Gräber am Wiener Zentralfriedhof
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Leere Grabstellen

Friedhöfe im Umbruch

Allerheiligen und Allerseelen sind für viele die Zeit für Friedhofsbesuche – oder waren es zumindest einmal. Denn die Gedenkkultur ist schon lange im Umbruch. Das offenbart sich auch bei einem Blick auf die Friedhöfe – am deutlichsten vielleicht auf dem Wiener Zentralfriedhof. Aufgegebene und verfallende Grabstellen sind dort mehr als augenfällig.

Auch auf einigen anderen Wiener Friedhöfen sieht man, wenn auch deutlich weniger offensichtlich, Lücken und bevorstehende Lücken: Kleber auf den Grabsteinen sollen auf das Ablaufen des Nutzungsrechts hinweisen. Auch auf bauliche Mängel wird hingewiesen, wenn nicht sogar der Grabstein schon vom Sockel gehoben wurde.

Eine Zählung, wie viele „aktive“ Gräber es auf den Wiener Friedhöfen gibt, scheint aber schwierig. Die offizielle Statistik der Stadt Wien weist kaum erklärbare Sprünge auf, die wohl auf unterschiedliche Zählweisen und Definitionen zurückzuführen seien – etwa ob Gräber, die auf Friedhofsdauer vereinbart wurden, mitgezählt werden, so Julia Stering, Sprecherin der Friedhöfe Wien.

Ein Grabstein am Simmeringer Friedhof
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Mit Aufklebern wird auf abgelaufene Benützungsrechte hingewiesen

Friedhöfe nicht mehr exklusive Gedenkorte

Dort rechnet man derzeit mit rund 500.000 Gräbern auf den 46 Friedhöfen der Stadt – ohne die neun weiteren konfessionellen Friedhöfe in Wien. Diese Zahl habe sich in den vergangenen Jahren kaum verändert, so Stering. Allerdings: Vor rund 30 Jahren waren es laut Statistik der Stadt noch gut um die Hälfte mehr.

Ob sich der Friedhof als Gedenkort und die Gedenk- und Trauerkultur insgesamt im gesellschaftlichen Kontext geändert hat, will Stering nicht mutmaßen: Man betreibe keine Ursachenforschung, dafür wären Studien notwendig. Man bemerke aber, dass Angebote wie das „Digitale Grab“ sehr gut angenommen würden. Mit diesem etwa werden nicht nur Verwaltungswege digital vereinfacht, sondern sie bieten mit der Möglichkeit, Bilder und Texte hochzuladen, einen virtuellen Ort für gemeinsames Gedenken und Trauern. Die traditionelle Erinnerungs- und Trauerkultur, zum Friedhof zu kommen und das Grab zu pflegen, könne sich mit der Zeit ändern.

Demografischer Wandel spiegelt sich wider

Ganz neu ist diese Entwicklung nicht. Demografische Entwicklungen wie auch gesellschaftliche Trends würden sich auch in der Entwicklung der Friedhöfe widerspiegeln, so Stering. Früher hätten Familien mitunter mehrere Familiengräber gehabt, doch Familien werden kleiner, die Mobilität größer: Menschen würden nicht mehr unbedingt dort wohnen, wo die Familie begraben sei.

Und bei Bestattungen gebe es den verstärkten Wunsch nach Naturnähe und Individualität. Zusammen mit einer steigenden Anzahl an Feuerbestattungen sind die Lücken in den traditionellen Gräberreihen wohl zum Teil einer Verschiebung zu anderen Grabformen geschuldet.

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Gräber am Wiener Zentralfriedhof
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In einigen Gruppen des Wiener Zentralfriedhofs häufen sich aufgelassene Gräber
Gräber am Wiener Zentralfriedhof
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Sind die Benützungsberechtigten ebenfalls verstorben, wird mit Aufklebern versucht, noch Angehörige zu erreichen
Gräber am Wiener Zentralfriedhof
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Die Häufung von umgelegten Grabsteinen hat auch mit neuen Sicherheitsstandards zu tun
Gräber am Wiener Zentralfriedhof
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Auch über bauliche Mängel wird per Aufkleber informiert
Gräber am Wiener Zentralfriedhof
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Neben noch intakten Gräbern werden die grünen Lücken derzeit immer größer
Gräber am Wiener Zentralfriedhof
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Einige Grabstellen werden sehr offensichtlich nicht mehr gepflegt
Gräber am Wiener Zentralfriedhof
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Und immer wieder sieht man Gräber, die von der Natur „erobert“ wurden
Gräber am Wiener Zentralfriedhof
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Von vollständigen, dichten Grabreihen keine Spur mehr
Gräber am Wiener Zentralfriedhof
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Noch gepflegte Gräber sind in an manchen Stellen eher als Ausreißer zu sehen
Gräber am Wiener Zentralfriedhof
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Der Friedhof selbst symbolisiert mittlerweile Vergänglichkeit

Zahl der Einäscherungen steigt langsam

Etwas mehr als 30 Prozent aller Bestattungen in Wien seien Einäscherungen, Tendenz steigend, so Stering. In anderen Teilen Österreich liege der Anteil bereits bei 70 Prozent – mit sehr großen lokalen Unterschieden. Auch international ist die Bandbreite gewaltig: In Großbritannien sind es rund drei Viertel Einäscherungen, in Spanien nur rund fünf Prozent.

Einerseits lässt sich das – zumindest international – auf unterschiedliche Begräbnistraditionen und auch zum Teil religiöse Einstellungen zurückführen. In Österreich ist es wohl auch ein Frage der Tradition und „Kultur“, aber vielleicht auch eine des Platzes: Wien habe genug Platz für Erdbestattungen, so Stering.

Friedhöfe als grüne Oasen

Sie verweist aber auf die steigende Tendenz bei naturnahen Bestattungen, wie Wiesen-, Wald und Baumbestattungen. Bisher war das nur bei Feuerbestattungen möglich, rund zehn Prozent aller Einäscherungen fallen dann in diese Kategorie. Eine Grabpflege, wie bei traditionellen Erdgräbern nötig, fällt hier weg – mehr dazu in wien.ORF.at. Auch in Niederösterreich ist der Trend eindeutig zu sehen – mehr dazu in noe.ORF.at.

Neu präsentiert wurde unlängst ein „lebender“ Sarg aus Pilzen. Dieser ermöglicht jetzt Naturbestattungen auch ohne vorherige Verbrennung – mehr dazu in wien.ORF.at. Es würden jedenfalls auf den Wiener Friedhöfen immer mehr Naturgräbergruppen geöffnet. Überhaupt hätten die Wiener Friedhöfe, die immerhin 1,2 Prozent des Stadtgebiets ausmachen, auch eine immer wichtiger werdende ökologische Funktion.

Neue Standards bei Standsicherheit

Allein die Beobachtung einer Mehrung von aufgelassenen, baufälligen oder demnächst im Nutzungsrecht ablaufenden Grabstellen lasse noch keine Rückschlüsse zu, so Stering. Selbst wenn das Nutzungsrecht abgelaufen sei, bleiben Gräber laut der Friedhofssprecherin meist noch einige Zeit bestehen – vor allem wenn die Standsicherheit gegeben ist. Manche Gräber würden auch zur Wiedervergabe vorbereitet, denn im Sinne der Nachhaltigkeit biete man per Suchfunktion auch freie Grabstellen an, bei denen das „Inventar“, etwa der Grabstein oder die Einfassung, erhalten bleiben.

Dass viele Grabsteine aufgrund baulicher Mängel umgekippt bereits auf den Gräbern liegen, erklärt Stering auch mit gehobenen Sicherheitsstandards: „Früher reichte es, wenn die Grabsteine verklebt wurden. Das ist heute nicht mehr Stand der Technik. Heute müssen Grabsteine verzapft werden, damit ihre Standsicherheit garantiert werden kann.“ Wenn keine unmittelbare Gefahr bestehe, würden die Kleber auch oft zwei bis drei Jahre angebracht bleiben, ohne dass sofort etwas unternommen werden müsse. Die Entscheidungen treffen laut Stering die jeweiligen Friedhöfe.

Gräber am Wiener Zentralfriedhof
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Sind Grabstellen noch sicher, bleiben sie trotz baulicher Mängel eine Zeit lang bestehen

Trend unterschiedlich stark ausgeprägt

Stering verweist aber auch auf unterschiedliche Entwicklungen auf einzelnen Wiener Friedhöfen: In Gebieten, wo neue Wohnräume entstehen, steige auch die Nachfrage nach Gräbern: Der Friedhof Aspern etwa wachse.

Die „urbane Anonymität“ auf dem großen Zentralfriedhof ist wohl nicht mit kleinen Gemeindefriedhöfen in den Bundesländern zu vergleichen, wo das Familiengrab einen anderen Stellenwert in der sozialen Gemeinschaft hat. Das sei auch auf kleineren Friedhöfen in Wien zu merken, wo man die „Nachbarn“ eher kenne, so Stering.

Doch der Umbruch macht sich jedenfalls nicht nur in Wien bemerkbar. Auch auf den Kärntner Friedhöfen beobachtet man einen Rückgang der großen Familiengräber – mehr dazu in kaernten.ORF.at.