Dänischer Premierminister Mette Frederiksen
Reuters/David W Cerny
Dänemark wählt

Zwischen „Borgen“ und toten Nerzen

Eigentlich hätte Dänemark erst im kommenden Jahr wählen sollen. Und eigentlich sitzt die sozialdemokratische Regierungschefin Mette Frederiksen trotz einer Minderheitsregierung recht fest im Sattel. Doch am Dienstag wird dennoch neu gewählt. Gestolpert ist die Regierung ausgerechnet über die Keulung von 15 Millionen Zuchtnerzen während der Coronavirus-Pandemie. Mit neuen Parteien bahnt sich nun ein Ränkespiel ab, wie man es aus der TV-Serie „Borgen“ kennt.

In der dänischen Erfolgsserie steht die Politikerin Birgitte Nyborg im Mittelpunkt – ihr Weg zur dänischen Regierungschefin, die kleinen und großen politischen Deals und Fehler – und schließlich auch ihr zweiter Versuch, mit einer neu gegründeten Partei wieder politisch Fuß zu fassen.

Genau das könnte man als Blaupause für Lars Lökke Rasmussen sehen. Von 2009 bis 2011 und von 2015 bis 2019 war er Regierungschef. Im Vorjahr trat er dann nach 40 Jahren aus seiner rechtsliberalen Partei Venstre aus – und gründete die Moderaten, die, Zufall oder nicht, ähnlich heißen wie Nyborgs Moderate Partei in „Borgen“. Auf rund zehn Prozent der Stimmen kann Lökke Rasmussen hoffen. Und damit würde er vermutlich zum Königsmacher.

Moderaten-Politiker Lars Lökke Rasmussen
APA/AFP/Ritzau Scanpix/Martin Sylvest
Ex-Regierungschef Lars Lökke Rasmussen mit neuer Partei auf Erfolgskurs

Politische Blöcke könnten zerrieben werden

Die Wahl ist auch insofern ein Novum, als erstmals die Grenzen der traditionellen Blöcke im Parlament – linksgerichtet (rot) und konservativ-liberal (blau) gesprengt werden könnten. Lökke Rasmussen wollte seine neue „Partei der Mitte“ dezidiert keinem der Blöcke anschließen.

Regierungschefin Frederiksen verkündete zudem im Oktober, sie strebe eine breite Regierung mit Parteien aus beiden traditionellen Blöcken in der politischen Mitte an. „Die Zeit ist gekommen, um eine neue Regierungsform in Dänemark zu probieren“, sagte sie. Auch diese Ansagen erinnern manche an Handlungsstränge in „Borgen“.

Sozialdemokratin mit harter Migrationspolitik

Frederiksen ist mit 44 Jahren eine der jüngsten Regierungschefinnen Europas. Bei der Wahl 2019 hatte sie mit einem harten Migrationskurs der rechtsliberalen Vorgängerregierung das Wasser abgegraben – aber auch für Debatten gesorgt, wie politisch rechts Sozialdemokraten agieren dürften.

Seit damals führt sie Dänemark mit einer ausschließlich aus Sozialdemokraten bestehenden Minderheitsregierung, die zwar von der linken Seite unterstützt wird, die notwendigen Mehrheiten bei Migrationsfragen aber auch aus dem rechten Block holt. Sie lotste ihr Dänemark recht gut durch die Coronavirus-Krise. Dementsprechend hoch sind ihre Vertrauenswerte.

„Nerzskandal“ als Auslöser für vorgezogene Wahl

Auch der Grund für die Neuwahl ist recht filmreif, eingeholt wurde sie von einer Entscheidung im Jahr 2020: Im November dieses Jahres hatte die Regierung die Tötung aller rund 15 Millionen Zuchtnerze im Land angeordnet, um die Verbreitung einer mutierten Form von SARS-CoV-2 zu verhindern. Allerdings fehlte dafür die rechtliche Grundlage, wie später bekannt wurde. Auch, dass die toten Tiere exhumiert werden mussten, fügte sich ins Bild. Die linksliberale Unterstützerpartei Radikale Venstre stellte schließlich ein Ultimatum im „Nerzskandal“ – und Frederiksen antwortete mit Neuwahlen.

Drei neue Parteien

Gleich 14 Parteien ringen um die Mandate, drei mehr als noch 2019. Ein Grund dafür ist die Neigung dänischer Politikerinnen und Politiker, neue Parteien zu gründen, wenn sie sich mit ihrer bisherigen überworfen haben. Diesen Weg ging nicht nur Lökke Rasmussen, sondern auch seine ehemalige Parteikollegin, die Ex-Ausländerministerin Inger Stojberg, die im Sommer die Dänemarkdemokraten gründete. Stojberg war vor rund einem Jahr wegen Amtsvergehens zu einer Gefängisstrafe verurteilt worden, weil sie die Trennung von minderjährigen asylsuchenden Paaren rechtswidrig angeordnet hatte.

Ex-Ministerin Inger Stojberg
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Inger Stojberg schaffte es in die internationalen Schlagzeilen, weil sie für ihre restriktive Asylpolitik verurteilt wurde

Die niedrige Zwei-Prozent-Hürde, um ins Parlament zu kommen, dürfte sie bei weitem überspringen, auch wenn das Migrationsthema im Wahlkampf keine große Rolle spielte. Wählerinnen und Wähler dürfte sie vor allem der rechtspopulistischen Dänischen Volkspartei wegnehmen, einige Mandatare der Partei sind schon zu ihr gewechselt.

Schwierige Suche nach Mehrheiten

Glaubt man den Umfragen, dürften im neuen Parlament zwölf Parteien sitzen – plus je zwei Abgeordnete aus Grönland und den Färöern, die jeweils auch eine eigene Partei vertreten. Die Vielzahl an Parteien kündigt eine turbulente Mehrheitssuche nach der Wahl an. Frederiksens Sozialdemokraten dürften laut Umfragen mit rund 26 Prozent die stärkste Fraktion werden – für eine Mehrheit aus dem linken Block dürfte es aber nicht reichen.

Umgekehrt bleibt abzuwarten, wie sich Lökke Rasmussen verhält. Beobachterinnen und Beobachter rechnen damit, dass er eher mit seiner alten Partei Venstre, die mit 13 bis 14 Prozent zweitstärkste Kraft werden könnte, eine Mehrheit rechts der Mitte suchen wird. Allerdings scheint fast alles möglich: „Wenn Frederiksen aber genug bietet, denke ich, dass Lars Lökke Rasmussen mit ihr zusammenarbeiten könnte“, sagte die Politikwissenschaftlerin Anne Rasmussen von der Universität Kopenhagen gegenüber der APA.

Durchaus wahrscheinlich ist eine neuerliche Minderheitsregierung. Pate dafür könnte aber auch ein anderes als das bisherige dänische Modell sein: In Schweden hat sein Kurzem eine Minderheitsregierung aus Konservativen und Liberalen das Sagen, die für Mehrheiten auf die rechtspopulistischen Schwedendemokraten angewiesen ist.