Der umstrittene israelische Ex-Premier Benjamin Netanjahu
APA/AFP/Ronaldo Schemidt
„Absolute“ in Exit-Polls

Netanjahu greift wieder nach der Macht

Der frühere israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu steht nach der geschlagenen Parlamentswahl vor einem politischen Comeback. Nachwahlbefragungen zufolge hat das Lager um seine Likud-Partei die israelische Parlamentswahl am Dienstag klar gewonnen. Exit Polls stellten für Netanjahu eine „Absolute“ in Aussicht – ob es dafür reicht, bleibt abzuwarten.

Nach Auszählung von knapp über 60 Prozent der abgegebenen Stimmen könnten kleinere Parteien aus dem Lager des liberalen Regierungschefs Jair Lapid an der 3,25-Prozent-Hürde scheitern. Das betrifft die linksliberale Meretz-Partei und die konservativ-islamische Raam-Partei. Auch die arabische Balad-Partei könnte den Einzug ins Parlament knapp verpassen.

Laut Prognosen hat der bisherige rechtskonservative Oppositionsführer Netanjahu gute Chancen auf eine Rückkehr als Regierungschef. Das rechts-religiöse Lager um den 73-Jährigen konnte seinen Vorsprung nach Angaben des Kan-Senders nach bisherigem Stand noch deutlich ausbauen. Sein Lager käme damit auf 69 von 120 Sitzen. Seine Likud-Partei wurde den Angaben zufolge stärkste Kraft mit 33 Parlamentssitzen. Die Zukunftspartei von Lapid kam mit 25 Sitzen an zweiter Stelle.

Auf den dritten Platz schaffte es zum ersten Mal in der Geschichte Israels ein rechtsextremes Bündnis. Die Religiös-Zionistische Partei von Besalel Smotrich und Itamar Ben-Gvir gilt als möglicher Königsmacher für Netanjahu. Wie frühere israelische Wahlen gezeigt haben, könnten jedoch geringfügige Abweichungen bei der offiziellen Stimmauszählung die Aussichten dramatisch verändern. Das vorläufige Endergebnis wird nicht vor Donnerstag erwartet.

ORF-Analyse: Netanjahu vor Comeback

Nach der Parlamentswahl in Israel steht der umstrittene Langzeitpremier Benjamin Netanjahu vor einem Comeback. ORF-Korrespondent Tim Cupal berichtet aus Tel Aviv.

Netanjahu sieht „guten Anfang“

Netanjahu bezeichnete die ersten Ergebnisse als „guten Anfang“. Der endgültige Ausgang der Wahl werde sich jedoch erst nach Auszählung aller Stimmen zeigen, sagte der Vorsitzende der Likud-Partei am Dienstagabend bei einem Treffen mit Anhängern. „Und es muss die echte Auszählung sein, keine falsche Auszählung“, warnte der 73-Jährige. Am Mittwoch zeigte sich Netanjahu siegessicher. Er sei „einem großen Sieg nahe“, sagte er vor Anhängern seiner Likud-Partei. Lapid hingegen gab sich abwartend, noch sei „nichts entschieden“.

Von Likud-Anhängern hatte es zuvor Vorwürfe über angebliche Fälschungsversuche bei der Abstimmung im arabischen Sektor gegeben. Das Zentrale Wahlkommittee teilte dagegen mit, es seien „keine außergewöhnlichen Vorfälle im arabischen Sektor bekannt“.

Umstrittene Partei nun wohl drittstärkste Kraft

Ben-Gvir und sein politischer Partner Besalel Smotrich werden als rechtsextrem eingestuft und gelten als politische Brandstifter, Ersterer will nun Minister für innere Sicherheit werden. Ben-Gvir wurde wegen rassistischer Hetze verurteilt und spricht sich für die Ausweisung von Arabern aus, „die gegen den Staat Israel sind“. Immer wieder wird ihm vorgeworfen, den Konflikt mit den Palästinensern anzuheizen.

Itamar Ben-Gvir
Reuters/Amir Cohen
Ben-Gvir gilt als Scharfmacher von Rechtsaußen und hofft nach der Wahl auf das Amt des Innenministers

Smotrich plant ein radikales Programm, das zu einer deutlichen Schwächung des Justizsystems führen könnte. Er strebt die Streichung der Delikte Untreue und Betrug aus dem Gesetz an – was auch die Aufhebung des Verfahrens gegen Netanjahu bewirken könnte.

Hohe Wahlbeteiligung

Nach Angaben des Zentralen Wahlkomitees lag die Beteiligung der 6,8 Millionen Wahlberechtigten bis 19.00 Uhr (MEZ) bei 66,3 Prozent – die bisher höchste seit 1999. Vorläufige Endergebnisse erwartete das Wahlkomitee nicht vor Donnerstag. Frühere Wahlen haben gezeigt, dass sich das Bild bis zur Auszählung aller Stimmen noch verschieben kann. Nachwahlbefragungen könnten zwar auf einen Trend hindeuten, sagte der Direktor des Forschungszentrums Israel Democracy Institute, Johanan Plesner, der Nachrichtenagentur AFP. Bei früheren Wahlen habe es jedoch Diskrepanzen zu den tatsächlichen Ergebnissen gegeben.

Wenn das amtliche Endergebnis feststeht, bestimmt Präsident Jizchak Herzog, wer den Auftrag zur Regierungsbildung erhält. Der Kandidat hat dann vier Wochen Zeit, eine Koalition zu bilden. Wie nach der Wahl im letzten Jahr könnte es aber Wochen oder Monate dauern, bis eine Regierung steht. Netanjahu hatte damals zuerst den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten, konnte aber keine Koalition schmieden.

Anti-Netanjahu-Regierung hielt nicht lange

Das neun Millionen Einwohner zählende Land am Mittelmeer befindet sich seit Jahren in einer Dauerkrise. Die vergangenen Wahlen hatten oft zu unklaren Mehrheitsverhältnissen geführt. Die aktuelle Achtparteienkoalition unter Ministerpräsident Naftali Bennett war im Juni zerbrochen, nachdem sie nach nur zwölf Monaten ihre Mehrheit verloren hatte. Im Anschluss übernahm Außenminister Lapid den Posten des Regierungschefs. Das äußerst ungewöhnliche Bündnis wurde von Parteien vom rechten bis zum linken Spektrum getragen – auch eine arabische Partei war erstmals in der Regierung.

Der israelische Ministerpräsident Jair Lapid
Reuters/Jack Guez
Lapid bei der Wahl

Zerklüftete Politlandschaft

Der wegen Korruption angeklagte Oppositionsführer Netanjahu will zurück ins Amt des Ministerpräsidenten. Der 73-Jährige war in Israel schon mehrmals Regierungschef, insgesamt mehr als eineinhalb Jahrzehnte. Netanjahu strebt die Bildung einer ultrarechten-religiösen Koalition an, die ihm bei der Verabschiedung von Gesetzen zur Umgehung einer Verurteilung helfen könnte.

Die Parteienlandschaft in Israel ist stark zersplittert und interessengeleitet. Auch Parteien aus ähnlichen Lagern sind oft nicht bündnisfähig. Neben inhaltlichen Differenzen liegt das auch an persönlichen Streitigkeiten.