ORF-TV-News-Chefredakteur Matthias Schrom
ORF/Thomas Ramstorfer
Chataffäre

ORF-Chefredakteur Schrom tritt Urlaub an

ORF-TV-News-Chefredakteur Matthias Schrom tritt nach einer bekanntgewordenen Chataffäre „ab sofort seinen Urlaub an“. Das teilte der ORF am Montag per Aussendung mit. Seine bisherige Stellvertreterin Eva Karabeg übernimmt interimistisch. ORF-Generaldirektor Roland Weißmann bezeichnete die Optik der Chats als „verheerend“ und ersuchte den ORF-Ethikrat um Prüfung. Schrom selbst sieht „keine glückliche Außenwirkung“.

Die Glaubwürdigkeit der ORF-Nachrichten, so Weißmann weiter, stehe weiterhin außer Zweifel. Denn: „Die ORF-Redakteurinnen und -Redakteure arbeiten weisungsfrei und einzig auf Basis von ORF-Gesetz und Redaktionsstatut. Ihre Berichterstattung war, ist und bleibt unbeeinflussbar, das liegt auch daran, dass die bisherige Amtsführung von Matthias Schrom fachlich unumstritten war.“ Aufgrund der Dringlichkeit sei ihm eine rasche Lösung wichtig, sagte Weißmann gegenüber der ZIB1. Die Glaubwürdigkeit des ORF sei in keiner Sekunde gefährdet gewesen, sagte der Generaldirektor.

In der Auswertung der sichergestellten Chats und Mails von Ex-ÖBAG-Chef Thomas Schmid durch die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) fand sich auch eine Konversation zwischen ORF2-Chefredakteur Schrom und dem damaligen Vizekanzler und FPÖ-Bundesparteiobmann Heinz-Christian Strache.

Auszeit für Chefredakteure von „Presse“ und ORF

Die Chats, die sowohl den Chefredakteur der „Presse“ als auch jenen der Zeit im Bild in Bedrängnis gebracht haben, haben Konsequenzen. Beide Redaktionsleiter ziehen sich vorerst aus ihren Funktionen zurück.

Was in den Chats steht

Am 14. Februar 2019 kurz vor Mitternacht beschwerte sich Strache über die Berichterstattung der ZIB24 und äußerte Personalwünsche, wie der „Standard“ (Onlineausgabe) am Samstag berichtete. „Das ist natürlich unmöglich“, schrieb Schrom zu Straches Kritik an der ZIB24. „Du weißt, ich bin ja nur für ORF2 zuständig. ORF1 (das noch viel linker ist) gehört ja Lisa Totzauer (und Wolfgang Geier).“ Totzauer war zu dieser Zeit Channel-Managerin von ORF1, Geier Chefredakteur.

„Unser Problem ist ja auf gewisse Weise, dass uns (Hofer & mir) finanzielle Ressourcen weggenommen werden und in ORF1 gesteckt werden“, fügte Schrom seiner Nachricht hinzu. Gemeint ist ORF2-Channel-Manager Alexander Hofer. „Also es wird grad mit Gewalt versucht, den maroden Kanal hochzukriegen. Ich wundere mich ja ehrlich schon lange, dass sich darüber, was dort inhaltlich abgeht, keiner aufregt.“ In Hinblick auf ORF2 schrieb Schrom an Strache, es sei „schon bei uns genug zu tun und jeden Tag mühsam, aber langsam wird’s, und die, die glauben, die SPÖ retten zu müssen, werden weniger“.

Job für Mitarbeiterin „heute fixiert“

In derselben nächtlichen Kommunikation berichtete Schrom Strache noch – laut „Standard“ „ungefragt“ – über zwei blaue Personalwünsche. Einen Job für eine Mitarbeiterin habe er „heute fixiert“, so Schrom. Moderator und Schauspieler Clemens Haipl würde dagegen besser zu ORF1 passen, empfahl er: „Ich glaub, dort könnt sich (Norbert, Anm.) Steger von Totzauer auch mal was wünschen – sie will ja immerhin Generalin werden.“ Der ehemalige FPÖ-Politiker Steger war zu diesem Zeitpunkt Vorsitzender des ORF-Stiftungsrates.

Chats belasten ORF- und „Presse“-Chefredakteure

Chatnachrichten zwischen ORF2-Chefredakteur Matthias Schrom und Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache sowie zwischen „Presse“-Chefredakteur Rainer Nowak und Thomas Schmid werfen kein gutes Licht auf das Verhältnis von Medien und Politik. Nowak hat seine Funktionen ruhend gestellt. ORF-Generaldirektor Roland Weißmann begrüßte den Urlaubsantritt von Schrom.

Strache bedankte sich. „Bitte sage es Steger … er soll Clemens bei Totzauer unterkriegen. Soll ich wegen ZIB24 schreiben?“ Schroms Antwort: „Ich denke, Steger sollte das mit ZIB24 schon wissen und mal mit Totzauer/Geier reden. Die sollten schon merken, dass sie auch nicht unter dem Radar sind.“ Und Schrom hatte weiteren Rat: „Als Vizekanzler persönlich würd ich’s Steger geben, du brauchst ja eventuell noch Eskalationsstufen, bevor was auf Chefebene ist.“

„Die sollten merken, dass sie nicht unter dem Radar sind“

Kurz nach Mitternacht wandte sich Strache an Steger, der in seiner Funktion an sich weisungsfrei und unabhängig ist. Die Diktion scheint fast wortgleich aus Schroms Nachricht entnommen. „Ich denke, du solltest das mit der ZIB24 mal mit Totzauer Geier besprechen. Die sollten schon merken, dass sie auch nicht unter dem Radar sind. Die dortigen Berichte sind uns gegenüber nicht schön.“

„Du weißt ja, dass Totzauer bei ÖVP-NÖ extrem hoch im Kurs steht, bei (Medienminister Gernot, Anm.) Blümel auch … sie matcht sich mit Nowak“, so Strache weiter. Die Auswertung der WKStA hatte auch Chats zwischen „Presse“-Herausgeber und -Chefredakteur Rainer Nowak und Schmid ans Licht gebracht. Im Zentrum stehen dabei Politeinfluss und Ambitionen auf die Generaldirektion des ORF.

Schrom: „Keine glückliche Außenwirkung“

In einer Rundmail an die ZIB-Redaktion erklärte Schrom, der im Akt enthaltene „Chatverlauf hat zugegebenermaßen keine glückliche Außenwirkung. Relevant ist aber der Kontext, in dem das verfasst wurde: Diese Unterhaltung hat vor dem Hintergrund massiver Angriffe durch die FPÖ auf den ORF stattgefunden.“

Expertin Kraus zu Chataffäre

„Faktum ist, dass der Intervention von Strache weder inhaltlich noch in Bezug auf personelle Postenbesetzungen entsprochen wurde. Der Redaktion wurde immer der Rücken frei gehalten (was, wie ich denke, auch die Kolleg:innen der ZIB2 und des Investigativteams bestätigen können)“, so Schrom weiter.

Seine Nachricht an Strache erklärte Schrom so: „Es ist letztlich darum gegangen, den Fokus von der ZIB weg und woandershin zu lenken, auf einen Bereich, den andere verantwortet haben. Mit Lisa habe ich das geklärt und mich entschuldigt. Die Aufrechterhaltung einer Gesprächsbasis zu einer Regierungspartei, die dem ORF nicht nur kritisch, sondern ablehnend gegenüberstand, war wichtig – vor allem, da Personalwünschen nie Rechnung getragen wurde.“

„Regelmäßiger Austausch mit Spitzenpolitikern“

„Der regelmäßige Austausch mit Spitzenpolitikern“ gehöre „auch zum Jobprofil“ von Chefredakteuren: „Um eine Gesprächsbasis zu erhalten, habe ich mich als Chefredakteur der Tonalität und Sprache meines Gesprächspartners angepasst – in Kenntnis von dessen Positionen zum ORF. Personalentscheidungen werden im ORF immer im Rahmen von Ausschreibungen getroffen.“

Strache habe an ihn zwei Personalwünsche herangetragen, bestätigte Schrom. „Diesen wurde nicht entsprochen.“ In dieser Funktion habe er „auch keinerlei Einfluss auf die beschriebenen Personalia, was auch zum Ausdruck gebracht wurde“.

Der ORF sei damals speziell von FPÖ-Politikern ausgehend immer wieder der Kritik ausgesetzt gewesen, „‚zu links‘ zu berichten. Teilweise wird man aber auch für Berichterstattung kritisiert, für die man gar nicht zuständig ist. In diesem Kontext ist auch die Argumentation bzw. das aus taktischen bzw. unternehmenspolitischen Gründen geäußerte Verständnis zu sehen“, so Schrom weiter.

ORF-Redaktionsrat „entsetzt“

Der ORF-Redaktionsrat sieht das öffentlich-rechtliche Medienhaus durch die Chatauszüge vor wenigen Tagen „in eine mehr als unangenehme Situation“ gebracht und forderte eine „ordentliche Aufarbeitung“. Angemerkt wurde auch, dass es über die Amtsführung Schroms keine inhaltlichen Beschwerden gebe. „Das Investigativteam fühlt sich frei in der Arbeit und wird weder bei politisch heiklen Beiträgen noch bei Recherchen behindert, die der Regierung nicht passen“, so ORF-Redakteursrat-Vorsitzender Dieter Bornemann.

Am Montag gab es erneut ein Statement des Redaktionsrates: „Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit sind das höchste Gut im Journalismus“, heißt es in der Aussendung von Montag. „Der ORF-Redaktionsrat ist entsetzt über die jetzt bekanntgewordenen Chats von TV-Chefredakteur Matthias Schrom mit dem damaligen Vizekanzler und FPÖ-Obmann Heinz Christian Strache. Derartiges Verhalten ist aus unserer Sicht völlig inakzeptabel und verursacht einen massiven Schaden für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Die Glaubwürdigkeit der Berichterstattung ist durch solch ein Verhalten der Verhaberung zwischen dem Verantwortlichen der wichtigsten Nachrichtensendungen Österreichs und dem Chef einer Regierungspartei gefährdet“, heißt es in der Aussendung.

„Nicht in den Rücken fallen“

Unabhängigkeit sei nicht nur das Recht der ORF-Journalistinnen und -Journalisten, sondern auch deren Pflicht. So stehe es im ORF-Gesetz. „Und journalistische Mitarbeiter:innen und Programmverantwortliche haben laut Programmrichtlinien alles zu unterlassen, das geeignet sein könnte, Zweifel an der Unabhängigkeit des ORF aufkommen zu lassen. Gegen ORF-Gesetz und Programmrichtlinien hat Matthias Schrom eklatant verstoßen, wenn man den Bericht der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft liest“, so der ORF-Redaktionsrat in seiner Aussendung.

Der Eindruck von Absprachen zwischen TV-Chefredakteur und FPÖ-Chef sei nicht nur in der Öffentlichkeit verheerend, sondern auch innerhalb des Unternehmens. „Eine der wichtigsten Führungspersonen des ORF hat journalistische Mitarbeiter:innen des eigenen Unternehmens gegenüber dem damaligen Vizekanzler und FPÖ-Chef in ein schlechtes Licht gerückt und sie politisch punziert. Redaktionsleiter müssen den eigenen Journalist:innen gegen Interventionen aus der Politik den Rücken stärken – und ihnen nicht in den Rücken fallen. Anders kann es nicht verstanden werden, wenn ein Chefredakteur einem Regierungspolitiker und Parteichef Tipps gibt, wie er gegen Kolleg:innen vorgehen und Einfluss im ORF nehmen kann“ heißt es weiter.

Deutliche Konsequenzen gefordert

Um weiteren Schaden von der journalistischen Glaubwürdigkeit des ORF abzuwenden, fordert der ORF-Redaktionsrat die Geschäftsführung auf, deutliche Konsequenzen zu ziehen. „Die Beurlaubung Schroms und die Prüfung des Vorfalls durch den Ethikrat begrüßen wir. Doch es kann nicht ohne weitere Folgen bleiben: Politische Analysen auf Sendung oder die Moderation der Runde der Chefredakteur:innen oder ähnliche Auftritte im Programm sind nach dem nun bekanntgewordenen politischen Naheverhältnis mit der Glaubwürdigkeit der Berichterstattung nicht mehr vereinbar. Die politische Sauberkeit, die wir von anderen einfordern, müssen wir auch im eigenen Haus umsetzen.“

Um dem betroffenen TV-Chefredakteur und allen Mitgliedern der ORF-News-Redaktion – Radio, TV und Online – die Möglichkeit zur Aussprache zu geben, ist für Donnerstag eine Redaktionsversammlung geplant. Dann werde über das weitere Vorgehen beraten, so die Aussendung weiter.

Lederer hofft auf „massive Selbstreflexion“

Heinz Lederer, Leiter des SPÖ-„Freundeskreises“ im ORF-Stiftungsrat, kündigte gegenüber der APA an, in der nächsten Sitzung des obersten ORF-Gremiums nicht zur Tagesordnung übergehen zu wollen. „Wir erwarten uns, dass der Ethikrat klare Richtlinien über den Anlassfall hinaus erarbeitet, die im Stiftungsrat beschlossen werden müssen“, so Lederer. Denn die „Ära Kurz“ sei mit Schrom wohl nicht abgetan, erinnerte er an einen Sideletter der türkis-grünen Regierung. Dieser sah die Aufteilung der ORF-Direktoriumsposten im Verhältnis drei ÖVP – inklusive Generaldirektor – versus zwei Grüne vor. Weißmann und das Direktorenteam dementierten, dass es Absprachen mit der Politik bei ihrer Bestellung gab. Lederer hofft nun beim ORF-Direktorium auf „massive Selbstreflexion“.

Lederer attestierte Schrom prinzipiell eine „tadellose“ Arbeit im Zuge der „Ibiza-Affäre“ und auch eine sehr seriöse Abwicklung von Wahlen und Diskussionen. Auch habe er das investigative Team des ORF aufgestockt und weiterentwickelt. „Das rechtfertigt jedoch nicht das Wording, das er in den Chats verwendet hat“, so der Stiftungsrat. Die Einsetzung des Ethikrats sei daher zu begrüßen, auch wenn er die Integrität und journalistische Qualität Schroms in seine Beurteilung einfließen lassen solle.

Gewerkschaft: Unabhängigkeit stärken

Die Gewerkschaft der Journalistinnen und Journalisten forderte angesichts der enthüllten Chats eine Verschärfung des bestehenden Ehrenkodex für die österreichische Presse. Es müsse die Unabhängigkeit der Redaktionen gegen Einflussnahme gestärkt werden. „Eines der wirksamsten und wesentlichen Elemente dafür ist die dringend gebotene Verpflichtung zu Redaktionsstatuten, die nicht nur klare Richtlinien beinhalten, sondern neben der Wahl eines Chefredakteurs auch die Abwahl von Chefredakteuren möglich machen“, so Eike-Clemens Kullmann, Vorsitzender der Journalistengewerkschaft in der GPA, in einer Aussendung.

Reporter ohne Grenzen plant Plattform

Angesichts der aktuellen Chataffäre hat Reporter ohne Grenzen (RSF) Österreich eine Liste mit Vorschlägen erstellt, um die Unabhängigkeit der Berichterstattung in Österreich zu stärken, wie die Organisation am Montag via Aussendung bekanntgab. Dazu gehören die Stärkung von Redaktionsräten, klare Richtlinien für Medienbetriebe sowie Aufklärungskommissionen bei Verdachtsfällen.

RSF plant zudem eine neue Plattform für Medienschaffende, „die zur Diskussion anregen soll, aber auch Verstöße intern aufzeigen kann“. Die Möglichkeit werde, wenn nötig, auch anonym angeboten, wie es hieß. Sie soll demnächst auf der RSF-Homepage auffindbar sein. Fritz Hausjell, Präsident von RSF Österreich, sagte dazu, dass das journalistische Selbstverständnis bei einem Teil nachgeschärft werden müsse, die Medienkritik innerhalb der Branche müsse konsequenter werden. Daher biete RSF sich als Plattform für Aufklärung und Diskussion an.

Beginn in Italien

Schroms Karriere begann 1991 allerdings in Italien, war er doch für die Südtiroler Antenne Austria West als Moderator und Reporter tätig. Nach einem Zwischenschritt beim Sender Radio M1 erfolgte bereits 1993 der Wechsel zum ORF, wo Schrom unter anderem Ö3-Korrespondent in Tirol sowie für den Aktuellen Dienst bei Radio Tirol tätig wurde.

1998 erfolgte dann wieder die Rückkehr zu den Privaten, wurde Schrom doch Programmchef und Chefredakteur von Antenne Tirol sowie ab 2000 Programmchef von Radio Arabella Tirol. 2001 schwenkte Schrom erneut zum ORF um, wo er unter anderem Chef vom Dienst in ORF Tirol wurde, bevor 2004 schließlich der Wechsel in die Bundeshauptstadt erfolge. In diesem Jahr wurde der Innsbrucker zunächst Chef vom Dienst von ORF Wien. Ab 2010 wurde Schrom dann für die ORF-Zuschauer auf dem Bildschirm präsenter. So stieg der Journalist zum Innenpolitikredakteur der Zeit im Bild auf, war als Livereporter und Präsentator der „Pressestunde“ zu erleben. Überdies wurde Schrom stellvertretender Ressortleiter Chronik.

Seit 2018 Chefredakteur

Im Jahr 2018 stand dann der nächste Karrieresprung ins Haus. So bestellte ihn der damalige Generaldirektor Alexander Wrabetz zum Chefredakteur von ORF2, wobei Schrom kolportiert auf dem Ticket der FPÖ in diese Funktion bestellt wurde. „Gemeinsam mit dem preisgekrönten Team der ORF-Fernsehinformation, der ich seit 2009 angehöre, möchte ich weiterhin eine unabhängige, ausgewogene und objektive Berichterstattung sicherstellen“, so Schrom damals.

Seit damals war Schrom für die Zeit im Bild und die ZIB2 verantwortlich. Ab 2020 schließlich wurde Schrom dann alleiniger Chefredakteur für alle Zeit-in-Bild-Sendungen und zeichnete hierbei für eine Ausweitung der aktuellen Berichterstattung verantwortlich. Überdies übertrug ihm heuer der neue Generaldirektor Weißmann zusätzlich die Verantwortung für das Konsumentenmagazin „konkret“.