Damm in Cherson
APA/AFP/Olga Maltseva
Cherson

Kachowka-Staudamm laut Moskau beschädigt

In der besetzten Region Cherson ist der Kachowka-Staudamm laut russischen Angaben bei einem ukrainischen Angriff beschädigt worden. Die Anlage versorgt vor allem die Krim mit Wasser. Die Ukraine hatte ihrerseits Russland beschuldigt, den Staudamm zerstören zu wollen, um die ukrainische Gegenoffensive mit einer Flutwelle zu stoppen.

Am Sonntagvormittag seien sechs HIMARS-Raketen auf den Staudamm abgefeuert worden, zitierten russische Nachrichtenagenturen örtliche Rettungsdienste. Die Luftabwehr habe fünf Raketen abgeschossen, eine habe aber eine Schleuse des Kachowka-Dammes getroffen, hieß es weiter.

„Alles ist unter Kontrolle“, zitierte die Nachrichtenagentur RIA Nowosti einen lokalen prorussischen Behördenvertreter. Eines der Geschoße sei zwar am Damm eingeschlagen, „hat aber keine kritischen Schäden verursacht“.

Der Staudamm des Wasserkraftwerks Kachowka liegt am Dnipro in der Region Cherson, die derzeit von russischen Truppen kontrolliert wird und von Moskau annektiert wurde. Ein kilometerlanges Absperrbauwerk, das in Teilen aus einer Mauer und einem Damm besteht, staut den Fluss. Die Anlage versorgt vor allem die bereits im Jahr 2014 annektierte Krim-Halbinsel mit Wasser.

Satellitenbild von Damm in Cherson
Reuters/European Union/ Copernicus Sentinel-2 L2a
Der Kachowka-Staudamm (Bild von Oktober): Die russischen Truppen besetzen das Südufer

Russland treibt „Evakuierungen“ voran

In dem Gebiet gibt es heftige Kämpfe. Die russische Armee erwartet, dass die Ukrainer Cherson wieder einnehmen wollen. Nach Angaben der Besatzungsverwaltung wurden knapp 1.000 Zivilisten aus Nowa Kachowka auf die Krim und von dort auf das russische Festland gebracht. Die Zerstörung würde nach Angaben des von Moskau eingesetzten Regionalgouverneurs Wladimir Saldo zu einer „Überflutung des linken Ufers“ des Dnipro führen.

Die Ukraine hatte ihrerseits Russland beschuldigt, den Staudamm zerstören zu wollen. Demnach haben russische Streitkräfte den Staudamm vermint, um mit einer Flutwelle eine ukrainische Gegenoffensive in Cherson zu stoppen.

Kiew befürchtet „Katastrophe großen Ausmaßes“

Mehr als 80 Orte, darunter Cherson, befänden sich bei einer Explosion in der schnellen Überschwemmungszone, warnte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj. Eine Unterbrechung der Wasserversorgung in der Südukraine würde demnach auch das Kühlsystem des Atomkraftwerks Saporischschja beeinträchtigen. Dieses war erst am Samstag wieder ans Stromnetz gegangen.

Sein Staubecken kann 18 Kubikkilometer Wasser fassen – also 18 Billionen Liter. Nach Angaben Kiews wäre ein Dammbruch eine „Katastrophe großen Ausmaßes“. Die ukrainische Regierung hatte eine internationale Beobachtermission am Kachowka-Staudamm gefordert.

Artilleriebeschuss auf Städte

Auch abseits des Staudammes gab es am Sonntag heftigen Beschuss. Laut örtlichen Behörden wurden mehrere Städte im Süden der Ukraine von russischen Truppen mit Artillerie und Raketen beschossen. In Saporischschja sei ein Gebäude der zivilen Infrastruktur zerstört worden, teilte ein Mitarbeiter des Stadtrates mit. Ein Mensch sei getötet, benachbarte Gebäude seien beschädigt worden. Das russische Verteidigungsministerium teilte mit, in Saporischschja sei ein Munitionsdepot der ukrainischen Armee getroffen worden.

Im Gebiet Dnipropetrowsk schlugen demnach Geschoße aus Rohrartillerie und Mehrfachraketenwerfern in der Stadt Nikopol sowie den Orten Myrowe und Marhanez ein. In Myrowe sei ein neunjähriges Mädchen verletzt worden, schrieb der Vorsitzende des Gebietsparlaments, Mykola Lukaschuk, auf Telegram.

Klitschko rechnet mit Blackout

Kiews Bürgermeister Witali Klitschko schließt unterdessen wegen der Schäden am Energiesystem ein Blackout in der ukrainischen Hauptstadt nicht aus. „Wir tun alles, damit es nicht so weit kommt. Aber wir wollen offen sein: Unsere Feinde tun alles dafür, damit diese Stadt ohne Heizung, ohne Strom, ohne Wasserversorgung dasteht – allgemein: dass wir alle sterben“, sagte Klitschko am Samstagabend im ukrainischen Fernsehen. Die Bürgerinnen und Bürger sollten Vorräte für einen solchen Fall anlegen und auch überlegen, zeitweise außerhalb der Stadt unterzukommen, so der Bürgermeister.

Straße in Kiew
AP/Andrew Kravchenko
In Kiew fällt immer wieder der Strom aus. Die Stadt bereitet sich auf dauerhafte Ausfälle vor.

In Kiew lebten derzeit etwa drei Millionen Menschen, darunter 350.000 Binnenflüchtlinge aus anderen Teilen der Ukraine, sagte Klitschko. Bei einem Zusammenbruch des Fernwärmesystems bereite sich die Stadt darauf vor, 1.000 Wärmestuben einzurichten. Die Überlegungen der Verwaltung gingen sogar so weit, die Stadt bei einem Blackout vollständig zu evakuieren, berichtete die Zeitung „New York Times“. Kiew dementierte das später, wie die Nachrichtenagentur Ukrinform meldete.

Bei russischen Raketenangriffen auf die Energieversorgung der Ukraine wurden auch Anlagen in Kiew beschädigt. Die Stadt versucht, das Netz durch gestaffelte Stromabschaltungen zu stabilisieren. Ganze Stadtteile haben stundenweise kein Licht.

Ukraine: Russland zerstört zivile Schiffe

Die ukrainische Armee warf Russland zudem die großangelegte Zerstörung von zivilen Schiffen vor, die am Ufer des Dnipro-Flusses in der südlichen Region Cherson festgemacht sind. Ein Sprecher des ukrainischen Generalstabs teilte mit, dass Treibstoff aus den zerstörten Schiffen austrete.

Außerdem warf er den russischen Streitkräften vor, Motoren und andere Geräte von den Schiffen beschlagnahmt zu haben. Das russische Verteidigungsministerium äußerte sich nicht zu den Anschuldigungen.