole Ephesos haben Archäologinnen und Archäologen ein spätantikes Geschäftsviertel freigelegt, in dem Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände verkauft wurden. Die Lokale wurden abrupt zerstört und verlassen. Es ist ein Sensationsfund für die Archäologie. Schon seit über 120 Jahren wird die Geschichte von Ephesos erforscht.

Als die Archäologinnen und Archäologen im Frühsommer 2022 mit ihren Ausgrabungen am Domitiansplatz anfingen, haben sie bereits vermutet, dass sie an dieser Stelle auf ein Geschäftsviertel stoßen würden. Doch was sie nicht erwartet haben, war der gute Erhaltungszustand der Geschäfte und des Inventars.

Dieser gute Erhaltungszustand erlaubt Vorstellungen von Einkaufsszenen vor 1.400 Jahren. Der antike Mensch konnte in diesem Viertel etwa Lampen und christliche Pilgerdevotionalien kaufen sowie Gegenstände in einer Werkstätte reparieren lassen. Nach den Einkäufen konnte er in einer Garküche Speisen und Getränke bestellen. In Amphoren, also Tongefäßen, die man zur Haltbarmachung von Lebensmitteln verwendete, wurden Fischgräten und Obstkerne gefunden. Zahlreiche Tonlampen, Pilgerampullen, Geschirr sowie Werkzeuge weisen auf die Funktion der Räumlichkeiten hin.

Ausgrabung in Ephesos
APA/ÖAW-ÖAI/Niki Gail
Blick von oben auf das antike Geschäftsviertel

Alles stehen und liegen gelassen

Nicht zu vergessen ist das nötige Kleingeld, mit dem die Einkäufe bezahlt werden mussten. Die Archäologinnen und Archäologen haben über 2.000 Kupfermünzen und fünf byzantinische Goldmünzen ausgegraben.

Ephesos – Eine antike Weltstadt

Ephesos gehörte zu den größten Städten der Antike und ist heute ein viel besuchtes Weltkulturerbe in der Türkei. Die neue ORF-Wissenschaftsdokumentation gibt Einblicke in die Geschichte der einstigen antiken Metropole. Ephesos wurde – anders als Rom oder Athen – nie modern überbaut. Die Ruinen sind wertvolle Quellen für die Erforschung des antiken Lebens. Seit über 120 Jahren werden die Ausgrabungen in Ephesos vom Österreichischen Archäologischen Institut geleitet. In der Dokumentation werden die neuesten Funde der Grabungssaison 2022 gezeigt.

Doch es ist nicht nur der gute Erhaltungszustand, der die Ausgrabung so einzigartig macht, sondern auch die Tatsache, dass die Geschäfte abrupt zerstört worden sind. An vielen Stellen kam verbrannte Erde zum Vorschein. Eine Frage, die die Forschenden beschäftigte: Warum sind die Händlerinnen und Händler nach dem Brand nicht zurückgekehrt, um die wertvollen Gegenstände und vor allem das verdiente Geld aus den Lokalen zu holen?

Katze vor Touristen
Viktoria Tatschl/ORF
Ephesos ist eine der ergiebigsten Ausgrabungsstätten für Archäologinnen und Archäologen

Vertrieben und verbrannt

Durch die zahlreichen Münzfunde konnte der Zeitraum der Zerstörung ermittelt werden. Auf den Münzen sind Jahreszahlen und die jeweiligen byzantinischen, oströmischen Kaiser abgebildet. Demzufolge dürfte das Geschäftsviertel vermutlich um 614/615 nach Christus niedergebrannt sein.

In jener Zeit wurden Ephesos und die umliegende Region vermehrt von den persischen Sassaniden angegriffen. Diese wollten das Byzantinische Reich erobern. Ephesos galt als wichtiger Stützpunkt, insbesondere betreffend die Versorgung der Hauptstadt Konstantinopel. Es ist also davon auszugehen, dass die Geschäftslokale im Zuge eines kriegerischen Angriffs durch die Sassaniden zerstört worden sind.

Antike Metropole

Die Archäologin und Grabungsleiterin Sabine Ladstätter sagt: „In Ephesos sind wir in der glücklichen Lage, 9.000 Jahre Menschheitsgeschichte erforschen zu können. Die Spanne reicht von der griechischen zur römischen sowie von der byzantinischen zur seldschukischen Herrschaft.“

Nach der griechischen Herrschaft wurde Ephesos im zweiten Jahrhundert vor Christus in das Römische Reich integriert. Die Stadt erlebte folglich eine große Blütezeit. Der Archäologe Martin Steskal sagt dazu: „Man partizipierte einerseits an den technologischen Entwicklungen, die Rom mit sich brachte. Andererseits war man plötzlich in einem Handelsnetzwerk verankert, das sich über das ganze Mittelmeer erstreckte.“

Katze vor Touristen
Viktoria Tatschl/ORF
Der reiche Innendekor von Räumen gibt Auskunft über die Wohnkultur in der Antike

Ephesos wurde zur römischen Hauptstadt der Provinz Asia ernannt. In Spitzenzeiten lebten bis zu 250.000 Menschen in der Stadt, die schon von Zeitgenossen als „Metropolis Asiae“ bezeichnet wurde.

Antike Architektur und Tourismus

Diese Blütezeit schlug sich in der Architektur nieder. Zu den berühmtesten Monumenten gehört die Celsus-Bibliothek. Ihre Fassade wurde in den 1970er Jahren wiedererrichtet. Seitdem ist sie eine Attraktion für viele Touristinnen und Touristen. Wer in sozialen Netzwerken via Hashtag nach Ephesos sucht, wird auf unzählige Selfies vor der Bibliotheksfassade stoßen. Jährlich besuchen rund zwei Millionen Menschen aus aller Welt die antike Ruinenstadt in der Türkei.

Auch das große Theater von Ephesos ist weltbekannt. Bis zu 20.000 Menschen konnten darin einst Platz nehmen und sich beispielsweise Gladiatorenkämpfe ansehen. Eine weitere Besonderheit ist das Hanghaus, ein Wohngebäude, in dem städtische Eliten lebten. Das Hanghaus gilt als eindrucksvolle Quelle für die römische Wohnkultur. In den Räumen befinden sich zahlreiche Wandmalereien, die den jeweiligen zeitgenössischen Geschmack der Hausbesitzer bis heute widerspiegeln.

Seit über 120 Jahren österreichische Grabungsleitung

Die Ausgrabungen in Ephesos werden vom Österreichischen Archäologischen Institut, das zur Österreichischen Akademie der Wissenschaften gehört, geleitet. Es ist das größte Forschungsunternehmen Österreichs im Ausland.

Die Forschungsgeschichte geht bis ins 19. Jahrhundert zurück. Der deutsche Archäologe Otto Benndorf, der an der Universität Wien lehrte, erhielt 1895 den Auftrag, nach Monumenten in Ephesos zu suchen. Die k. u. k. Monarchie trat spät, aber doch in den prestigeträchtigen Wettkampf der europäischen Großmächte ein, den Mittelmeer-Raum archäologisch zu erforschen. Im Ephesos-Museum in Wien werden Fundstücke und Monumente der ersten zehn Grabungsjahre ausgestellt. Seit 1907 müssen alle Funde per Gesetz in der Türkei bleiben.

Katze vor Touristen
Viktoria Tatschl/ORF
Nicht zuletzt österreichische Archäologinnen und Archäologen sind in Ephesos aktiv

Bis heute werden die Ausgrabungen von Österreich aus geleitet und größtenteils finanziert. Dazu kommen private Sponsoren im In- und Ausland. Das Forschungsteam an Ort und Stelle ist international und interdisziplinär aufgestellt. Heuer waren 217 Forschende aus sieben verschiedenen Ländern in Ephesos tätig.

Von der Großstadt zum Dorf

Die Archäologie beschäftigt sich heute weniger mit den großen Blütezeiten von Ephesos, sondern mit der Transformation der Stadt von der Antike zum Mittelalter, „de facto mit jenen Gründen, warum diese florierende, prosperierende antike Großstadt sich in ein kleines Dorf verwandelte“, so Ladstätter.

Der Reichtum in der römischen Blütezeit blieb nicht folgenlos. Die schonungslose Ausbeutung der Natur, die enorme Abholzung des Hinterlandes und vor allem die Verlandung des Hafens führte im sechsten und siebenten Jahrhundert zu einem Wohlstandsverlust.

Dazu kamen kriegerische Auseinandersetzungen. Nachdem die muslimischen Seldschuken die Region im 14. Jahrhundert erobert hatten, verlor Ephesos endgültig an Bedeutung. Die Seldschuken gründeten drei Kilometer entfernt eine neue Stadt, die heute Selcuk heißt. Dass Ephesos infolgedessen nie modern überbaut wurde wie etwa Rom oder Athen, ermöglicht heute beste Voraussetzungen für die archäologische Forschung. Der diesjährige Sensationsfund der spätantiken Geschäftslokale macht das abermals deutlich.