Bundeskanzler Karl Nehammer
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NR-Sondersitzung zu ÖVP-Affäre

Nehammer „will niemanden schuldig sprechen“

Der Nationalrat ist am Mittwoch auf Wunsch von FPÖ und SPÖ zu einer Sondersitzung zusammengetreten, Anlass sind die jüngsten Entwicklungen in der ÖVP-Korruptionsaffäre. Die SPÖ zitierte einen Tag vor Thomas Schmids Befragung im U-Ausschuss mittels Dringlichen Antrags den aktuellen ÖVP-Chef und Kanzler Karl Nehammer ins Parlament. Während von der Opposition eingebrachte Misstrauens- und Neuwahlanträge abgelehnt wurden, wies Nehammer die Korruptionsvorwürfe gegen sich, die ÖVP und die Regierung zurück. Er wolle "niemanden schuldig sprechen“ – er sei „kein Richter“.

SPÖ-Vizeklubchef Jörg Leichtfried sprach als erster Redner von einer „demokratiepolitischen Krise“ – man sei schon viel zu lang mit einer Regierung konfrontiert, die eine zusätzliche Krise ins Land gebracht habe. Die meisten Menschen in Österreich wüssten, was Anstand bedeute, so Leichtfried. Politische Parteien sollten sich dessen auch im Klaren sein, sagte er in Richtung ÖVP. Das gelte nicht nur fürs Strafrecht, Anstand fange schon früher an.

An Kanzler Nehammer richtete Leichtfried die Frage, ob er nun aufstehen werde und seine Fragen beantworten wolle. Etwa, ob er den Nationalratspräsidenten Wolfgang Sobotka (ÖVP) weiterhin für tragbar halte. Das Motto der Regierung laute „aussitzen, aussitzen, aussitzen“, sie sei nicht in der Lage, mit der Krise und den Problemen „umzugehen“. „Tun Sie diesem Land einmal einen Gefallen und machen Sie den Weg für Neuwahlen frei“, so Leichtfried.

Nehammer: „So bin ich nicht, und so sind wir nicht“

Es sei unmöglich, dass der Eindruck entstehe, dass es sich Multimillionäre richten können, sagte Kanzler Nehammer als Reaktion auf Leichtfrieds Einleitung. „Ich will auch nicht, dass das Land so ein Bild nach außen gibt“, so Nehammer: „So bin ich nicht, und so sind wir nicht.“ Es gäbe „bei uns keine Sonderbehandlung für Eliten, Korruption habe in Österreich keinen Platz“. Wenn es solche Vorgänge gegeben habe, „dann verurteile ich sie aufs Schärfste“, so Nehammer.

Wenn überhaupt, so die Sicht des Kanzlers, wäre so etwas unter seinen Vorgängern passiert. Doch schuldig wolle er niemanden sprechen, so Nehammer, er sei „kein Richter“. Es gibt nur eine Instanz, die über Schuld oder Unschuld entscheide, das seien die unabhängigen Gerichte. Alles andere wäre aus Nehammers Sicht eine Vorverurteilung und damit eine Aushebelung des Rechtsstaates.

Bundeskanzler Karl Nehammer
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Nehammer wies Korruptionsvorwürfe gegen sich, die ÖVP und die Bundesregierung zurück

Generell tue es ihm leid und es sei „miserabel“, dass nach außen der Eindruck entstehe, dass die Politik nur mit sich selbst beschäftigt sei, so Nehammer. Während die Krise und anderswo Krieg herrschen, debattiere man hier über Neuwahlen. Dafür entschuldige er sich, „es tut mir leid“, sagte der Kanzler, der die Leute „auf diesem schwierigen Weg begleiten“ wolle, wie er sagte. Die Regierung sei in der Lage, wichtige Entscheidungen zu treffen. Man sei für die Dauer der Legislaturperiode gewählt, unterstrich er und erteilte dem „Gutdünken der Opposition“ eine Absage.

Rendi-Wagner: „Machen Sie den Weg frei“

SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner sagte, es brauche eine Regierung, die das Vertrauen der Bevölkerung habe. Die letzten Wochen hätten gezeigt, dass die Regierung „weder Plan noch Strategie habe“, so Rendi-Wagner. „Die Probleme der ÖVP sind zu den Problemen des Landes geworden – mit Duldung der Grünen“, so Rendi-Wagner. Sie sprach von „einer noch nie da gewesenen politischen Schamlosigkeit“ und „Unanständigkeit“. In Richtung ÖVP sagte sie: „Machen Sie den Weg (für Neuwahlen, Anm.) frei.“ Und weiter: „Klammern Sie sich nicht länger an Ihre Regierungsfunktionen!“

Pamela Rendi-Wagner (SPÖ)
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Rendi-Wagner: „Die Probleme der ÖVP sind zu den Problemen des ganzen Landes geworden – mit Duldung der Grünen“

ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker sagte ähnlich wie Nehammer zuvor, dass die Justiz den Sachverhalt ermitteln solle und das Ergebnis dann strafrechtlich und politisch zu beurteilen sei. Ein Vernehmungsprotokoll (jenes von Ex-ÖBAG-Chef Thomas Schmid, Anm.) sei auch nicht Grundlage für eine moralische Bewertung, so Stocker. Man erlebe die Diskreditierung von Leuten, die sich nichts zuschulden kommen haben lassen, dazu gehöre auch Sobotka. Auch stehe man „hinter Klubobmann August Wöginger“.

Kickl: Nehammer „hat es vergeigt“

Anders freilich FPÖ-Chef Herbert Kickl, der den Kanzler gleich direkt ansprach: Er habe heute die Möglichkeit gehabt zu erklären, wie er die ÖVP erneuern wolle. Doch habe er, Nehammer, „es vergeigt“, so Kickl. Er ortete „abputzen, ablenken und eine unglaubliche Wehleidigkeit“. Nehammer betreibe „Realitätsverweigerung“, die ihn „an die Spätphase von Ceausescu (Nicolae, ehemals Diktator der Sozialistischen Republik Rumänien, Anm.)“ erinnere.

Herbert Kickl (FPÖ)
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Kickl in Richtung ÖVP: „Abputzen, ablenken und eine unglaubliche Wehleidigkeit“

Kickl erinnerte Nehammer an den Verhaltenskodex der ÖVP und dass darin betont werde, dass die Pflichtenethik über die Rechtsordnung hinausgehe. „Sie nehmen sich ja selber moralisch nicht mehr ernst“, stellte Kickl fest. Für den von Schmid belasteten Nationalratspräsidenten Sobotka, der hinter ihm den Vorsitz führte, zog Kickl außerdem eine Rote Karte aus dem Sakko.

Maurer zu ÖVP: „In eigenen Reihen für Ordnung sorgen“

Die Klubobfrau der Grünen, Sigrid Maurer, sagte, es sei „unerträglich“, dass der Eindruck entstehe, dass man es sich in Österreich richten könne. Auch wenn die ÖVP in den eigenen Reihen für Ordnung sorgen müsse, sei das alles durch die „bsoffene Gschicht in Ibiza“ entstanden, so Maurer. Der Bundespräsident fordere „völlig zu Recht eine Generalsanierung“, die Grüne wollten das ernst nehmen, so Maurer – etwa mittels Gesetzen, die bereits in Begutachtung seien und an deren Entstehung die Grünen mitgearbeitet hätten.

Meinl-Reisinger: „ÖVP ist vielleicht Korruptionsproblem“

NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger sagte, sie habe seit Jahren das Gefühl, dass sich alles im Kreis drehe. Von 22 Sondersitzungen habe sich ein Drittel um Korruption gedreht. Dreieinhalb Jahre nach „So sind wir nicht“ (damals Bundespräsident Alexander Van der Bellen anlässlich des „Ibiza-Videos“) seien viele der Meinung, es seien in der Politik „alle so“ – die ÖVP reiße auch alle anderen mit in den Abgrund. Der Wahlsieg der ÖVP sei „getürkt und erkauft“, forderte auch Meinl-Reisinger einmal mehr Neuwahlen. „Die ÖVP hat ein Korruptionsproblem und ist vielleicht ein Korruptionsproblem.“

Anträge der Opposition abgelehnt

Der Dringliche Antrag der SPÖ fand schließlich nur die Zustimmung von SPÖ und NEOS und wurde damit abgelehnt. In der Minderheit blieben auch weitere Anträge von SPÖ und NEOS zur Korruptionsbekämpfung. Mit ihrem Misstrauensantrag gegen die gesamte Bundesregierung und einem weiteren Antrag zur Parteienfinanzierung blieben die Freiheitlichen allein.

Auch mit dem Wunsch nach umgehender Fristsetzung ihres bereits im Juli eingebrachten Neuwahlantrags konnten sich die Freiheitlichen nicht durchsetzen. Von der SPÖ kam ebenfalls ein Antrag zur vorzeitigen Beendigung der Gesetzgebungsperiode, er wurde zu Sitzungsende dem Verfassungsausschuss zugewiesen.

Wolfgang Sobotka (ÖVP)
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Schmid erhob auch Vorwürfe gegen Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka – dieser wehrt sich vehement

Unklarheit um Erwin-Pröll-Stiftung

Schmid hatte in seiner Einvernahme durch die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) ausgesagt, dass Sobotka Steuerprüfungen bei der Alois-Mock-Stiftung oder beim Alois-Mock-Institut sowie bei der Erwin-Pröll-Stiftung erfolgreich verhindert habe. Der Nationalratspräsident bestreitet diesen Vorwurf vehement. Wie Recherchen der ZIB2 des ORF ergaben, gab es 2017 doch eine Steuerprüfung der Erwin-Pröll-Stiftung. Die Deutungshoheit bleibt aber umstritten: NEOS nahm das Bekanntwerden der Steuerprüfung zum Anlass, neuerlich Neuwahlen zu fordern, die ÖVP hingegen sah Schmid widerlegt.

Entlang dieser Linie wird wohl die gesamte Sondersitzung verlaufen: Die ÖVP wird nichts unversucht lassen, Schmid als unglaubwürdig darzustellen – Sobotka selbst hatte Schmid unlängst als „Baron Münchhausen“ bezeichnet. Auch August Wöginger wird dabei eine tragende Rolle spielen, hatte Schmid doch auch gegen den ÖVP-Klubobmann Vorwürfe erhoben. Er soll laut einem Auslieferungsbegehren der WKStA für die Bestellung eines Parteifreundes zum Vorstand eines Finanzamts in Oberösterreich interveniert haben.

Weitere Vernehmungen folgen

Schmid war seit den 2000er Jahren in Büros führender ÖVP-Bundespolitiker, später Generalsekretär im Finanzministerium, dann ÖBAG-Chef. Seine von den Behörden sichergestellten Chats bergen für die ÖVP großes Ungemach. Die WKStA ermittelt in mehreren Fällen, etwa in der Inseraten- und Umfragenaffäre, auch gegen Ex-Kanzler Sebastian Kurz selbst und seine engsten Mitarbeitenden. Für alle Genannten gilt die Unschuldsvermutung.

Mitte Oktober hatte die WKStA bekanntgegeben, dass Schmid bereits im April mit dem Wunsch nach einer Kronzeugenregelung an die Anklagebehörde herangetreten war. Seit Juni fanden 15 ganztägige Vernehmungen statt, zwei weitere sollen kommende Woche folgen.

Schmid im U-Ausschuss: Klage von Justizministerium bei VfGH

Schmids Aussagen bei der WKStA werden auch am Donnerstag im Zentrum der Befragung im ÖVP-U-Ausschuss stehen – seit Tagen wird debattiert zu welchen Themen. Mittwochvormittag reagierte das Justizministerium und brachte eine Klage beim Verfassungsgerichtshof (VfGH) ein, berichtet das Ö1-Mittagsjournal. „Grundsätzlich ist es meine Pflicht als Justizministerin, dafür zu sorgen, dass strafrechtliche Ermittlungen nicht gefährdet werden“, sagte Justizministerin Alma Zadic (Grüne).

Die WKStA befürchtet, dass Ermittlungen behindert und Verdächtige gewarnt werden könnten, wenn Schmid zu Themen befragt werde, zu denen er noch nicht einvernommen wurde. Mit der Klage soll das nun verhindert werden.