Kairo
APA/AFP/Khaled Desouki
Ägypten

Hunderte Festnahmen vor Klimakonferenz

Kurz vor dem Start der umstrittenen UNO-Klimakonferenz COP27 in Ägypten soll es landesweit bereits zu mehr als 300 Festnahmen gekommen sein. Diese dürften im Zusammenhang mit angekündigten Protesten stehen, die das Gastgeberland nicht tolerieren will.

Dutzenden Personen würden die Verbreitung von Falschnachrichten und Missbrauch sozialer Netzwerke sowie die Beteiligung an terroristischen Gruppen vorgeworfen, berichtete die Nachrichtenagentur dpa. Von offizieller Seite gab es keine Bestätigung, allerdings gibt es bereits seit Tagen entsprechende Berichte in lokalen Medien, von Anwälten und Nichtregierungsorganisationen.

Für internationale Aufmerksamkeit sorgte zuletzt die Festnahme des indischen Klimaaktivisten Ajit Rajagopal, der sich auf einem achttägigen Protestmarsch von der Hauptstadt Kairo zum Austragungsort Scharm al-Scheich befunden hatte. Rajagopal war laut einem Bericht des britischen „Guardian“ alleine und mit einem Papierschild unterwegs, auf dem er Klimagerechtigkeit forderte.

Festgenommen wurde er dem Bericht zufolge an einem Checkpoint, weil er die Aktion offenbar nicht angemeldet hatte. Ein Bekannter des Aktivisten soll ebenfalls festgenommen worden sein, beide wurden Stunden später wieder freigelassen. Der Vorfall zeige aber, dass die ägyptische Regierung nicht einmal die einfachsten Protestformen tolerieren wolle, so die NGO Egyptian Commission for Rights and Freedoms (ECRF).

Protest nur in Sonderzonen von 10.00 bis 17.00 Uhr

Öffentliche Klimaproteste der Zivilgesellschaft sollen bei dem am Sonntag startenden Gipfel nur in einer speziell eingerichteten Zone weit vom Tagungsort entfernt erlaubt sein. Doch selbst zu dieser ist der Zutritt nur mit Akkreditierung erlaubt. Zudem soll keine einzige Menschenrechtsorganisation auf der Akkreditierungsliste stehen. Proteste müssen 36 Stunden vorher angemeldet werden und dürfen nur von 10.00 bis 17.00 Uhr stattfinden.

Seit dem „arabischen Frühling“ befindet sich die Zivilgesellschaft unter enormem Druck. Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi ist 2013 nach einem Militärputsch an die Macht gekommen und regiert seitdem mit harter Hand. Eine ernsthafte politische Opposition gibt es nicht. Meinungs- und Pressefreiheit sind stark beschnitten, Demonstrationen de facto verboten.

Tausende in Haft

Menschenrechtler berichten immer wieder von schweren Verstößen, etwa von Folter und außergerichtlichen Tötungen. Die Regierung hat Verbesserungen versprochen und lässt in symbolischen Gesten immer wieder einzelne inhaftierte Bürgerrechtler und Aktivisten frei. Organisationen beschreiben die Zustände in Sachen Menschenrechte aber weiterhin als katastrophal, Tausende befinden sich nach wie vor im Gefängnis.

Unter ihnen ist auch der ägyptisch-britische Blogger Alaa Abd El-Fattah, der seit zehn Jahren inhaftiert ist und sich seit sechs Monaten im Hungerstreik befindet. Er will mit dem Start des Klimagipfels auch die Aufnahme von Wasser verweigern. 15 Nobelpreisträgerinnen und -träger, darunter auch Elfriede Jelinek, forderten in einem offenen Brief die Staatsoberhäupter der Welt auf, sich für El-Fattah und Tausende andere zu Unrecht Inhaftierte einzusetzen.

Gipfel unter ungünstigen Vorzeichen

Insgesamt steht der Gipfel in Ägypten unter schlechten Vorzeichen. Für Wirbel sorgte etwa auch, dass mit Coca-Cola einer der weltweit größten Verursacher von Plastikmüll als Sponsor für die Klimakonferenz auftreten soll. Zahlreiche Klimaschutzgruppen übten herbe Kritik an der Organisation. Die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg erteilte dem Gipfel eine Absage. Sie werde nicht teilnehmen, der „Raum für die Zivilgesellschaft ist in diesem Jahr extrem begrenzt“.

Die Vorgänge im Vorfeld der Klimakonferenz haben zuletzt den neuen Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, auf den Plan gerufen. Der Österreicher forderte Ägypten auf, eine angemessene Teilnahme der Zivilgesellschaft am Gipfel zu gewährleisten. Das Recht auf freie Meinungsäußerung müsse respektiert werden, sagte Türk am Mittwoch in Genf.

Handlungsbedarf enorm

Dass die Klimakonferenz nicht wie in den vergangenen vier Jahren in Europa stattfindet, wurde grundsätzlich als Chance gewertet. Immerhin besteht eine große Kluft zwischen jenen Staaten, welche die meisten Emissionen produzieren, und den ärmeren Staaten, die unter den Folgen leiden. Die Frage der Klimagerechtigkeit dürfte zu einem der wichtigsten Themen des Gipfels werden. Ägypten könne hier zur „Brücke zwischen dem Globalen Norden und dem Globalen Süden“ werden, so Ägyptens oberster COP-Verhandler Mohammed Nasr.

Folgen der Erderhitzung nach Grad der Erwärmung
Gregor Aisch/Nature (Raftery et al)

Der Gipfel geht bis zum 18. November. Der Handlungsbedarf ist groß, denn die weltweiten Emissionen klimaschädlicher Treibhausgase müssen Fachleuten zufolge schon bis 2030 um etwa die Hälfte sinken. Anders sei das auf der UNO-Klimakonferenz in Paris 2015 gemeinsam vereinbarte Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit zu begrenzen, nicht zu erreichen. Nach den gegenwärtig vorgelegten Klimaschutzplänen der Staaten würden sie sogar weiter steigen.